Er ließ auch Jahre lang nichts von sich hören, bis plötzlich - fast mit der ersten Kunde von der Entdeckung des Goldes in Californien - ein Brief von ihm kam, der die unglaublichste Botschaft enthielt. Siebert war nämlich, mit noch vielen anderen Deutschen, in damaliger Zeit unter jenem Trupp von Freiwilligen gewesen, den die Vereinigten Staaten nach Californien schickten, um von dem Land Besitz zu er-greifen. Diese Leute, meist Abenteurer, die aus keine andere Weise ihr Leben hatten fristen können, hielten auch im Anfang vortrefflich aus und gingen nicht aus dem Bereich ihrer Rationen. Kaum aber drang die Kunde der neuentdeckten Goldminen zu ihnen, als sie fast Alle desertirten und sich nun in den Bergen zerstreuten, um nach Gold zu graben.
Eigenthümlicher Weise fielen diese Leute gleich im Anfang auf die reichsten Stellen, und Manche von ihnen gruben allerdings in wenigen Tagen den Goldwerth von Tausenden von Dollars aus den Bergschluchten. Zu diesen gehörte auch Siebert, und wenn auch leichtsinnig, doch von gutem Herzen, schrieb er augenblicklich nach Hause, seine verlassene Familie zu sich zu rufen. Die Beschreibung der californischen Schätze, die er dem Briefe beifügte, lief sogleich mit Blitzesschnelle durch die ganze Nachbarschaft und verleitete Manchen, die eigene Heimath zu verlassen und sich gleichfalls mit so leichter Mühe Schätze zu erwerben. Niemand aber war glücklicher als die Frau Siebert, die von Haus zu Haus zu ihrer Bekanntschaft lief, den Glücksbrief ihres Mannes vorzuzeigen. Wie sie dabei beneidet wurde, läßt sich denken, aber sie verlor /14/ auch keine Zeit, sich und die Kinder zu ihrer Reise zu rüsten. Das Geld zur Ueberfahrt hatte ihr der Mann auf Hamburg angewiesen, und das erste Schiff, das von dort nach San Francisco bestimmt in See ging, nahm sie und die Kinder an Bord, um dem Ruf des Gatten Folge zu leisten und in seine Arme zu eilen.
Unterwegs war die Frau übrigens, in so ärmlichen Verhältnissen sie bis jetzt gelebt haben mochte, mit einer eigenen Art von Ehrfurcht betrachtet worden. Ging sie doch in Californien keineswegs einer ungewissen Zukunft entgegen, und gehörte ja ihr Mann selber mit zu den wenigen Glücklichen, die im ersten Anfang Gelegenheit gehabt, die Schätze jenes wunderbaren Landes auszubeuten. Sie hatten gewissermaßen den Rahm schon abgeschöpft, und die Frau traf jetzt nur dort ein, die Früchte jener leichten Arbeit zu genießen. Ihr Mann wußte dabei gewiß die besten und reichsten Stellen in den Bergen, und hätte ihnen treffliche Anleitung geben können - wenn er eben wollte. Jedermann behandelte deshalb die Frau höchst achtungsvoll und that ihr alles Mögliche zu Gefallen - vielleicht daß sie doch ein gut Wort für sie einlegen konnte.
Dieses ehrfurchtsvolle Betragen der Leute an Bord gegen sie verwöhnte sie aber. Nach dem Brief ihres Mannes mußte sie sich außerdem als eine, ihren Begriffen nach reiche Frau betrachten, und das neue, bis dahin nie gekannte Gefühl: Jemanden protegiren zu können, that das Uebrige. So schüchtern sie an Bord gegangen war, so zuversichtlich wurde sie nach und nach, und ihre Einbildungskraft half ihr dabei sich das Leben in Californien mit den glühendsten, lebendigsten Farben auszumalen.
Der „Assessor" Möhler war gerade das Gegentheil von ihr, und zwar ein Mann schon im reifsten Mannesalter - ein angehender Fünfziger. Er selber sprach allerdings nie über seine früheren Verhältnisse; Einzelne an Bord schienen ihn aber früher gekannt zu haben, und so erfuhren denn die Andere» auch sehr bald, daß er, wenn auch nicht in glänzenden, doch ganz angenehmen, jedenfalls gesicherten Verhältnissen in Deutschland gelebt hatte, und eigentlich nur durch seine ver/15/heiratheten Töchter - kleine Gonerils und Regans, als ein sehr bescheidener König Lear - nach Californien geschickt war. Während er früher Alles, was in seinen Kräften stand, und eigentlich noch mehr, für seine Kinder gethan hatte, ermüdeten diese seine kleinen, sehr unschuldigen Eigenheiten. Zum Reisen hatte er überdies stets Lust gezeigt, und man wußte ihn aus geschickte Art halb zu überreden, halb zu zwingen, daß er noch in seinem Alter „sein Glück" in dem fremden und fabelhaften Goldlandc versuche.
Der Assessor ging allerdings - aber wenn er auch nicht darüber sprach, fühlte er doch, wie er eigentlich behandelt worden und daß er seinen eigenen Kindern im Wege gewesen wäre, und das gab seinem ganzen Wesen etwas Gedrücktes, Schmerzliches. Seine angeborene Gutmüthigkeit ließ es jedoch keinem Andern entgelten wie nur sich selber. Gegen sämmtliche Mitpassagiere war und blieb er, trotz mancher heimlichen und offenen Neckerei, die Gefälligkeit selber, und half, wo er nur irgend konnte. Kein Messer wurde an Bord geschliffen, zu dem er nicht den Stein drehte, kein Knopf angenäht, den er nicht, aus einem beträchtlichen Vorrath solcher Artikel, mit Zwirn und Nähnadel lieferte; sein Kochgeschirr wanderte von Hand zu Hand, und so oft es auch verbogen oder beschädigt 'zu ihm zurückkehrte - so oft er sich dann auch vornahm, es nicht wieder auszuleihen, dauerte solch ein guter Vorsatz doch nie länger als bis zur erneuten Bitte eines Reisegefährten - denn eine Bitte konnte er nun einmal nicht abschlagen.
Schon in Deutschland hatte er sich dabei sehr gern mit kleinen Kindern beschäftigt. Die einzigen jedoch, die er an Bord vorfand, gehörten der Frau Siebert, und die kleinen Wesen merkten gar bald, wie sie mit ihm standen. Wo er sich aufhielt, hingen sie sich an ihn, und er wurde auch wirklich nicht müde, sich mit ihnen zu beschäftigen und sie nach Umständen selbst zu warten und reinlich zu halten. Zugleich wußte er eine Menge Spielereien für sie anzufertigen, malte ihnen Bilder und schnitt ihnen Figuren und Häuser aus Papier, und war mit einem Wort das Factotum der drei Kleinen an Bord. Die Frau hatte das im Anfang mit großem und /16/ aufrichtigem Dank angenommen, und es sich sogar nicht nehmen lassen, dem Assessor, für so manchen ihr erwiesenen Dienst, wenigstens die Wäsche in Stand zu halten. Schon von Rio ab fand sie aber, daß der Mann nur wenig mehr that als die Uebrigen, wenn auch auf andere und nützliche Art. Alle übrigen Passagiere wuschen sich dabei die Wäsche selber, warum konnte es der Assessor nicht ebenfalls thun? Und als er sich endlich den Kübel selber vorholte, seine Hemden einweichte und dann die eigenen Aermel zu der etwas ungewohnten Arbeit aufstreifte, machte sie sich an einem andern Theil des Decks etwas zu schaffen und ließ es ruhig geschehen.
Von da an blieb der Assessor allerdings seine eigene Waschfrau, trotzdem aber auch derselbe Freund und Beschützer der Kinder, mit dem einzigen Unterschied, daß sich die Frau nicht mehr bei ihm dafür bedankte. Wenn sie aber nach Kalifornien kam, hatte sie sich vorgenommen, daß ihr Mann ihm ,,eine gute Stelle sagen solle"; das versprach sie auch dem Assessor aus freien Stücken, und der gutmüthige einfache Mann hatte eine aufrichtige Freude darüber. Kalifornien kam ihm jetzt nicht mehr so fremd und öde vor; er sollte ja einen Freund dort finden, der ihn mit seinem Rath und seiner Erfahrung unterstützen würde. Mit diesen Gefühlen schaute er, das jüngste Kind der Frau Siebert auf dem Arm, nach dem auftauchenden Land hinüber und zeigte dem kleinen dreijährigen Burschen die Berge, „hinter denen sein Vater wohnte".
„Die Frau ist versorgt," sagte jetzt Herr Hufner, aber mit etwas unterdrückter Stimme, zu dem Apotheker - „der Mann hat ein Heidenglück gehabt."
„Wer? - der Assessor?"
„Bst - sprechen Sie nicht so laut - nein, ich meine jener Siebert. Ich weiß nicht, wie viel tausend Dollar der und seine Kameraden im Ganzen förmlich aus der Erde geschaufelt haben. Der Stellen giebt es aber noch mehr, und die Matrosen haben da ein vortreffliches Sprüchwort: Es sind noch so gute Fische im Meer, wie je herausgekommen."
„Ja," sagte Ohlers, „und: was Deines Amts nicht ist, /17/ da laß Deinen Vorwitz, ' oder: Schuster bleib bei Deinem Leisten."
„Wie so?" frug Herr Hufner verwundert.
„Nun, ich meine nur," erwiderte Ohlers trocken. „Die aber, denk' ich, die sich das als ein so großes Vergnügen vorstellen, eine Schaufel statt Spazierstock und eine Spitzhacke statt Regenschirm zu tragen, werden am Ende doch wohl finden, daß sie sich eine verwünscht unbequeme Unterhaltung ausgesucht haben. Nun - der Geschmack ist verschieden. - Aber - wenn ich nicht irre, kommt da unser verrückter „Amerikaner" angeschlichen. Bin auch neugierig, was der eigentlich in Kalifornien verloren hat, und was er dort mit seiner Frau anfangen will."
Der Passagier, von dem er sprach, war ein noch junger, schlanker und blasser Mann, ein geborener Amerikaner, der auf dem Schiff, seines scheuen, abgeschlossenen Wesens wegen, kurzweg den Beinamen des „Verrückten" erhalten hatte. Schiffs-Passagiere sind außerordentlich rasch mit solchen Beinamen bei der Hand. Er war erst in Valparaiso mit einer jungen,