»Zu dienen, Herr Professer,« und die Frau knixte, »zu dienen.«
Rindfleisch bedachte sich; dann verlangte er die Lampe.
»Denn sitten wi jä all' in'n Dustern bi'n Eeten,« bemerkte die Frau
heiter. »Nöh, Herr Professer, kommen Sie man rein, ich mach Licht für
Ihnen in der blauen Stube.«
Sie ging voran in einen Raum, wo es kalt war, und zündete Unrat zu Ehren
die beiden unversehrten rosa Kerzen an, die sich über ihren krausen
Manschetten und flankiert von zwei großen Muscheln, im Trumeau
spiegelten. An den kraßblauen Wänden verweilten in sonntäglicher Haltung
Großvatermöbel aus Mahagoni. Auf der gehäkelten Decke des Sophatisches
breitete ein segnender Christus seine Biskuitarme aus.
Unrat wartete, bis Frau Rindfleisch hinaus war. Als er den Schuhmacher
hinter geschlossener Tür und recht in seiner Gewalt hatte, setzte er
ein.
»Vorwärts denn also, Meister, jetzt heißt es zeigen, daß Sie, der Sie
einige kleinere Arbeiten zur Zufriedenheit des Leh-- zu meiner
Zufriedenheit bewerkstelligten, auch ein recht braves Paar Stiefel
schaffen können.«
»O ja, Herr Professer, o o oh ja,« erwiderte Rindfleisch demütig und
beflissen wie ein Primus.
»Mag ich immerhin schon im Besitz zweier Paare sein, so kann bei der
jetzt vorwaltenden Nässe doch niemand sich genug tun an guter, warmer
Fußbekleidung.«
Rindfleisch kniete und maß. Er hatte den Bleistift zwischen den Zähnen
und grunzte nur.
»Andererseits ist dies die Jahreszeit, die gewöhnlich etwas Neues in die
Stadt bringt, ein wenig -- sicherlich doch -- geistige Erholung. Die ist
es denn wohl auch, die dem Menschen nottut.«
Rindfleisch sah auf.
»Sagen Sie das man noch mal, Herr Professer. Ja ja jah, die tuhet dem
Menschen not. Und das weiß unsere Brüdergemeihende auch.«
»So so,« machte Unrat. »Aber ich denke an den Besuch ausgezeichneter,
unter den Menschen hervorragender Persönlichkeiten.«
»Da denk' ich auch an, Herr Professer, und da denkt auch die Gemeihende
an und versammelet uns Brüder am morgigen Abende zum Gebet mit einem
berühmten Missionar. Ja o jah.«
Unrat fand es schwierig, zur Künstlerin Fröhlich zu gelangen. Er suchte
eine Weile, und als er keinen Umweg mehr fand, ging er gradaus.
»Auch in der Gesellschaft für Gemeinsinn zeigt sich uns nächstens --
immer mal wieder -- eine Berühmtheit. Eine Künstlerin -- Sie werden ja,
so gut wie jedermann, von ihr gehört haben, Meister.«
Rindfleisch schwieg, und Unrat wartete mit Leidenschaft. Er war
überzeugt, was er brauchte, steckte in dem Menschen zu seinen Füßen, und
es liege nur an ihm, es herauszuziehen. Die Künstlerin Fröhlich hatte in
der Zeitung gestanden, war im Lehrerzimmer besprochen worden, hing im
Fenster bei Kellner. Die ganze Stadt wußte Bescheid über sie, außer
Unrat. Jeder andere hatte mehr Weltläufigkeit und Personenkenntnis als
Unrat: er lebte, ohne daß er's selber wußte, tief in dieser Vorstellung;
und er wandte sich mit vollem Vertrauen an einen Herrnhutischen Schuster
um Auskunft über eine Tänzerin.
»Sie tanzt, Meister. In der Gesellschaft für Gemeinsinn tanzt sie. Ei,
da werden nun die Leute hinlaufen.«
Rindfleisch nickte.
»Die Leute machen es sich woll nich klar, Herr Professer, wo sie
hinlaufen,« sagte er gedämpft und bedeutungsvoll.
»Sie tanzt ja barfuß, das ist doch eine seltsame Fertigkeit, Meister.«
Unrat wußte nicht, wie er den Mann noch anfeuern solle.
»Denken Sie nur: barfuß!«
»Barfuß,« wiederholte der Schuster. »O o oh! Also tanzeten auch die
Weiber der Amalekiter, die vor dem Götzen tanzeten.«
Und er stieß ein leeres Gelächter aus, nur aus Demut, weil er, der
ungelehrte Mann, sich mit Worten der Schrift zu schmücken wagte.
Unrat rückte gepeinigt hin und her, wie bei der Übersetzung eines
Schülers, der stockte und gleich festzusitzen drohte. Er hieb mit den
Knöcheln auf die Stuhllehne und sprang auf.
»So lassen Sie's nun gut sein mit dem Maßnehmen, Meister, und sagen Sie
mir -- vorwärts denn also! -- ob die Barfußtänzerin Fröhlich schon
eingetroffen ist! Das sollten Sie wohl wissen!«
»Ich, Herr Professer?« Und Rindfleisch stand bestürzt, »ich -- eine
Tänzerin?«
»Dadurch werden Sie auch nicht schlechter,« behauptete Unrat ungeduldig.
»O o oh, ferne von mir sei der geistige Hochmut und die
Selbstgerechtigkeit. Und Liebe im Herrn, Herr Professer, will ich denn
auch haben für meine barfüßige Schwester, o jah, und will bitten, daß
der Herr an ihr tuhe, was er an der Sünderin Magdalena getan hat.«
»Sünderin?« fragte Unrat überlegen. »Warum halten Sie denn die
Künstlerin Fröhlich für eine Sünderin?«
Der Schuhmacher blickte keusch auf den geölten Fußboden.
»Ei ja,« versetzte Unrat, immer unzufriedener mit dem Meister, »wenn
Ihre Frau oder Ihre Tochter einen Lebenswandel beginnen wollten wie eine
Künstlerin, das stände ihnen -- freilich denn wohl -- nicht an. Hingegen
gibt es Lebenskreise und Sittengesetze: -- doch mag's denn genug sein.«
Und er machte eine Handbewegung, die sagte, daß hier ein Gegenstand in
Tertia berührt ward, der höchstens nach Prima gehörte.
»Auch mein Weib ist eine Sünderin,« sagte der Schuster leise, schob die
Finger über dem Magen durcheinander und sah auf, mit einem
Bekennerblick.
»Und ich selbsten muß sprechen: Herr Herre. Denn Fleischessünder sind
wir allzumal.«
Nun erstaunte Unrat.
»Sie und