Wandlaterne seinen Kahlkopf heftig beleuchtete, stemmte die Tatzen auf
die Kante und sagte plump:
»Wollen Sie was von mich, Herr?«
»Geben Sie mir,« verlangte Unrat leichthin, »eine Eintrittskarte für das
Sommertheater.«
»=Wat= sagen Sie?« fragte der Mann.
»Nun ja, für das Sommertheater. Da Sie denn nun einmal in Ihrem
Schaufenster anzeigen, daß Sie Billette zum Sommertheater verkaufen.«
»Wat soll ich doorvon denken, Herr,« und der Mann behielt den Mund
offen. »Das Sommertheater speelt doch nich in 'n Winter.«
Unrat versteifte sich auf sein Recht.
»Aber Sie haben es im Fenster, Mann.«
»Door kann 't jä ook bliewen!«
Das war herausgeplatzt; aber der Heuerbas nahm seine Achtung vor dem
bebrillten Herrn gleich wieder zusammen. Er suchte nach Gründen, die den
Fremden überzeugen konnten, das Sommertheater sei jetzt geschlossen. Um
seiner behutsamen Gedankenarbeit körperlich nachzuhelfen, gab er mit
seiner fürchterlichen, rotbehaarten Hand der Tischplatte von der Seite
ganz vorsichtige Streiche. Schließlich hatte er gefunden:
»Das weiß jä woll de dümmste Schooljong,« sagte er gutmütig, »daß in 'n
Winter kein Sommertheater is.«
»Erlauben Sie, Verehrter,« machte Unrat, überlegen abwehrend.
Der Mann rief zu Hilfe:
»Hinnerich! Laurenz!«
Die Matrosen kamen näher.
»Ick weit nich, wat mit em los is, hei will mit alle Macht in 'n
Willemsgorten.«
Die Matrosen rollten Kautabak in den Mündern. Sie und der Heuerbas
starrten angestrengt auf Unrat, als sei er ein sehr weit Hergekommener,
etwas wie ein Chinese, den man nun verstehen sollte. Unrat empfand dies;
es befiel ihn Hast, hier fertig zu werden.
»Dann könnten Sie mir wenigstens sagen, Mann, ob vorigen Sommer in dem
bewußten Theater ein gewisses Fräulein Fröhlich mitgespielt hat -- Rosa
Fröhlich.«
»Wo soll ich das woll herwissen, Herr?« Der Mann war vollkommen
verblüfft. »Meinen Sie, Herr, ick gew mich mit die Zirkusminscher aff?«
»Oder doch,« sagte Unrat Hals über Kopf, »ob die erwähnte Dame im
kommenden Jahr uns -- immer mal wieder -- durch ihre Leistungen erfreuen
wird.«
Der Heuerbas sah erschreckt aus; er verstand kein Wort mehr. Einer der
Matrosen hatte etwas gefunden:
»Hei makt sick 'n Jux, Pieter, hei will di uzen!«
Darauf legte er den Kopf in den Nacken und lachte, glucksend und
dröhnend, aus schwarz geöffnetem Rachen. Die andern stießen sich an und
machten es dann ebenso. Dem Heuerbas schien es zwar keineswegs, als ob
dieser Fremde sich lustig machte; aber er sah den Respekt in Gefahr, den
seine Kunden vor ihm haben mußten: diese Leute, die er verdang, die er
den Kapitänen aufs Schiff lud, zusammen mit Zwieback und Ginever. Er
verfiel unvermittelt in eine künstliche Wut, färbte sich wild, schlug
auf den Tisch und streckte einen gebieterischen Finger aus.
»Herr! Ich hab' mehr zu tun, ich bün Ihr Aap nich! Sehn Sie sich mal die
Tür an, da achter Ihnen is sie!«
Und als Unrat noch einen Augenblick betäubt auf seinem Platz blieb, traf
der Mann Anstalt, hinter seinem Tisch hervorzukommen. Unrat klinkte
rasch die Tür auf. Der Papagei schrie ihm nach: »Duhn supen!« Die
Matrosen brüllten vor Lachen. Unrat schloß die Tür.
Er bog scharf um die nächste Ecke und entkam aus der Hafengegend in
stille Straßen. Er zensierte das Vorgefallene.
»Dies war ein Fehler. Dies war -- freilich nun wohl -- ein Fehler.«
Die Künstlerin Fröhlich mußte auf einem andern Wege ausfindig gemacht
werden. Unrat sah sich die Begegnenden daraufhin an, ob sie etwas von
ihr wüßten. Es waren Lastträger, Dienstmädchen, der Laternenanzünder,
eine Zeitungsfrau. Mit dem Volk war keine Verständigung möglich: er
hatte die Erfahrung gemacht. Auch lud ihn sein jüngstes Erlebnis dazu
ein, bei der Anknüpfung mit Unbekannten vorsichtig zu sein. Weiser war
es, nach einem schon vertrauten Gesicht sich umzusehen. Aus der nächsten
»Grube« tauchte eben eines auf, dem Unrat noch voriges Jahr mit wütender
Betonung lateinische Verse zugeschrien hatte. Der Schüler, der »seins«
nie »präpariert« hatte, schien jetzt Handlungslehrling zu sein. Er
näherte sich mit einem Packen Briefe in der Hand und sah geckenhaft aus.
Unrat ging auf ihn zu, machte schon den Mund auf, wartete nur noch auf
den Gruß des jungen Menschen. Der aber erfolgte nicht. Der ehemalige
Schüler sah dem Professor höhnisch in die Augen und ging dicht an Unrats
zu hoher Schulter vorbei, wobei auf seinem blonden Gesicht das Grinsen
erschrecklich breit ward.
Unrat verschwand rasch in die »Grube«, woher der andere gekommen war. Es
war eine der nach dem Hafen sich senkenden Straßen; und da sie
abschüssiger ging als die andern, hatten sich hier zahllose Kinder
zusammengefunden, um in kleinen Wagen mit vollen Rädern, lärmenden
»Bullerwagen«, den Berg hinabzufahren. Die Mütter und Mägde standen auf
dem Bürgersteig, erhoben die Arme und riefen zum Abendessen; aber die
junge Welt stürzte unablässig, kniend in ihren Wagen oder die Beine in
der Luft, mit wehenden Halstüchern, über die Ohren geklappten Mützen und
zum Jubeln offnen Mündern, holpernd das Klinkerpflaster hinunter. Unrat
mußte, wie er die Straße überschritt, Sprünge machen, sonst geriet er in
die Deichsel. Um ihn her spritzten Pfützen auf. Aus einem
vorüberrasenden Wagen rief plötzlich eine durchdringende Stimme:
»Unrat!«
Unrat zuckte zusammen. Sofort wiederholten einige andere das Wort. Diese
Bürger- und Volksschüler hatten