Sie konnte Geld verdienen, festhalten und hatte obendrein noch welches, vom Papa, der war ein hohes Tier in der Industrie.
Bei Mama und Papa W. war ich allerdings nicht so beliebt. Für die war ich eher so eine Art Windhund. Es gibt Leute, die mich durchschauen können, es waren nicht so viele, aber die Eltern W. gehörten dazu, glaube ich.
Ich war eher geduldet: ‚…wenn das Töchterchen unbedingt den will ... aber wir werden ihm auf die Finger schauen!’
So einen Eindruck ungefähr hatte ich von Mama und Papa W. .
Irgendwann ist Elli nicht mehr da gewesen, als ich in unsere hundertzehn Quadratmeter große Wohnung in Hamburg-Heimfeld zurückkam, von einem Kundenbesuch in Frankfurt.
Sie war leider etwas neugierig und hat ein Päckchen von Irene geöffnet, das mit der Post gekommen war.
Irene arbeitete früher als Video-Modell für den selben Laden, für den ich jetzt in Amsterdam tätig bin und hat mich dankenswerter Weise immer mit heißen, selbstgedrehten Videos versorgt und damit meine immer schon recht schief geartete Lust bedient.
Irene ist jetzt mit einem Zahnarzt verheiratet und Elli ist nun Stewardess bei der Airline mit dem Kranich. Beides schade.
Auf nach Hamburg
Nachdem Elli weg war, zurück nach Düsseldorf zu Mama und Papa, zog ich ins Niebuhr-Hochhaus. Warum das so heißt weiß ich nicht.
Damals, als ich noch in Krefeld wohnte, haben sie oft im Fernsehen berichtet von diesem Haus. Es hat fünfzehn Etagen und jede Woche sprang irgendwo jemand aus dem Fenster. Verwahrlosung, aufgebrochene Wohnungen, überall roch es säuerlich nach Pisse auf den Gängen, im Treppenhaus Abfall und Kotze, mitten darin schliefen Penner den Rausch von billigem Korn aus, den sie eine halbe Stunde zuvor auf der Reeperbahn am Kiosk völlig überteuert erstanden hatten
Das war damals.
Als ich dort einzog, war alles neu renoviert, all die ekligen Mieter raus und dafür ein gemischtes Grüppchen aus Huren, Zuhältern, Tänzerinnen und Alt-Luden, die "schon immer hier auf dem Kiez" wohnten.
Das Niebuhr-Hochhaus steht am Ende der Reeperbahn, in St. Pauli, dem wie ich finde schönsten Flecken in Hamburg, wenn nicht sogar auf der Welt. Sagte ich das schon?
Ich bekam eine Anderthalbzimmerwohnung im Dreizehnten mit Blick über den ganzen Kiez und den Hafen, die Landungsbrücken. Für dreizehnhundert Märker, warm.
Ich liebte diese Wohnung.
Der Kiez! - und ich mitten drauf, oben drüber.
Nur leider noch nicht richtig drin.
Nach einem halben Jahr zwischen Ohnmacht und Todessehnsucht wegen Elli und der Einsamkeit der Großstadt, in der ich kaum jemanden kannte, weil Elli mich ständig in Beschlag genommen hatte, beschloss ich, auf dem Kiez mein Geld zu verdienen.
Ich zog nachts um die Häuser und sah bald ein Schild im Fenster eines neu zu eröffnenden Table-Dance-Ladens, auf dem Kellner gesucht wurden.
Kellner! Klar, kann ich, kein Problem.
Man wird ja wohl noch ein paar Gläser auf einem Tablett durch die Gegend tragen können. Höflich bin ich auch. Ich hatte schließlich eine gute Erziehung genossen.
Was ich nicht wusste war, was ein Kellner auf der Reeperbahn wirklich macht.
Er bescheisst von vorne bis hinten, wird nach Umsatz bezahlt und verdient ein Wahnsinnsgeld. Damals war das zumindest noch so. Heute leider nicht mehr… Dazu später.
Den Kellnerjob habe ich nicht bekommen.
Dafür wurde ich Discjockey in dem Laden.
Auch kein Problem!
Für jemanden, den Musik bis dahin nicht die Bohne interessierte, der nicht mal wusste, wie herum eine CD in den Player gehört - alles Lernenssache.
Die Kiez - Family
`Kiez’ ist eigentlich ein Begriff, der glaube ich eher aus Österreich kommt. Ein Kiez ist eigentlich ein Viertel. Mehr nicht. Jedes Viertel ist ein Kiez. Aber der Kiez ist nicht in jedem Viertel. Nur in Hamburg. In St.-Pauli. Auf der Reeperbahn. Nur dort ist der Kiez wirklich Kiez.
Sechs für mein Leben wichtige, beeinflussende Jahre lang war ich dort. Jahre und Erfahrungen, die mich geprägt haben, meinen Begriff von Menschen verändert haben.
Nach Ellis Flucht aus unserer gemeinsamen Wohnung und meinem Entschluss, dem Hamburger Kiez auf den Grund zu gehen, habe ich zunächst mich verändert.
Ich habe neue Leute kennen gelernt, gleich haufenweise. Das war zuvor nie meine Stärke gewesen. Leute, von denen ich mir die für mich, nach meinen Kriterien, am besten geeignetsten aussuchen konnte, Menschen, die für mich Freunde oder gute Bekannte werden sollten, oder Menschen, die mir einfach egal sein sollten.
Ich mache große Unterschiede zwischen Freunden und Bekannten. Freunde hast Du eigentlich fürs Leben, so habe ich damals gedacht und empfunden, meine Hamburger Zeit hat mich später ein anderes gelehrt.
Ich war ein ganz normaler, großer Junge, einunddreißig schon, als ich bei meinen täglichen Langeweile - Streifzügen durch Hamburg - St. Pauli immer wieder an dem gleichen Laden vorbeikam, der früher einen Pizzeria war und nun gerade umgebaut wurde. Er nahm mit der Zeit Form und Gestalt an, und bald war zu erkennen, das es ein neuer Table-Dance wurde.
Seit meinen ersten Fernseh-Eindrücken von der Reeperbahn, damals in Mutters Wohnzimmer, war ich fasziniert von den bunten Lichtern, den leichten Mädchen und Schweren Jungs.
Damals schon wusste ich, hierher musst Du eines Tages, das ist Deine Welt.
Nun war ich hier, ohne Kohle und ohne Arbeit, das Schicksal fügte sich, hier Geld verdienen zu müssen, wo ich doch schon hier wohnte.
Als ich noch mit Elli zusammen war, war ich oft zu Besuch gewesen in einem Table-Dance, "Girlie’s" hiess er. Natürlich ohne Elli. Ich liebte die Atmosphäre, die nackten Mädchen auf der Bühne, eine Erfüllung für den heimlichen Voyeur. Und ich gab dort auch zügig meine letzten Groschen, die mir die intensive vierzehn-Stunden-pro-Tag-Arbeit zusammen mit Elli in unserer gemeinsamen kleinen Promotion-Agentur eingebracht hatte, für leichte Mädchen und Sekt -den Piccolo für fünfundfünzig Mark, die halbe Flasche für zwofünfundachtzig-, gerne aus.
Der Laden, an dem ich so oft vorbeiging, war kurz vor der Fertigstellung.
Es war ein warmer sonniger Tag im Mai Neunzehnfünfundneunzig, als im Fenster ein Schild hing:
‘Bald Eröffnung! Tänzerinnen und Kellner gesucht`.
Von wegen Hamburg und hohe Arbeitslosigkeit! Hier wurden noch Leute gesucht. Leute, die was leisteten. Auf dem Kiez.
Ich war sofort entschlossen, aber noch nicht gleich mutig. Ich strich ein paar Mal um den Laden herum, mit klopfendem Herzen. Ich war damals alles andere als selbstsicher. Endlich ging ich rein.
Halbdüsteres Licht, rechts in der Ecke eine gelbe Baustellenleuchte auf einem Stativ, die die Baustelle in gleissend helles Licht tauchte. Zwei Männer waren damit beschäftigt, etwas auszusägen,