Die Fürstin Wolkonski entschloss sich, ohne einen Augenblick zu zögern. »Ja, Herr Geheimrat, ja gewiss, natürlich nehme ich das Schlösschen!« – Sie sah Frank Braun vorbeigehn und rief ihn an: »Ach, Herr Studiosus! Herr Studiosus! Kommen Sie doch! Ihr Herr Onkel hat mir versprochen, mir einige seiner Experimente zu zeigen – – ist das nicht entzückend liebenswürdig? Haben sie es auch schon einmal gesehen?«
»Nein,« sagte Frank Braun. »Es interessiert mich gar nicht.«
Er wandte sich, aber sie hielt ihn am Ärmel fest. »Geben Sie – geben Sie mir eine Zigarette! Und – ach ja, bitte ein Glas Sekt.« Sie zitterte im heissen Kitzel, über ihre Fleischmassen kroch ein perlender Schweiss. Ihre groben Sinne, aufgepeitscht von den schamlosen Reden des Alten, suchten ein Ziel, brachen wie breite Wogen über den jungen Burschen.
»Sagen Sie mir, Herr Studiosus – –« ihr Atem keuchte, ihre mächtigen Brüste drohten das Mieder zu sprengen. – »Sagen Sie mir – – glauben Sie, dass – dass der Herr Geheimrat – – seine Wissenschaft, seine Experimente mit der – der künstlichen Befruchtung – auch auf Menschen anwenden könnte?«
Sie wusste recht gut, dass er's nicht tat. Aber sie musste dieses Gespräch fortsetzen, weiterführen um jeden Preis. Da, mit diesem jungen und frischen, hübschen Studenten.
Frank Braun lachte, verstand instinktiv ihre Gedanken. »Aber natürlich, Durchlaucht.« sagte er leicht. »Ganz gewiss! – Der Onkel ist gerade dabei – hat ein neues Verfahren entdeckt, so fein, dass die betreffende arme Frau gar nichts davon merkt. Rein nichts – bis sie eines schönen Tages fühlt, dass sie schwanger ist – so im vierten oder fünften Monat! – Nehmen Sie sich in acht, Durchlaucht, vor dem Herrn Geheimrat, wer weiss, ob Sie nicht schon –«
»Um's Himmels willen!« schrie die Fürstin.
»Ja, nicht wahr,« rief er, »das wäre doch unangenehm? – Wenn man so gar nichts davon gehabt hat!«
– Krach! Da fiel etwas von der Wand herunter, fiel Söfchen, dem Stubenmädchen, grad auf den Kopf. Und das Mädchen schrie laut auf, liess im Schreck das silberne Tablett fallen, auf dem sie den Kaffee servierte.
»Schad um das schöne Sèvres!« sagte Frau Gontram gleichmütig. »Wat war et denn?«
Dr. Mohnen nahm sich sogleich des weinenden Dienstmädchens an. Schnitt ihr einen Strang Haare weg, wusch die klaffenden Wundränder, stillte das Blut mit gelber Eisenchloridwatte. Vergass dabei nicht, das hübsche Mädchen auf die Wangen zu klopfen und verstohlen an die straffen Brüste zu fassen. Gab ihr auch Wein zu trinken, sprach ihr zu, leise ins Ohr –
Aber der Husarenleutnant bückte sich, nahm das Ding auf, das das Unheil gestiftet hatte. Hob es hoch, betrachtete es von allen Seiten.
Da, an der Wand hingen alle möglichen merkwürdigen Gegenstände. Ein Kanakengötze, halb Mann und halb Weib, bunt bemalt mit gelben und roten Streifen. Zwei alte Reiterstiefel, unförmig schwer, mit mächtigen spanischen Sporen versehen. Allerhand rostige Waffen, dann, auf grauer Seide gedruckt, das Doktordiplom irgendeines alten Gontram, von der Jesuitenhochschule zu Sevilla. Hing ein wundervolles elfenbeinernes Kruzifix, mit Gold eingelegt; hing ein schwerer buddhistischer Rosenkranz aus grossen grünen Jadesteinen.
Ganz oben aber hatte das Ding gehangen, das nun heruntergesprungen war; man sah gut den breiten Riss in der Tapete, wo es den Nagel weggezerrt hatte aus dem zermürbten Mörtel. Es war ein braunes staubiges Ding aus steinhartem Wurzelholz; wie ein uraltes, verrunzeltes Männlein sah es aus.
»Ach, et is unser Alräunche!« sagte Frau Gontram. »Na, et is nur jut, dat jrad dat Söfche vorbeijing: dat is aus der Eifel und hat ene harte Schädel! – Wenn et et Wölfche jewesen wär, hätt ihm dat ekliche Männche jewiss dat weiche Köppche zerschlagen.«
Und der Justizrat erklärte: »Wir haben es nun schon ein paar hundert Jahre in der Familie. Es soll schon einmal eine solche Dummheit gemacht haben; mein Grossvater erzählte, dass es ihm einmal in der Nacht auf den Kopf gesprungen sei. – Aber er wird wohl nur betrunken gewesen sein – – er trank immer gern ein gutes Tröpfchen.«
»Was ist's denn eigentlich? Und was macht man damit?« fragte der Husarenleutnant.
»Nun, es bringt Geld ins Haus,« antwortete Herr Gontram. »Es ist so eine alte Sage. – Der Manasse wird Ihnen das sagen können. – Kommen Sie, Herr Collega, schnurren Sie ab, Herr Polyhistor! – Wie ist die Sage von den Alraunen?«
Aber der kleine Rechtsanwalt wollte nicht. »Ach was, jeder Mensch weiss es ja.«
»Keiner weiss es, Herr Rechtsanwalt.« rief ihm der Leutnant zu. »Keiner. Sie überschätzen mächtig die moderne Bildung.«
»So lejen Se doch los, Manasse,« sagte Frau Gontram. »Ich wollt et auch immer schon jern wisse, wat dat hässliche Ding eijentlich zu bedeute hat.«
Da begann er. Er sprach trocken, sachlich, als ob er irgendein Stück vorlese aus einem Buche. Überstürzte sich nicht, hob kaum seine Stimme. Und schwang dabei, wie einen Taktstock, das Wurzelmännchen in der rechten Hand, auf und nieder.
»Alraun, Albraune, Mandragora – auch Mandragola genannt, – Mandragora officinarum. Eine Pflanze, die zu den Solanazeen gehört, sie findet sich um das Mittelmeerbecken, dann in Südosteuropa und in Asien bis hin zum Himalaja. Blätter und Blüten halten ein Narkotikum, wurden früher häufig als Schlafmittel benutzt, auch geradezu bei Operationen verwandt von der berühmten Ärztehochschule zu Salerno. Auch rauchte man die Blätter und gab die Früchte in Liebestränke. Sie sollten zur Wollust reizen und dabei fruchtbar machen. Schon Jakob machte damit seinen kleinen Schwindel bei Labaans Herden: Dudaim nennt das Pentateuch die Pflanze. Aber die Hauptrolle in der Sage spielt die Wurzel. Ihre seltsame Ähnlichkeit mit einem alten Männlein oder Weiblein erwähnt bereits Pythagoras; schon zu seiner Zeit glaubte man sich mit ihr unsichtbar machen zu können, verwandte sie als Zaubermittel oder auch umgekehrt als einen Talisman gegen Hexerei. Im frühen Mittelalter, im Anschluss an die Kreuzzüge, entwickelte sich dann die deutsche Alraunsage. Der Verbrecher, splinternackt am Kreuzwege gehenkt, verliert in dem Augenblicke, in dem das Genick bricht, seinen letzten Samen. Dieser Samen fällt zur Erde und befruchtet sie: aus ihm entsteht das Alräunchen, ein Männlein oder Weiblein. Nachts zog man aus, es zu graben; wenn es zwölf Uhr schlug, musste man die Schaufel unter dem Galgen einsetzen. Aber man tat wohl, sich die Ohren fest zu verstopfen, mit Watte und gutem Wachs, denn wenn man das Männlein ausriss, schrie es so entsetzlich, dass man niederfiel vor Schreck – noch Shakespeare erzählt das. Dann trug man das Wurzelwesen nach Hause, verwahrte es wohl, brachte ihm von jeder Mahlzeit ein wenig zu essen und wusch es in Wein am Sabbathtage. Es brachte Glück in Prozessen und im Kriege, war ein Amulett gegen Hexerei und zog viel Geld ins Haus. Machte auch liebenswert den, der es hatte, war gut zum Wahrsagen und brachte den Frauen Liebeszauber, dazu Fruchtbarkeit und leichte Niederkünfte. Aber bei alledem schuf es doch Leid und Qualen, wo immer es war. Die übrigen Hausbewohner wurden verfolgt vom Unglück, und es trieb seinen Besitzer zu Geiz, Unzucht und allen Verbrechen. Liess ihn schliesslich zugrunde gehen und zur Hölle fahren. – Trotzdem waren die Alräunlein sehr beliebt, kamen auch in den Handel und erzielten recht hohe Preise. Man sagt, dass Wallenstein zeit seines Lebens ein Alräunchen mit sich herumschleppte, und dasselbe erzählt man von Heinrich dem Achten, Englands heiratstüchtigem Könige.«
Der Rechtsanwalt schwieg, warf das harte Holz vor sich auf den Tisch.
»Sehr interessant, aber wirklich sehr interessant,« rief Graf Geroldingen. »Ich bin Ihnen sehr verbunden für den kleinen Vortrag, Herr Rechtsanwalt.«
Aber Madame Marion erklärte, dass sie nicht eine Minute lang ein solches Ding in ihrem Hause dulden würde. Und sie sah mit erschreckten, abergläubischen Augen auf die starre Knochenmaske der Frau Gontram.
– Frank Braun war rasch hingetreten zu dem Geheimrat. Seine Augen leuchteten, er griff aufgeregt den alten Herrn an der Schulter. »Ohm Jakob,« flüsterte er, »Ohm Jakob –«
»Na, was ist denn, mein Junge?« fragte der Professor. Aber er stand auf, folgte dem Neffen ans Fenster.