„Denn, wie heißt es so schön?“, doziert Toucou und deutet mit einem Kopfnicken in ihre Richtung: „Zeig’ mir, wie sie tanzt und ich sage dir, wie sie im Bett ist.“
Ibrahim antwortet ihm nicht, schüttelt nur leicht verneinend den Kopf; denn er will Toucou nicht ganz verärgern. Aber er kann Leute nun mal nicht ausstehen, die alles verallgemeinern.
Carla zieht alle Flirtregister. Sie windet sich geschmeidig um Sekou wie eine Schlange, die sich häutet, mit berechnendem, wohldosiertem Körperkontakt. Wenn sich ihre Hüften wie zufällig berühren, zuckt sie verschämt zurück. Und immer wieder starrt sie dem Objekt ihrer Begierde für Sekunden kontrolliert in die Augen, um dann den Blick verwirrt und geziert wieder abzuwenden, in der Hoffnung, ihn zu verunsichern, ihn denken zu lassen, dass sie anständig ist und ihre für ihn starken Gefühle kaum verbergen kann; sie heuchelt ihm ‚Liebe auf den ersten Blick’ vor, und ist sich der Lüge nicht einmal bewusst. Provozierend versucht sie ihn dazu zu bringen, starke Gefühle in ihr zu wecken, um damit das letzte Flämmchen in der schon erkaltenden Asche ihrer Seele zum Lodern zu bringen.
Ibrahim verfolgt grinsend Sekous Reaktion auf Carlas bühnenreife Darstellung eines Flirts. Sein Freund demonstriert mit erhobenem Kopf und ausdruckslosem Gesichtsausdruck das Interesse eines toten Baumstammes; und nicht genug damit, er versucht immer wieder seine Tanzpartnerin so zu drehen, dass er über deren Schulter die Frau sehen kann, die ihn mehr interessiert, die seinem Blick ausgewichen war. Die Spröde, Abweisende reizt ihn; gegen Carla ist er einfach immun.
Als Carla ihren Tanzpartner endlich für eine Pause freigibt, flüchtet der sich drängelnd mitten unter seine Freunde an die Bar, damit ‚diese Frau’ sich nicht neben ihn stellen kann. Dafür stellt sie sich nun vor seine Begleiter und versucht mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Aber sie wird mit Nichtachtung bestraft; denn die treuen Gefährten haben die Situation erkannt und drehen ihr demonstrativ den Rücken zu. Die Umstehenden beobachten schon die Szene; Carla bleibt, um ihr Gesicht zu wahren, nur noch der geplante Rückzug.
„Also dann, bis später Jungs“, flötet sie hinter deren Rücken.
Sekou flüstert genervt in Ibrahims Richtung: „Sind die alle so aufdringlich hier? Ich meine, ich bin ein Mann, ich suche mir mein Mädchen selber aus. Wo kommen wir denn hin, wenn die Frauen sich die Männer aussuchen?“
Malik schaltet sich ein. „Du solltest dir besser gleich merken, dass die Frauen in Deutschland immer und überall für ihre Gleichberechtigung kämpfen. Manche Frauen führen geradezu Krieg gegen die Männer; andere sind da eher gemäßigt, so wie meine ‚Ex’ zum Beispiel; du wirst schon sehen.“
Toucou lacht und meint: „Selbst im Bett benehmen sie sich wie die Männer.“ Ibrahim hebt beschwichtigend die Hände.
„Okay, okay Leute; hört auf damit. Lasst uns doch einfach die Musik und die Stimmung genießen und ein wenig tanzen.“ Alle nicken zustimmend.
Gegen halb drei Uhr verabschiedet sich Apollinaire als erster von den Freunden und wenig später will Malik auch schon gehen.
„Wenn ihr noch bleiben wollt, könnt ihr mit Toucou nach Hause fahren.“
Ibrahim und Sekou schauen sich an und schütteln den Kopf. „Wir werden ja noch oft genug Gelegenheit haben, hierher zu kommen, und für erste Eindrücke reicht dieser Abend allemal.“
Beim Hinausgehen blickt Sekou noch einmal zurück. Er sieht Carla mit geschlossenen Augen nachgiebig in den Armen eines Anderen hängen.
Dieser Andere ist Azziz, ein langjähriger Verehrer von ihr. Jedes Mal, wenn Carla ihren Traummann nicht bekommt, ist er zur Stelle, wittert er eine Chance, sie endlich für sich zu gewinnen. Das geht so schon über zehn Jahre. Aber Azziz hat Zeit; eines Tages wird sie ihm gehören. Auch wenn sie es noch nicht wahrhaben will: sie ist seine Frau.
‚Nicht in Millionen Jahren’, denkt Carla zeitgleich. Ihr ist klar, dass sie ihn benutzt, und der Gedanke an die Aussichtslosigkeit seines Werbens ringt ihr ein mitleidiges Seufzen ab. Sie ist ja kein Unmensch. Ihr Tanzpartner deutet das Seufzen positiv für sich und drückt sie unbeholfen erregt an sich. Er gibt sich solche Mühe, ihr alles recht zu machen. Aber vor lauter Aufregung darüber, sie in seinen Armen zu halten, bewegt er sich fahrig und ungeschickt.
Carla hat keine Lust, ihn auf Trab zu bringen; sie hat ihren Enthusiasmus in einem heftigen Energieschub an Sekou restlos verpulvert.
Draußen, vor dem Club schlägt den Nachtschwärmern eine feuchtkalte, neblige Nachtluft unangenehm in die schweißbedeckten Nacken. Hastig schließen sie alle verfügbaren Knöpfe und Reißverschlüsse, schlingen ihre Schals mehrmals um den Hals und ziehen die Schultern hoch. „Ich spendiere uns ein Taxi nach Hause“, sagt Malik und winkt eines heran. Seine Gäste haben nichts anderes erwartet.
Im Taxi rücken sie schweigend und fröstelnd eng an einander. Als Ibrahim ausgiebig gähnt, grinst Malik.
„Ja, lach’ nur“, verteidigt sich Ibrahim, „ich bin total ausgepowert; ich habe mich noch nicht an den unmenschlichen Arbeitsablauf in Deutschland gewöhnt.“
Malik will etwas darauf erwidern, aber Ibrahim winkt ab. „Lass gut sein; es ist sowieso nicht zu ändern. Also tue ich alles, um mich darauf einzustellen.“
Zuhause schlägt ihnen eine Bullenhitze entgegen. Amadou ist vor dem laufenden Fernseher mit offenem Mund eingeschlafen. Seine Nase ist so verstopft, dass er ziemlich geräuschvoll atmet. Seine rechte Hand umklammert das schnurlose Telefon seiner Gastgeber wie einen Rettungsanker. Seufzend windet Malik es ihm vorsichtig aus den Fingern. Gemeinsam decken sie ihn fürsorglich zu, machen den Fernseher aus und drehen die Heizung auf Nachttemperatur. Dann gehen sie auch zu Bett; Amadou hat nichts von alledem mitbekommen.
Sonntag in der WG
Amadou wird früh wach; kein Wunder, er hat ja den ganzen Tag und die ganze Nacht mehr oder weniger geschlafen. Er wird seine Freunde nicht wecken; das tut man nicht. Dafür beobachtet er sie aber genau auf irgendwelche Anzeichen des Erwachens. Als Sekous Augenlider zucken und er sich umdrehen will, kann Amadou seine Neugierde nicht mehr beherrschen und weckt ihn doch ein ganz kleines bisschen.
„Los, Sekou, erzähl‘. Wie war’s? Nun sag schon!“ Der so aus dem Schlaf gerissene Freund blinzelt Amadou aus halb geöffneten Augen orientierungslos an.
„Was ist los? Was soll das? Wie spät ist es denn schon?“, stottert er verwirrt. Vom anderen Ende des Zimmers schimpft Ibrahim:
„Hast du ein Rad ab? Es ist sieben Uhr morgens! Ich habe jetzt gerade mal zwei Stunden geschlafen und morgen muss ich wieder arbeiten.“
„Aber …“
„Nichts aber. Weck’ uns ja nicht noch einmal“, sagt Ibrahim wütend und dreht seinen Freunden den Rücken zu. Sekou grient Amadou noch versöhnlich an, bevor er sich auch wieder die Decke über den Kopf zieht. Betreten schaltet Amadou den Fernseher ein und lässt den Ton ganz leise laufen. Seine Schonzeit scheint zu Ende zu sein.
Gegen Mittag sind alle auf den Beinen, nur Amadou nicht, der ist wieder eingeschlafen. „Hey Kumpel, wach auf. Du hast jetzt genug geschlafen. Frühstück ist fertig.“ Amadou öffnet die Augen einen Spalt und erschnuppert die aus der Küche kommenden Düfte.
„Mhm, das riecht aber gut.“
„Na, wenn du riechen kannst und Appetit hast, geht es dir wohl besser“, meint Malik. Amadou horcht in sich hinein und nickt. Aber als er aufsteht, um ins Bad zu gehen, ist er noch sehr wackelig auf den Beinen.
„Wo ist Toucou eigentlich?“, fragt Amadou seinen Gastgeber zwischen zwei großen Bissen Fladenbrot mit Ei.
„Der? Ach der hat wohl eine Frau gefunden, die ihn mit sich nach Hause genommen hat; es passiert schon mal, dass er nicht nach Hause kommt“, ist die beiläufige