Zwischenräume im Tagebuch von Jeannine Laube-Moser. Wilhelm Kastberger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilhelm Kastberger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742775511
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auf ihrem Handy die Fotos von der Almhütte, mit den rundum grünen Wiesen und dem obligaten Hausbrunnen. Aus einer wildgeschnitzten Brunnenfigur fließt dort das Quellwasser gemäßigt in den darunter befindlichen Holztrog.

      In meiner Einfältigkeit, um ja nicht als außenstehender Feigling bei meinen Freundinnen zu gelten, war ich gleich zu Beginn der Diskussion Feuer und Flamme. Mit diesem vorgespielten Enthusiasmus, den ich auf der Bühne meiner Gedanken spitzbübisch sofort auszubreiten versuchte, zog ich dann sämtliche Register meiner Leidenschaft und auch den Schwarzen Peter, wie sich später herausstellen sollte.

      Der Treffpunkt für unseren abenteuerlichen Ausflug war schnell ausgemacht. Das Wetter schien perfekt zu werden. Die Batterie meines Fahrrades wurde am Vortag an die Ladestation angedockt. Meine Notfallpackungen, wie Wasser und Braunschweiger, verstaute ich in die linke Satteltasche. In der rechten befand sich bereits ein kleiner Regenschirm und für alle Fälle zwei Meter Hansaplast. Man weiß ja nie, was einem auf der Fahrt wo möglich alles passieren wird.

      Somit begann das Schicksalhafte seinen Lauf. Allerdings auf zwei Rädern versteht sich. Zumindest bei mir! Die Hinfahrt war ja ein Klacks und eine Schonung meiner Muskulatur. Weißt du, mit der Pinzgauer Bahn werden auch Fahrräder befördert. Ja, freilich auch die E-Bikes. Das hast du nicht gewusst? Ich sage Dir, das war schon einmal ein guter Einfall meinerseits.

      Aus leicht verständlichen Gründen gibt es bei der Pinzgau Bahn mehrere Haltstellen. Aber nur eine war in diesem Fall für uns die Richtige. Niederscherzl-Siedlung. Mein Gott, jetzt hätte ich beinahe ganz vergessen: Die Margot und die Marianne fuhren ja auch mit dem Zug mit. Nur die Anita Reisenhübner war komplett sportfanatisch und radelte von Mittersill bis zur Haltestelle Niederscherzl-Siedlung.

      Von dort weg i-beikte dann das energiegebündelte Vierfache bis zum Taleingang. Auf einem der gelben Wegweiser standen bei der Weggabelung gleich zwei Namen drauf. Zwar in einer kleinen Schrift, aber immerhin gut lesbar. Zum Hochscherz und Niederscherz, daneben war auch die Wegnummer vermerkt. Diese Zahl, mit den drei Buchstaben dahinter, habe ich mir nicht gemerkt. Unterhalb auf einer zweiten gelben Tafel stand „Zur Zwischenscherzerlalm - Gehzeit Eineinhalbstunden“.

      Aber mia sand jo mitn Radl do!

      Stell Dir vor, ich habe mir sagen lassen, dass die Einheimischen, vor allem die Zwischenscherzerlalm Bewohner, die zwei Bergkuppen, weil mehr sind ja doch nicht, „Des große und des kloane Scherzerl“ hoassn.

      Ich sag’s jetzt gleich, bevor ich es vergesse. Ein Scherzerl sind die allemal. Kein Vergleich mit dem Großglockner oder dem Hundsstoa. Nicht einmal aufeinandergestellt und zusammengerechnet bringen die Zwei die Höhenmeter vom Hundsstoa.

      Es ist wirklich schon lang her, vielleicht zwölf Jahre, da war ich am Hundsstoa oben. Von dort oben sieht man jede Menge Berggipfel. Wenn man scharf nach links hinüber schaut, nicht hinauf und nicht hinunter - nur hinüber – und wenn man so steht, wie zum Beispiel ich jetzt, siehst Du auch den Großglockner. Freilich war ich noch niemals nie auf diesem hohen Berg oben. Aber wie schon gesagt, am Hundsstoa schon. Der hat zurecht seinen Namen. Des is a Hund, der Stoa.

      Aber trotz alledem unvergleichbar mit dem kloanen Scherzerl. Also darf ich noch einmal kurz rekapitulieren oder wie das heißt. Die Margot und die Marianne fahren voraus. Ist auch gut so. Sie kennen sich aus. Ich hinten nach und die Anita Reisenhübner macht die Schlussfrau.

      So haben wir uns das vorgestellt und uns auch das so gegenseitig eingebläut. Doch die zwei Vorderen dürften an diesem wunderschönen Tag eine komplett andere Philosophie der Radfahrkunst mit den elektrischen Hilfsmotoren antrainiert gehabt haben. Denn die düsten ganz narrisch vorne weg, als hätten sie Zwiebeln und nicht Elektrizität getankt. Derweil ging es schon grad a weng bergauf.

      Die Anita Reisenhübner hinter mir übte sich mit eiserner Geduld. Sie kam näher, dann wieder nicht und so ging das in etwa die ersten siebenundzwanzig Meter bergauf fort. Und zwar bis zu der ersten Kehre. Außerdem gab es ohnehin nur die eine. Aber das wusste ich ja in diesem Moment nicht. Der Anstieg schien mir mit der Großglockner Hochalpenstraße schon vergleichbar zu sein.

      Und dann passierte das Unerwartende. Plötzlich schoss die Anita Reisenhübner von hinten wie ein wild gewordener Granatapfel bei mir vorbei. Sie überholte mich mit einem Zahn, sag ich Dir. Danach schnitt sie mir einfach den Weg ab, bremste und blieb stehen. Das weiß ich noch genau: Mit dem linken Fuß stand sie am linken Pedal und mit dem rechten am Schotterweg. Dann drehte sie sich zu mir um und ersuchte mich, mit einer über Gebühr höflichen, ruhigen, eher bereits besinnlichen Sprachmelodie, aber in Befehlston: „Schani - bleib´ stehen!“

      Gut, mir war das ehe recht, weil die Zwei vor uns habe ich schon lange nicht mehr gesehen.

      Anita Reisenhübner war jetzt ganz die Journalistin und wollte partout der Geschichte auf den Grund gehen, warum ich kaum von der Stelle kam. Sie fragte mich über alles Mögliche aus. Ob ich gefrühstückt und ausreichend getrunken habe. Ob ich vielleicht gar meine Blutdrucktabletten vergessen habe hinunterzuschlucken und ob ich vielleicht, was ja möglich gewesen wäre, im Moment ein Blasenhochdruckgefühl mein Weiterkommen stören würde. Du siehst, eine echte Freundin halt.

      Doch dann kamen die technischen Fragen. Zum Beispiel, warum ich samt meiner eingebauten Stromversorgung so langsam dahinfahre und kollabierend gefährliche Atmungsübungen mache. Außerdem, und das war das Gemeine ihrer Ausfratschlerei, ob ich noch unter meinem roten Schirmhelm dicht sei.

      Beide sind wir dann abgestiegen, nicht in die Hölle, nein jeder vom Rad. Und da kam plötzlich das Wort i-beik aus dem Mund meiner Freundin. (Zuhause habe ich dann nachgelesen i-beik sagt man und E-Bike schreibt man.) Nur zur Information, die kein Französisch nicht können.

      Offenbar war ich auch nicht im Bilde und kam ganz und gar nicht mit dem technischen Firlefanz zurecht. Ich sah es ja selbst ein. Ja freilich, die Einsicht gehört halt auch dazu, sogar auf diesem Almweg. Diese intensive Nachschulung von Anita Reisenhübner mitten in der ersten Kehre, eine Zweite gab es ohnehin nicht, da ging bei mir der Knopf des Kapierens erst so richtig auf. In Wirklichkeit war es eine ganze Reihe von Knöpfen.

      Was glaubst Du, wie herrlich so ein E-Bike ist, wenn man weiß, dass es einen Einschaltknopf mit acht verschiedenen Hilfeknöpfen gibt. Und dem nicht genug, das Zahnrad unten, zwischen meinen Füssen meine ich, das kann auch noch zusätzlich mit zwei Knöpfen beschaltet werden. Bei der Margot und bei der Anita Reisenhübner waren es vier.

      Also pass obacht! Ich meine nur, dass Du das auch kapierst, wenn Du einmal einen Ausflug mit einem E-Bike zum Niederscherzl machen solltest. Auf der Ebene brauchst Du eh kaum einen Strom nicht. Aber wenn´s bergauf geht, sowie auf die Zwischenscherzerlalm, dann brauchst Du Dich gar nicht mehr so zu Tode abstrampeln, wie ich es anfangs probiert habe. Dann musst Du lediglich das Zahnrad unter Deinen Füssen auf Unschärfe schalten und den Einschaltknopf oben in der Mitte von der Lenkstange, genau den Schwarzen für den Motor auf Tour oder Sport einstellen. Das kann man alles ohne Augengläser am großen Display nachlesen und noch viel mehr. Auch zum Beispiel, ob es regnet oder saukalt ist. Und ab geht die Post.

      Mein Fahrrad war ja neuwertig. Das heißt, eigentlich war es nigelnagelneu. Das Rad von der Anita Reisenhübner war schon zwei Jahre älter als meines. Sie hatte keinen zusätzlichen Sporthebelknopf und auch keine Temperaturmessanlage integriert. Was tat also ich Schlauberger? Genau! Sporthebelknopf einschalten!! Mein lieber Spitz, ein Düsenjet wäre in dem Fall ein mieser Armleuchter gewesen. Ich fuhr den steilen Bergweg hinauf und musste mich überhaupt nicht abplagen dabei. Es hatte auch kaum eine halbe Stunde gedauert, nach dem Display vorne drauf, ziemlich genau fünfunddreißig Minuten. Dann sah ich plötzlich die Margot und die Marianne vor mir gar nicht locker lässig dahinradeln. Mein Gott haben die Zwei die Pedale massakriert und ihre armen Fahrräder geschunden, obgleich hier nur ein saumäßig brutaler steiniger Anstieg zu bewältigen gewesen war.

      Unser gemeinsames Ziel waren nicht die zwei vor uns schon erkennbaren felsigen Spitzen von Hochscherz und Niederscherz, sondern die am Talboden zwischen den zwei Scherzerln eingebettete Zwischenscherzerlalm.

      Jo mia sand hoit mitn Radl do! So hätte ich ja singen können, wenn mir dieses Lied in der Geschwindigkeit eingefallen wäre. Aber nichts da.