Sie hatte noch keine drei Schritte getan, als ihr Vater neben ihr stand. „Samantha, wo bist du gewesen?” Es klang zwar verärgert, aber er zeigte es nicht so deutlich, dass jeder hier auf der Party es sehen konnte.
„Schwimmen.” Ihr Blick glitt über die vielen Gesichter, doch es war nichts Bekanntes dabei.
„Hast du etwa vergessen, dass deine Großmutter ...”
„Nein,” erwiderte Sam mit größtmöglicher Entrüstung. „Ich bin nur spät dran. Wo ist Grandma eigentlich? Ich sehe sie nirgends.”
„Auf der Terrasse. Aber ...”
„Danke.” Sie drückte ihrem Vater einen flüchtigen Kuss auf die Wange und ging auf die Terrasse, bevor er seine Standpauke fertig formuliert hatte. Ihre Großmutter saß an einem Tisch nahe dem Swimmingpool, in dem an die hundert Kerzen schwammen und ein weiches Licht verbreiteten. Jetzt, in der einsetzenden Dämmerung, fand Sam es viel hübscher als bei Tageslicht. Sie ging zu ihrer Großmutter, beugte sich zu ihr runter und drückte ihr ebenfalls einen Kuss auf die Wange.
Rosalie Martin lächelte und musterte Sams Kleid. „Schön, dass du noch gekommen bist. Hat es so lange gedauert, bis Marlene dich in dieses Kleid gesteckt hat?”
„Ich war schwimmen.”
„Das habe ich mir schon gedacht. Obwohl es dafür schon zu kühl ist.”
„Es war auch nicht mehr so schön wie sonst.”
Die alte, aber durchaus noch rüstige Frau erhob sich mit einem bedauernden Lächeln für ihren Tischgenossen, nahm Sams Arm und ließ sich zum Getränkebüfett führen. Sie nahm von dem Angestellten eine Punschbowle entgegen und reichte sie an Sam weiter. Dann nahm sie ein weiteres Glas, wandte sich um und betrachtete die Gäste, als suche sie ein bestimmtes Gesicht in der Menge.
Sam kannte diesen Blick an ihrer Großmutter. In der Regel dauerte es nur noch drei bis fünf Minuten, bis sie zu einem Mann geschleift wurde und die alte Frau fachkundig die Werbetrommel für sie zu rühren begann. Sam nippte an ihrer Bowle und beobachtete eine Gruppe junger Frauen, die aufgeregt miteinander tuschelten. Plötzlich lachten sie laut und schrill auf, die ganze Gruppe, und Sam verzog das Gesicht.
„Hast du schon mit jemandem gesprochen? Ich habe einige interessante Leute eingeladen, die du kennenlernen solltest.”
„Nein.” Eigentlich doch. Aber ich weiß nicht, mit wem, dachte sie und schmunzelte.
„Komm mit, Sammy. Vielleicht schaffen wir es heute Abend dich zu verkuppeln,” meinte ihre Großmutter vergnügt und zog sie mit sich.
Weit gingen sie allerdings nicht. Samantha hatte die Männer noch nicht bemerkt, die seitlich von ihnen nahe der kleinen Mauer standen und sie bereits ins Visier genommen hatten. Sie schluckte trocken, als sie erkannte, was ihre Großmutter vorhatte und versuchte, sich aus ihrem plötzlich erstaunlich festen Griff zu befreien.
Doch ihre Großmutter hielt sie nur um so fester und marschierte weiter. „Guten Abend, meine Herren.”
Die jungen Männer drehten sich nun endgültig zu ihnen um, grüßten höflich und unterzogen Sam einer weiteren eingehenden, teilweise unverschämt offenen Musterung.
„Darf ich Ihnen meine Enkelin Samantha vorstellen?”
Sam verfluchte ihre Großmutter, lächelte aber höflich und versuchte, die Namen der Männer zu behalten, während sie jedem artig die Hand gab. Rosalie Martin zog es vor, Samantha in dieser begeisterten Runde allein zu lassen und entschuldigte sich vorerst.
Sam hielt ihr Punschglas mit beiden Händen fest, lauschte aufmerksam und lachte, wenn es die Situation erforderte. Aber ganz bei der Sache war sie nicht. Sie hatte das unangenehme Gefühl, beobachtet zu werden. Ein leichtes Kribbeln hatte sich zwischen ihren Schulterblättern eingenistet und machte es ihr unmöglich, der Unterhaltung aufmerksam zu folgen. Sie wandte sich mehrmals kurz ab und musterte unauffällig die umstehenden Gäste.
Da war er. Er sah sie mit seinem spöttischen Lächeln an und prostete ihr mit einem Glas Champagner zu. Also hatte er sie trotz ihrer äußerlichen Veränderung wiedererkannt. Sam hob ebenfalls das Glas und nippte daran. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie Marlene, die eilig auf sie zukam. Sam senkte den Blick, wandte sich wieder den jungen Männern zu und lauschte der Unterhaltung mit geringem bis gar keinem Interesse.
Marlene hängte sich mit einem Lächeln bei ihr ein. „Sie müssen schon entschuldigen, meine Herren. Aber ich möchte meine kleine Schwester noch jemanden vorstellen.”
Es gab einige Proteste, doch man ließ sie gehen.
„Hast du dich gut amüsiert?”
„Es war so aufregend, dass ich ein Gähnen unterdrücken musste. Wer ist der Mann bei Grandma?” Sie wies mit dem Kopf zu ihrer Großmutter.
„Das ist der Mann, den Grandma für den Favoriten hält. Brendon Richmond. Steinreich, humorvoll, ledig,” betonte sie und lachte. „Und wie ich sehe, hat er ein Auge auf dich geworfen.”
„Mach dich nicht lächerlich,” meinte Sam und runzelte die Stirn. „Hier laufen mindestens zwanzig Frauen rum, die ihm schmachtende Blicke zuwerfen. Also werde ich mich taktvoll aus der Schusslinie halten und einen Bogen um ihn machen.”
„Und warum hast du mich nach ihm gefragt?”
„Weil ich neugierig bin,” gestand Sam und lachte leise. Sie warf einen Blick über die Schulter und sah genau in seine lächelnden Augen. Er stand noch immer auf der gleichen Stelle, hatte den Kopf leicht zu ihrer Großmutter geneigt und schien ihren Worten zu lauschen. Sam lächelte breit, als Rosalie Martin ihr winkte, dass sie näherkommen sollte. Sie wollte gerade den Kopf schütteln, als Marlene sie mit sich zog und geradewegs auf Brendon Richmond und ihre Großmutter zusteuerte.
„Jetzt wollen wir mal sehen, ob du diesem Mann auch die kalte Schulter zeigst, oder ob sein Ruf recht behält,” raunte Marlene ihr zu und lachte schadenfroh.
„Biest,” war Sams einzige Antwort. Dann stand sie nur gut zwei Schritte von ihm entfernt, spürte wieder diese mächtige Ausstrahlung und ihr Puls galoppierte einfach auf und davon.
„Sammy, darf ich dir Brendon Richmond vorstellen? Sein Vater und ich haben Geschäfte gemacht, bevor dein Vater die Firma übernommen hat,” meinte ihre Großmutter und strahlte mit allem, was das faltenreiche Gesicht hergab. „Brendon, das ist meine Enkelin Samantha Martin. Ein Goldstück. Eiskalt bis in die Herzkranzgefäße und sehr intelligent. Sie war bekannt dafür, deine Geschlechtsgenossen an der Nase herumzuführen.”
Sam reichte ihm artig die Hand und sah ihn an. Es war gerade so, als ob sie das blanke Kabel einer Starkstromleitung berührte. Am liebsten hätte sie die Hand sofort wieder zurückgezogen. Sein fester Händedruck schickte ein irres Prickeln ihren Arm hoch. Es fand den Weg durch ihren Brustkorb zum Magen und kreiste dort wie ein Schwarm aufgeregter Hornissen. Sam schluckte trocken und dankte dem lieben Gott per Eilstoßgebet, als Richmond ihre Hand mit einem nachdenklichen Gesichtsausdruck losließ.
„Was machen Sie in der Firma Ihres Vaters?” Seine tiefe, wohlklingende Stimme jagte ihr einen Schauer über den Rücken und ließ sie frösteln.
Falscher Augenblick, falscher Fuß. Es war heute eindeutig nicht ihr Tag. „Ich arbeite nicht mehr.”
„Hat es Ihnen keinen Spaß gemacht, Männer an der Nase herumzuführen?”
„Wer sagt, dass ich das nicht mehr mache?” Sie sah ihn herausfordernd an, ignorierte den amüsierten Gesichtsausdruck ihrer Großmutter und den überraschten Blick ihrer Schwester. Sie wollten einen Flirt und bekamen einen Kampf. So war die Aufregung für die beiden nicht ganz umsonst.
„Touché, Ma’am. Warum haben Sie sich aus dem Geschäft zurückgezogen?”
„Das geht Sie nichts an,”