In einer fernen Zeit. Elena Risso. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elena Risso
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738001594
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eines Trecks, der gen Westen zog. Die Menschen lachten und unterhielten sich über ihre Erlebnisse, die der Tag mit sich brachte. Ein anderes Mal saßen sie bei einer Familie im Keller und die Wände wackelten. Draußen wütete ein unerbittlicher Krieg, aber die Menschen im Keller halfen zusammen. Wieder ein anderes Mal feierten die beiden bei einem Erntedankfest mit. Alle waren glücklich. Malcom und Rose mischten sich darunter und lauschten den Klängen des Lebens. Rose mit ihrem haselnussfarbenen Haar und den sprechenden Katzenaugen war sehr zurückhaltend, aber das Feuer in ihren Augen war schon zu spüren. Sie sah bei diesen Reisen Malcom aufmerksam an. Er wählte die Reisen aus. Er sprach mit den Menschen. Als sie sich in Calcutta einem Wanderzirkus anschlossen, suchte Malcom den Kontakt zu einem Feuerschlucker namens Balbou. Balbou war sehr weise und Rose sog seine Erfahrungen in sich hinein. Balbou sprach vom Erleben im Jetzt, von Gerüchen und Sinnen und davon, das Leben zu spüren, wenn du nichts erwartest und dich auf jede Situation einlässt.

      Einlassen auf etwas - für Rose kein einfaches Vorhaben. Sie hatte so viele Ideen im Kopf, so dass sie sich nicht festlegen mochte, nichts entscheiden, alles offen lassen wollte. Wenn sie nicht mit Malcom im Baumhaus kauerte und sich mit ihm durch das Leben träumte, saß sie zuhause und schaute ihrer Mutter zu. Susan war eine sehr attraktive Frau, angesehen in der Gesellschaft als eine Frau, die flexibel und einfühlsam war und ihren Mann liebte und schätzte. Oft war Susan schwach. So aus der Sicht von Rose. Wenn Susan mit ihrem Mann stritt, und das kam sehr oft vor, hatte Rose immer das Gefühl, sie müsse helfen. Und sie tat es. Rose hielt zu ihrer Mutter in dieser Zeit und sehr lange, bis es Rose fast zerriss. Eines Nachmittags kam Susan erschöpft von einem Einkauf. Die Tüten standen noch in der Mitte des Flurs. Ein sehr langer Flur war das - mit vielen Türen, die alle geschlossen waren. Hinter jeder Tür war ein Raum mit einem anderen Geruch. Kleine Lichter schienen von oben durch das Treppenhaus auf den Flur, so dass er nicht ganz dunkel war. Die Stimmung im Haus war sehr ruhig. Nun saß da Susan zwischen ihren Tüten. Sie wollte weg aus Poole, wieder in die Stadt. Peter stand im Treppenhaus und war ungehalten. Er wartete den halben Nachmittag auf Susan und das kleine Auto und fuhr sie an. Susan tat Rose leid. Sie beschwichtigte ihren Vater. Nachdem er fort war, saßen die beiden noch lange zusammen und Rose tröstete ihre Mutter. Vielleicht würden sie bald wegziehen, so Rose. Das Licht im Treppenhaus loderte kurz auf. Rose ging in ihr Lieblingszimmer; es war in Aprikose getaucht mit vielen Kissen auf Korbmöbeln. Es duftete ein wenig nach Rosen, wenn das Fenster aufstand. Rose legte sich auf das Bett und dachte nach. Was wird die Zukunft bringen? Wird sie auch einmal eine Familie haben? Mit Kindern, die schokoladenverschmierte Münder haben? Mit einem Haushund und einem Garten? Rose hatte so ihre Vorstellungen von der heilen Welt - voller Träume, von einem Prinzen in hellblauem Tuch gekleidet, der sie mitnehmen würde, fort von dieser Zeit, die so starr ist. Aber Rose machte sich immer viel vor.

       Teil I: Weg zur Mitte

       Kapitel 1: Tanz auf dem Parkett

      Nun hieß es Abschied nehmen von Malcom. Wann würden sie sich wiedersehen? Er gab Rose so viel Wärme und Halt. Die gemeinsamen Reisen, waren sie nun vorüber? Wir hatten Sommer 1978. Rose war 13 geworden. Etwas in ihr wirkte gebrochen. Ihre Familie würde nach London ziehen. Eine neue Schule, neue Kameraden. Susan freute sich auf das Stadtleben. Sie wollte auch mal an sich denken. Peter freute sich auch; er konnte neue Reden vorbereiten, hatte nicht die lange Anfahrt. Und der kleine Ben war ganz unbedarft und freute sich auf die Ballettschule, die er in London besuchen würde. Also schlossen Rose und Malcom ihren ersten Pakt: Den Pakt, sich immer an diese Reisen zu erinnern und dass es eine Zeit geben würde, da fänden sie sich wieder. Dann würde Ruhe auch in Roses Leben eintreten. Eine neue Ruhe und eine neue Gelassenheit dem Leben gegenüber - auch wenn es nicht leicht sein würde. Malcom war der wilde Teil in Rose, er konnte alles tun, was er wollte, sich alles vorstellen, mit jedem reden, jeden lieben. Alles geben und alles nehmen. Malcom war frei und verschmitzt und flirtete mit dem Leben. Malcom war immer da, wenn Rose ihn brauchte. Nur irgendwann hatte sie ihn verlernt und musste ihn wieder finden.

      Es war ein milder Herbsttag, als Familie Plymoth von Poole nach London zog. Ein frischer Wind kam vom Meer her und Rose stand noch einmal am Baumhaus, um von Malcom Abschied zu nehmen. Er kam vom Strand und sah sehr verwegen aus. Er lächelte aufmunternd und hob von weitem seinen Arm zum Gruß. Wie konnte es nur sein, dass sie sich vielleicht nie wieder sehen würde? Malcom reichte ihr einen Apfel, in den Rose herzhaft hinein biss. Sie drückten sich fest.

      Malcom würde auch bald Poole verlassen. Ein reicher Verwandter an der Ostküste hatte ihn adoptiert, so dass seine Odyssee durch die Kinderheime im Süden Englands ein Ende haben würde. Malcom war ein Waisenkind. Er wusste von seinen Eltern nur, dass sie Zigeuner waren. Sein Onkel in New York hätte Nachrichten für ihn, auf die er sehr neugierig war. Weil Malcom noch keine Adresse hatte, gab ihm Rosa ihre neue Anschrift in London. Ansonsten vertrauten sie auf die Zukunft, wann sie sich wo und wie wiedersehen würden.

      Mit einem voll bepackten Bus fuhren die Plymoth in ihr neues Zuhause in Hamden. Dort bezogen sie ein kleines Reihenhaus mit einem langgestreckten Garten. Rose war sehr skeptisch. Ihre Eltern und ihr kleiner Bruder scherzten. Rose bekam das Zimmer zur Straße raus. Von dort blickte sie auf die gegenüberliegenden Häuser und auf eine Bushaltestelle. Dort war viel Betrieb. Die Buslinie von hier fuhr geradewegs ins Zentrum von London, Oxfordstreet. Die schwarze Katze, die Rose beim Einzug im Garten fand und blieb, räkelte sich auf ihrem Bett. In diesem Zimmer war es sehr anheimelnd. Draußen war Betrieb. Susan räumte und schlichtete und sorgte sich um alles. In der Küche dampfte es aus den Töpfen; Rose bereitete ein deftiges Essen. Peter scheuchte die Helfer herum und war sehr nervös. Alles musste bei ihm funktionieren. Die Hektik von London griff bereits auf ihn über. Malcom war weit weg.

      Rose erkundete die Gegend. Die Menschen hatten ihr Ziel, und jeder ging seines Weges. In einer Querstraße traf Rose auf einen alten Mann mit einem verwahrlosten Mädchen. Rose hatte Angst - sie hatten den wir-haben-schon-alles-gesehen-Blick. Rose kam mit ihnen ins Gespräch. Der Mann meinte, sie seien auf der Durchreise nach Irland und wollten von dort nach New York einschiffen. Der Mann hieß Friedrich, er war auf der Flucht und wollte Auskunft von Rose. Rose war nicht sehr gesprächig. Sie war müde und in Gedanken noch gar nicht in Hamden. Friedrich jammerte viel, wie übel ihm das Leben mitspielte und er doch nur immer das Beste wollte. Er hatte in seiner Not eine kleine Tankstelle überfallen. doch in Kürze wieder alles verloren. Der Mann wirkte auf Rose nicht sehr vertrauenerweckend. Sie bekam das Gefühl nicht los, er würde lügen. Lüge war für Rose nicht denkbar. Lüge ist feige und kleinlich. Das kleine Mädchen tat ihr leid, so bot Rose an, etwas zu essen zu bringen.

      Als Rose mit dem Hühnchen zurückkam, schlang es Friedrich schnell in sich herein. Er war komplett ausgehungert und sehr gierig. Penelope knabberte an der Keule. Sie wollte mit Rose Kontakt aufzunehmen, aber sie traute sich nicht. Sie war etwa sieben Jahre alt und sehr verschüchtert. Als Friedrich weitergehen wollte, fasste sie sich ein Herz und steckte Rose in Windeseile einen Zettel zu; dann waren sie auch schon um die nächste Ecke verschwunden. Der Zettel zeigte eine Zeichnung. Es war eine Art Burg am Meer abgebildet mit einem Wappen, das einen Löwen und einen Wolf zeigte. Rose stand noch länger da und betrachtete die Zeichnung. Sie würde jetzt gerne mit Malcom darüber reden. Dann bekämen sie das Rätsel schon heraus. Aber ohne Malcom steckte sie den Zettel erst einmal weg. Heute Abend wurde ein Schulball für alle Neulinge ausgerichtet, für den sich Rose noch umziehen musste.

      Sie ging in ihrer Schuluniform - blau mit weißer Bluse - und sah für ihre 13 sehr adrett aus. Da sie aber auch verschüchtert wirkte, blieb sie den Abend über eher am Rande der Gesellschaft. Mit zwei Klassenkameradinnen konnte sie sich ein wenig anfreunden, Monica aus Polen und Aurora aus Pakistan waren auch Außenseiterinnen. Sie steckten ihre Köpfe zusammen und erzählten von sich. Aurora war erst seit einer Woche in London und Great Britain und sprach schlecht Englisch. Aurora mit Schokohaut, schwarzen großen Augen und schwarzem, seidigem Haar erzählte von einer komplett anderen Welt mit einer sehr großen Familie und vielen Schwestern. Sie wohnten im Norden der Stadt in einem kleinen Apartment. Ihre Eltern wollten bei ihrem Verwandten im Gemüse- und Obstladen helfen. Monica war sehr zierlich mit aschblondem Haar, eisfarbigen Augen und schon länger in der Stadt. Für eine bessere Zukunft gingen ihre Eltern aus Polen weg. Sie arbeiteten