„Ich wollte in mein Zimmer.”
„Und warum nimmst du nicht die Treppe?”
Sam schluckte schwer. Sie erinnerte sich nur ungern daran, dass sie außer dem bisschen Stoff absolut nichts an hatte.
„Ah, ich verstehe. Du wolltest den Gästen nicht die Gelegenheit geben, dich in diesem reizenden Outfit zu sehen.”
„Genau.”
„Einleuchtend. Aber woher weiß ich, dass du zu den Gästen gehörst? Niemand läuft hier so leicht bekleidet rum.” Er tat so, als dachte er angestrengt nach. „Du kannst dich nicht zufällig ausweisen, oder?”
Samanthas Augenbrauen schossen hoch. „Und wo sollte ich Ihrer Meinung nach meinen ...?” Sie brach ab, als sie seinen spöttischen Gesichtsausdruck sah. Sein leises Lachen jagte ihr eine Gänsehaut über den Rücken. Auch wenn er eine prima Heizung abgab, wurde es langsam Zeit, aus den feuchten Klamotten raus zu kommen. Die Erkältung rückte immer näher. Und da der Verursacher nicht greifbar war, würde sie ihm die Schuld daran geben und ihn umbringen. Ganz einfach. „Kann ich jetzt gehen?” Sie wollte ihn böse ansehen, ihm zeigen, dass sie es ernst meinte. Aber als sie in seine Augen sah, schmolz ihr Zorn dahin, verpuffte regelrecht. Es lag etwas in seinem Blick, dass ihr Herz schneller schlagen und ihre Beine weich wie Butter werden ließen. Ihre Kehle erklärte sich zur Wüste Gobi und wenn sie hier noch weitere zehn Sekunden stand, konnte sie vermutlich auch noch die Kamele riechen. Sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, benetzte sie und fragte sich, wo hier das nächste Wasserloch war.
Plötzlich ließ er sie los. Gerade so, als hätte er einen ansteckenden Hautausschlag an ihr entdeckt. Er trat einen Schritt zurück, räusperte sich, ließ sie aber nicht einen Moment aus den leicht zusammen gekniffenen Augen.
Sams Blick glitt tiefer, musterte seinen Körper und dann musste sie lachen. Sie wies auf seine Hose. Hüfte und Oberschenkel wiesen deutlich dunkle Flecken auf, hatten sich mit der Feuchtigkeit aus ihrem Bikini vollgesogen. Sein Gesicht war ein einziges Fragezeichen. Dann sah er an sich runter und lachte ebenfalls.
Sam nutzte die Gelegenheit, fuhr herum und lief so schnell sie konnte am Haus entlang zum Vordereingang. Sie stoppte gerade rechtzeitig, um nicht mit einem älteren Herrn zusammenzustoßen. Samantha lächelte, grüßte freundlich und ging hoch erhobenen Hauptes an ihm vorbei. Als sie die schnellen Schritte hinter sich hörte, lief sie weiter, riss die Haustür auf und schlüpfte ins Haus. Sie knallte die Tür hinter sich zu und rannte die breite, geschwungene Treppe nach oben.
„Samantha? Wo warst du? Wir haben ...”
Sam war an ihrer Schwester vorbei, bevor die ausgesprochen hatte. Sie warf sich förmlich gegen ihre Tür, knallte sie hinter sich ins Schloss und warf sich schwer atmend auf das Bett.
„Samantha?” Marlene steckte den Kopf ins Zimmer.
„Komm rein.” Sie stand auf und verschwand ins angrenzende Bad, zog ihren Bikini aus, stellte sich unter die Dusche und sah einen kurzen Augenblick lang das Gesicht des Unbekannten vor sich. Sie schüttelte den Kopf, als könnte sie so die Gedanken an ihn verbannen. Diese Augen. Sie lächelte, als sich das Kribbeln wieder einstellte und ein wohliger Schauer durch ihren Körper lief. Sie drehte das Wasser ab, rubbelte sich kräftig trocken und kehrte in ein Handtuch gehüllt ins Schlafzimmer zurück.
Marlene saß auf ihrem Bett und sah sie an. „Warst du wieder am Strand?”
„Ja. Und du wirst es kaum glauben, aber jemand hat mir meine Klamotten geklaut.” Samantha öffnete ihren Schrank, stemmte die Hände in die Hüften und starrte nachdenklich auf die Kleider. Eigentlich hatte sie keine Lust auf diese Party, aber sie hatte es ihrer Großmutter versprochen.
„Du hast doch wohl nicht vor, dich mit dieser Erklärung bei Grandma dafür zu entschuldigen, dass du zu spät gekommen bist, oder? Sie wird es vielleicht noch verstehen, aber Dad wird dich umbringen.”
„Ich kann schließlich nichts dafür, wenn...”
„Sam.” Marlene stand auf, trat an den Schrank und zog zielstrebig ein Kleid raus. „Du solltest mal sehen, wer alles auf dieser Party ist. Grandma hat auf ihrer Gästeliste alle jungen Männer stehen, die im heiratsfähigen Alter und ledig sind.” Marlene hielt ihr das Kleid hin und lächelte. „Nimm das hier.”
Sam schob die Unterlippe vor und warf einen kritischen Blick auf das dunkelrote Kleid mit dem tiefen Ausschnitt. Sie hatte es während eines Anfalls von Größenwahn gekauft, aber noch nie getragen. „Ich weiß nicht...,”
„Na los. Wir haben jetzt keine Zeit mehr für lange Diskussionen. Ich suche dir passende Schuhe und den Schmuck raus und du trocknest dir die Haare.” Marlene hängte das Kleid an die Schranktür, drehte Sam an den Schultern herum und schob sie zurück ins Bad.
Samantha ließ es sich gefallen und blieb vor dem Spiegel stehen. Sie betrachtete einen Moment ihr schmales, leicht gebräuntes Gesicht mit den großen, meergrünen Augen im Spiegel. Sie hatte volle, weiche Lippen, die stets ein wenig zu Lächeln schienen. Dunkelbraunes, leicht gewelltes Haar umrahmte ihr Gesicht und ließ es schmal und zerbrechlich wirken. Sie streckte ihrem Spiegelbild die Zunge raus, griff nach dem Fön und trocknete ihre Haare. Dann bürstete sie sie kräftig durch, so dass sie in weichen Wellen über ihre Schulter fielen. Sie ging ins Schlafzimmer zurück, schlüpfte in das hautenge Kleid und zog die Pumps an, die Marlene dazugestellt hatte. Dann setzte sie sich unter den wachsamen Augen ihrer Schwester an den Schminktisch, legte die langen, goldenen Ohrringe und die dazu passende Kette an und drehte sich zu Marlene um. „Zufrieden?”
„Etwas Make-up könnte nicht schaden.”
„Muss das sein?”
„Ja,” erwiderte Marlene und kam zu ihr. Sie schob ihr das Kästchen mit dem Make-up zu und flocht Sams Haare mit geübten Griffen zu einem langen, französischem Zopf. Währenddessen legte Sam etwas Rouge, Mascara und Lippenstift auf, griff nach dem kleinen Flakon und sprühte vorsichtig etwas von dem süßlich riechenden Parfum an ihren Hals. Auf jeden Fall sah sie jetzt anders aus, als noch vor ein paar Minuten. Vielleicht würde sie der Unbekannte nicht wiedererkennen. Immerhin hatte er sie nur kurz im Dunkeln gesehen und es war fraglich, ob er sie überhaupt erkannt hatte. Sie drehte sich zu ihrer Schwester um und lächelte. „Bist du jetzt zufrieden, große Schwester?”
Marlene musterte sie kritisch, lächelte dann und zog sie vom Stuhl hoch. „Ich bin sehr zufrieden, Kleines. Und jetzt lass uns endlich auf die Party gehen. Steve wartet schon.”
„Der wird dir schon nicht weglaufen.”
„Das sagst du so. Grandma hat nicht nur Männer eingeladen, sondern auch junge, hübsche Frauen. Und diese Küken nehmen keine Rücksicht darauf, ob ein gutaussehender Mann verheiratet ist oder nicht.”
„Du bist doch nicht etwa eifersüchtig?” Sam sah ihre Schwester überrascht an.
„Nein,” lachte Marlene und zog sie mit sich auf den Flur. „Bei Steve brauche ich wirklich keine Angst zu haben.”
„Na also.”
„Aber vielleicht sollte ich auf dich aufpassen.”
„Warum?”
„Ich sagte schon, dass einige Männer hier sind, die das heiratsfähige Alter erreicht haben. Und ich wette, dass du zumindest einem von ihnen nicht die kalte Schulter zeigst.”
„Und da hast du natürlich einen ganz bestimmten Mann im Sinn,” meinte Sam spöttisch, zog das Kleid noch einmal zurecht und trat ins Wohnzimmer.
„Ja, dass habe ich,” antwortete Marlene und lächelte geheimnisvoll. „Du solltest dich allerdings vor ihm in acht nehmen. Sein Ruf als Casanova eilt ihm meilenweit voraus und Grandma hält ihn für den haushohen Favoriten heute Abend.”
„Dann lassen wir uns mal überraschen, was das für ein Prachtexemplar sein soll,” erwiderte Sam und sah sich interessiert