Leopold Schnackenburg ( geb. 1909 in Spandau und wie unser Vater ebenfalls ein Enkel des Ernst Leberecht Wüst) erlebte die Spätzeit des Schlosslebens in Peterhoff und schreibt darüber in seiner Chronik. Otto Chomse (1882 -1939) war der letzte Majoratsherr nach Ferdinand Chomse. Otto und seine Frau Charlotte hatten acht Kinder, der älteste Sohn Kuno war im Alter von Leopold Schnackenburg, die Schwestern Herta und Eva etwas jünger, dazu noch fünf kleine Geschwister.
„Das war die Familie, in deren Zeit ich mit meinen Eltern (seine Mutter Dorothea war eine Tochter Ernst Leberecht Wüsts) oder auch nur mit meinem Vater Peterhoff mehrmals besucht habe. Es war für uns eine andere Welt. Der klassizistische, weiß leuchtende Bau mit dem großen Buchenwald dahinter wirkte wie ein romantisches Bild aus vergangenen Zeiten. Im dichten Wald, auf einem Hügel an der Ossa, befand sich die Familiengruft, die in der Stille und unter den hohen Buchen besonders feierlich wirkte.
In einer Remise gab es noch einige alte Kutschen und Schlitten, die allerdings nur noch selten benutzt wurden. Im Esszimmer, aus welchem man über die Terrasse in den Park bis zum Wald sehen konnte, war jeden Morgen eine große Frühstückstafel gedeckt mit selbstgebackenem Brot, Butter und Honig (in großen Schüsseln). Dort habe ich auch das erste und einzige Krebsessen meines Lebens mitgemacht. Jeder bekam eine Suppenterrine mit Krebsen! Die Tiere stammten aus dem Sallnower See, dessen eine Hälfte ja zum Gut gehörte.
Meinen letzten Besuch in Peterhoff – August 1928 – habe ich in besonderer Erinnerung. Ich war 19 Jahre alt, Eva Chomse drei Jahre jünger. Wir beide waren besonders viel zusammen und ich verliebte mich etwas in sie. Wir spielten Tennis, richtiger: wir versuchten es. Das war nämlich etwas mühselig, denn die als Tennisplatz dienende Rasenfläche im Park war sehr uneben. So war die Flugbahn der Bälle nie abzuschätzen. Dabei haben wir mehr gelacht als Tennis gespielt. Auch Abendspaziergänge in den Wald gab es. Leider wollten meist einige der jüngeren Geschwister dabei sein, so dass Eva und ich kaum ungestört waren. Der romantischen Schwärmerei tat dies aber keinen Abbruch. In diesem Sommer besuchte auch Esther Kalmukow Peterhoff. Sie war eine Schwester von Lotte Chomse und in Graudenz als Klavierlehrerin tätig. Im Eckzimmer von Peterhoff stand ein Flügel. Auf diesem spielte Esther häufig, vor allem Chopin und Liszt. Eva und ich haben oft dabei gesessen und zugehört. Gerade diese Musik bildete mit dem Charakter des Schlosses, mit der Aussicht in den Park und zum Wald, also mit der ganzen Stimmung einen so vollendet harmonischen Gleichklang, dass ich dieses Musikerlebnis nie vergessen werde.
Aber die Glanzzeit von Peterhoff war damals schon vorbei. Das Gut und Peterhoff selbst machten einen etwas verwahrlosten Eindruck. Der frühere Wohlstand war vergangen. Wie meine Tante Jenny in ihren Lebenserinnerungen schreibt, drückten auch Schulden, die Otto Chomse aufgenommen hatte.
1939 wurde Peterhoff bei den ersten Gefechten des Zweiten Weltkrieges beschossen und schwer beschädigt. Otto Chomse war vorher in Richtung Osten verschleppt worden und dabei umgekommen. Sein ältester Sohn Kuno hat Gut Orle mit Peterhoff nach Kriegsende verkauft, wie mir seine Schwester Hertha berichtete. So endete dieser Familienbesitz. In den jetzigen polnischen Landkarten ist Peterhoff nur noch als „Ruine“ verzeichnet.
Zunächst hatte ich von alldem nichts erfahren. Während meines Einsatzes als Funker in Narvik sah ich 1941 eines Tages im Kino den Film „Reitet für Deutschland“, dessen Anfang mit dem zerschossenen Schloss Peterhoff als Kulisse gedreht worden war. Welcher Schock mir da versetzt wurde, als mich diese Bilder unvermittelt ansprangen!“
Schloss Peterhoff steht nicht mehr. Das wussten wir vorher, aber gerade das macht die Suche nach einer Vergangenheit dort nicht einfacher. Vergleiche früherer und heutiger Messtischblätter lassen uns einen verwachsenen Feldweg finden, der zwischen einer noch dichteren Wildnis am Waldrand endet. Hier ist aber, so sieht es aus, der Beginn der ehemaligen Linden-Allee erkennbar, welche sich schnurgerade in West-Ostrichtung durch die leicht gewellte Wiesen-Wald-Brachlandschaft zieht, besser gesagt: zog. Früher war das Land natürlich bewirtschaftet und gegliedert. Heute ist der vermutete, ehemalige Weg fast zugewachsen. Halb verlandet sind auch die Seen zwischen Wiesenbrache und Waldwildnis, - ein Storchenparadies auch hier.
Wir unternehmen einen ausgedehnten Spaziergang bis zur Ossa hinunter, begleitet von den Vorstellungen der früher hier herumspringenden, badenden Jugend. Wie mögen ihre Stimmen geklungen haben? Wie sahen sie aus, wie benahmen sie sich? Wie redeten sie miteinander? Nach dem legendären Grabgewölbe suchten wir vergeblich, obwohl wir meinten, dessen Ort im Gelände ausfindig machen zu können. Aber alle möglichen, halb erwarteten Stein-, Mauer- oder Grabplattenreste sind entweder weggebracht worden oder überwuchert. An einem wackligen Holzsteg endet der Pfad. Unter uns fließt, träge und braun, die alte Ossa, überhangen von Zweigen und Gestrüpp.
Hätten die damals jugendlichen Vorfahren von uns gewusst, hätten sie gesehen, wie wir hier von uns Vieren, - auch schon in fortgeschrittenem Alter -, ein Foto aufnehmen… Was für eine merkwürdige Vorstellung.
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