Wege zum Großvater. Gabriele Engelbert. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gabriele Engelbert
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742774668
Скачать книгу
Mal ein kleines Abschiedsfest mit Feuerwerk, einer Bowle und einem Tänzchen. Tante Gustchen als Pfarrerstochter hatte eine tiefe echte Frömmigkeit. Zur Kirche in Grutta fuhr man selten, Tante Gustchen hielt jeden Sonntag am Gewölbe, dem Erbbegräbnis im Walde, eine kleine Andacht.

       Die Schulfeste am 12. Oktober sollen immer sehr nett gewesen sein. Die 12 Kinder kamen mit ihrem Lehrer zum Mittag anmarschiert. In ihren Uniformen sahen sie aus wie kleine Kadetten. Es gab Suppe, Hasenbratgen mit Schmorkohl, wovon Berge vertilgt wurden. Dann waren draußen Spiele, bei denen Preise verteilt wurden. Zwischendurch war Kaffeetafel mit viel Kuchen, und die Kinder sangen. Nach dem Abendbrot ging es wieder singend nach Hause.“

       Zum Rittergut Orle und dem Majorat und den daran gebundenen besonderen Verpflichtungen heißt es in der Chronik Leopold Schnackenburg ergänzend:

      „“Er (der Majoratsherr) musste im Dorf Orle ein Schulhaus bauen lassen und darin 12 Waisenknaben erziehen und unterrichten lassen. Das Lehrerehepaar musste die Knaben beköstigen und in allem versorgen. Diese Waisenkinder wurden im Lauf der Jahre aus mit der Familie Chomse verwandten Häusern aufgenommen und hatten eine gute Jugend. Orle lag wunderschön, direkt am Walde, auch ein riesiger Obstgarten gehörte zur Schule. die Jungens konnten, wenn sie es zum Studenten gebracht hatten, je ein jährliches Stipendium von 600 Mark vom Majorat beziehen. Alle vier Jahre wechselten die Stipendiaten.“

       Über Besuche in Orle berichtet „Tante Jenny“ Jenny Rosenbaum, verheiratet mit Walter Rosenbaum (die Mutter von obiger Therese Skowronski) aus ihrer Kindheit:

      „Diese Zeit in Orle war für uns Kinderganz wonnevoll. Ein langgestrecktes, behagliches Gutshaus, Vorderfront in den Garten, Hinterfront Wirtschaftsräume nach dem Hof. Viel Geflügel dort hinten, die Küche mit der „Mamsell“, die kochen und bakcen musste, und mehrere Hausmädchen. Der Orler Garten war unser Spielp0latz, zwei Fontänen gab’s vor dem Haus, ringsum mit Blattpflanzen geziert. Wenn ich heute noch an ähnlich duftenden Pflanzen vorbeigehe, steht mir der Orler Springbrunnenvor der Nase. Wir mussten in dem größeren Springbrunnen täglich baden, was uns nie sehr angenehm war, denn unten am Boden und auch auf dem Wasser schwammen Wasserkräuter, d8ie zwar weich, aber unheimlich anzufühlen waren. Später hat mir Vetter Ernst erzählt, dass er und seine Brüder sich immer in den Sträuchern versteckt hatten und uns beobachteten. Wir wären so reizende Kinder gewesen.

       Einmal fuhr uns das Orler Fuhrwerk nach Peterhoff, dem vom Großvater erbauten Jagdschloss, das leer stand. Ich besinne mich noch auf große Räume, mit nichts möbliert als mit grau gestrichenen und mit rotem Kattun gepolsterten Sitzbänken an den Wänden. Aber herrlich war der Wald davor und daneben.

       Von Orle aus gingen die Erwachsenen oft in den Wald. Zu Anfang fanden wir unter hohen kiefern oft Champignons, nachher tiefer auf der „Linie“ Steinpilze und andere. Wir Kinder durften die Pilze nicht abreißen, da kam einer der Onkel und schnitt den Stiel ab, damit die Wurzel nicht verletzt wurde. Die einfachsten Pilze waren Rehfüßchen (Pfifferlinge), die in Gruppen zusammenstanden und nicht zu verwechseln waren. Auch viele Erdbeeren gab’s im Wald, die den Gartenerdbeeren aus dem Orler Gutsgarten vorgezogen wurden.

       Dieser Orler Garten hatte versteckt eine Kegelbahn, auch Schießscheiben, wo sich die Herren amüsierten. Er führte bergab an den Orler See, ein grünlich schimmerndes, klares Wasser, wo die Groen badeten und schwammen. Weitere Seen waren der Sallnoer See, zur Hälfte zu Orle gehörend, der Gruttaer See, zu dem Kirchdorf Grutta gehörend. Dort lag dicht an der Kirche der Urgroßvater Jakobus von Pradzinski, der seine letzten Lebensjahre in Orle zugebracht hatte und katholisch war, wie seine Söhne auch.“

       Ernst Wüst, ältester Sohn von Dr. Ernst Leberecht Wüst (dem Schuldirektor in Osterode) schreibt von Schloss Peterhoff als Mittelpunkt der Familien Chomse, Wüst und Schnackenburg zur Zeit des Besitzers Dr. Ferdinand Chomse:

      „Wir ritten oft von Mühle Slupp nach Peterhoff durch die herrlichen Wälder und fanden dort stets eine Menge von Verwandten vor, die auf dem Majorat ihre Ferien verlebten. Ich bin öfter wochenlang dort gewesen. Mein Onkel Ferdinand und meine Tante Guste (siehe Gustchen oben) waren vorbildliche Wirte, die die zahlreichen Gäste glänzend bewirteten, oft 30 Personen und mehr. Im Ersten Stockwerk waren zwei große Säle, in deren einem die Jungen, in dem anderen die Mädchen schliefen. Es herrschte immer viel Leben und Heiterkeit.“

       In den Aufzeichnungen der „Tante Jenny“ heißt es dazu:

      „In den großen Schulferien wurden wir alle zwei Jahre zu Onkel Ferdinand nach Peterhoff eingeladen. Mit welch zitternder Vorfreude wir das Herannahen des Juli erwarteten, kann man sich kaum vorstellen. Vater besorgte die sechs Fahrkarten (er selbst kam manchmal nach) und abends ging’s dann vom Hallenser Bahnhof ab nach Posen, Jablonowo, Melno, wo wir gegen Mittag ankamen. Das Fuhrwerk mit dem Lewanstowski stand in Melno parat und fort ging’s über Dorf Grutta, an Kirche und See gelegen. Am Gasthof wurde Halt gemacht, der war ja Majoratseigentum, erst vom Zerfofski gepachtet, mit dem unser Vater im Kriege war, nach dessen Tod von Taube, der eine Krebs zur Frau hatte. Im Schwung bogen dann die Pferde nach der Chaussee ab, über Annaberg nach dem Sallnower See. Von dort sah man den Peterhöffer Wald, die geliebte Lindenallee und das Schloss Peterhoff, ein weißer Kasten mit je einem Turm rechts und links. An der Auffahrt hinten standen Chomses, Onkel Ferdinand und Tante Gustchen, stürmische Begrüßung.

Grafik 4

      Schloss Peterhoff, etwa 1910

Grafik 5

      Gutshofsgebäude Peterhoff, etwa 1902

       Das Ferienlebgen war äußerst frei. Morgens nach dem Aufstehen unten im großen Verandazimmer Kaffeetrinken mit Landbrot, Butter oder Honig. Dann taten sich die Gruppen zusammen, gingen in den Wald, die Herren spielten Kegel rechts an den großen Buchen, die Mädels machten Handarbeiten auf der herrlichen Veranda oder halfen Kirschen aussteinen, bohnen schnitzeln, Rebhühner rupfen unten im Freien, Erdbeeren und Pilze suchen.

       Zur großen Mittagstafel waren wir dann wieder alle zusammen. Nach Tisch allgemeines Ausruhen.

       Nach dem Kaffee wurden dann die Badeanzüge geholt, die Herren und Knaben gingen zum Sallnoer See, die weiblichen Gebilde an die Ossa. Dorthin führte der Weg an Gewölbe vorbei, Ruhestätte von Großvater Rudolf Chomse. Ein sehr geschmackvolles Grabmal unter hohen Buchenkronen. Hier standen auch zwei Bänke aus Bi8rgenstämmen und am Sonntag las dort vormittags Tante Guste oder Tante Hermine eine Predigt vor, an der wir jungen Mädchen uns immer beteiligten. Vom Gewölbe geradeaus ging’s dann eine primitive Treppe mit Birkengeländer und Birkenstämmen als Stufen die Parowe hinunter nach dem Ostrow. Rechts an diesem führte ein reizender Fußweg den Berg entlang bis zur Badestube. Dies war eine Holzbude mit Türen nach dem Ostrow und der Ossa hin, von dort führte eine kleine Holztreppe mit Geländer ins Wasser.

       Die Ossa ist ein entzückendes Flüsschen, das kurz vor Graudenz in die Weichsel mündet, rechts und links von bewaldeten Hügeln begrenzt. Die Strömung an der Badestelle war schwach, und die Tiefe nur in der Mitte so, dass man schwimmen konnte. Mühle Slupp und

       Mühle Klodtken wurden von dem Flüsschen getrieben, beide wunderschöne Wohnsitze. Nach dem baden erkletterten wir oft die rechte Ostrowhöhe, wo oben eine Rasenbank in halbrundr Form eine gute Aussicht bot über den Orler Wald, Karasseck und bis zum halben Sandweg nach Mühle Slupp. Was wir an Erdbeeren, Himbeeren und mehr unterwegs fanden, wurde in den Mund gesteckt. Oft gab es damals Krebse zum Abendbort. Der gute Onkel Ferdinand musste uns erst zeigen, wie man die zerteilte, das hat mir im Leben später gut genützt. Abends durften wir jungen Leute oft an den Sallnoer See gehen, um mit Kienfackeln nach Krebsen zu greifen, das war ein großer Spaß. Auch durften wir nach dem Abendessen auf den großen Strohstaken klettern hinten auf dem Hof, dort wurden wir von den Vettern Ernst und Theodor in die Sternkunde eingeweiht, immer eine herrliche Unterhaltung. Draußen dufteten die Linden aus der großen Allee,