Limit up - Sieben Jahre schwerelos. Uwe Woitzig. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Uwe Woitzig
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Изобразительное искусство, фотография
Год издания: 0
isbn: 9783738003406
Скачать книгу
gefilzt. Die Beamten hatten zwei Handys dabei, die sie an sich nahmen. Unglücklicherweise für die beiden Bewusstlosen fanden sie auch noch Handschellen. Sie wälzten sie mit ein paar Fußtritten so auf ihre Seiten, dass sie Rücken an Rücken aneinander gefesselt werden konnten.

      Schadenfroh beobachtete ich die Szene und stellte mir vor, wie mühsam es für sie sein würde, über die Felder neben der Autobahn zum nächsten Dorf zu laufen.

      Mein Ex-Mithäftling kam auf mich zu und umarmte mich.

      „So, und jetzt machen wir uns alle schnell vom Acker.“

      „Danke“, erwiderte ich und gab ihm meine Visitenkarte. „Hier hast du meine Telefonnummer. Ruf mich an, wenn du in meiner Nähe bist. Ich schulde dir ein gutes Essen.“

      „Du schuldest mir gar nichts. Es war uns das reine Vergnügen, dir zu helfen und diese Typen zu maßregeln.“

      Zufrieden ging ich zurück zu meinem Porsche und stieg ein. Ich sah gerade noch, wie mein Freund den beiden am Boden Liegenden einen Kick in ihre Spaßbereiche versetzte. Anscheinend wollte er sich die Gelegenheit nicht entgehen lassen, Vertretern der Justiz in die Eier zu treten. Mit einem satten Geräusch fiel meine Tür ins Schloss.

      Ich startete und gab Gas. Der Bolide beschleunigte in ein paar Sekunden auf 100 km/h. Ich musste aber sofort wieder bremsen, weil ich die Mautstation von Brixen vor mir auftauchen sah. Das bedeutete, dass ich bis zum Brenner noch maximal eine halbe Stunde brauchen würde. Der Vorsprung sollte reichen, bevor die beiden gescheiterten uniformierten Wegelagerer den nächsten Ort erreichten und alle Grenzposten alarmieren konnten. Allerdings war ich mir nicht sicher, ob sie sich nicht meine Autonummer notiert hatten.

      Mir lief das Wasser in Strömen am Körper herunter, als ich nach einer aberwitzigen Kurvenfahrt, bei der ich alles aus dem Wagen herausholte, knapp 20 Minuten später am Brenner auf die Grenze nach Österreich zurollte.

      Doch der italienische Zöllner winkte mich nur lässig durch und sein müder österreichischer Kollege hatte auch kein Interesse, mich zu kontrollieren. Ich schnaufte einmal tief ein. Dann gab ich wieder Vollgas.

      Die nervigen Erlebnisse dieses Tages waren einer der Tropfen, die das Fass, das durch verschiedene Entwicklungen während der vergangenen Monate randvoll war, bei mir zum Überlaufen brachten. Endgültig war ich dazu bereit, meine Aktivitäten auf den Marktplätzen dieser Welt zu beenden und mich alleine auf einen Berg zurückzuziehen. Getreu dem Motto Sun Tzus „Wahrhaft siegt, wer nicht kämpft“ hatte ich erkannt, dass jede Konfrontation eine Energieverschwendung war, die mich unnötig schwächte. Weder durch Schläge mit dem Zen-Stab noch durch gute Ratschläge konnte ich den Weg eines Menschen abkürzen. Nur sie ein bisschen an die Hand zu nehmen und sie ein Stück ihres Weges zu begleiten war eventuell möglich, aber mir viel zu mühsam geworden. Dennoch sollte ich schon bald wieder damit konfrontiert werden und das war dann tatsächlich jenes allerletzte Quäntchen, dass mein geistiges Fass zum Überlaufen brachte.

      Nach dem erfolglosen Versuch, zurückgezogen mit einer geliebten Frau in einem luxuriösen, exquisit und liebevoll gestalteten Ambiente in den Bergen zu leben, war ich wütend und frustriert zurück in mein altes Leben gekehrt. Wenn es mir unter solchen außergewöhnlichen Umständen, bei denen das materielle Äußere perfekt war und ich mit einer scheinbaren „Traumfrau“ zusammenlebte, nicht gelang, glücklich zu werden, stimmte irgendetwas nicht mit mir. Und schon steckte ich wieder bis zum Hals in Abhängigkeiten, die ich nie wieder erleben wollte. Ich saß auf meiner Terrasse und wusste nicht mehr, wie es weiter gehen sollte. Da fiel mir eine Person aus meiner Vergangenheit ein und ich beschloss, sie in mein Leben zurückzuholen: Einen drittklassigen Sänger und Musikproduzenten namens Jamie, der uns wegen seiner Zugehörigkeit zur Müchner „Schicki-Micky-Szene“ in unserer alten Firma immer wieder Kontakte zu sehr vermögenden Anlegern vermittelt und dadurch einen wesentlichen Anteil an dem Erfolg unseres Investmenthauses gehabt hatte.

      Ich stellte mir vor, dass er als Kundenbetreuer mitarbeiten und mir alle Kundenkontakte abnehmen könnte. Ich würde ihm ein gutes Gehalt anbieten und war sicher, dass er es annehmen würde, denn seine Musikerkarriere lief nicht mehr besonders wie ich den Zeitungsberichten über ihn entnommen hatte. Also ließ ich meinen Trader bei Jamie anrufen. Ich wollte auch erfahren, wie er auf mich reagieren würde und wie er sich während meiner Haft entwickelt hatte. Und wie viele von unseren ehemaligen Kunden aus seinem Umfeld bereit waren, wieder mit mir Geschäfte zu machen.

      Ich dachte, dass sie mir noch was schuldeten. Schließlich hatte ich ihnen geholfen, einen Großteil ihrer Gelder zurück zu erhalten, die sie bei uns investiert hatten. Nach meiner Haftentlassung hatte ich mich mit Angelo getroffen und ihm eine Kopie unseres Kooperationsvertrages mit dem Chicagoer Brokerhaus verschafft, der merkwürdigerweise in den Wirren nach unserer Flucht verschwunden war. Damit konnte er es im Namen aller noch nicht befriedigten Anleger verklagen. Gemäß dieses Vertrages waren sie unsere Partner und hafteten. Es kam zu einem Vergleich, nach dem die Chicagoer 90 % der bei uns investierten Gelder auszahlten. Ihnen machte das nichts aus. Sie gehörten zu einem der fünfzig größten Konzerne der USA, der den Betrag steuerlich absetzen konnte. Mit diesem Ergebnis im Rücken fand ich es spannend, wie Phoenix aus der Asche vor Jamie zu stehen.

      Jamie, war sofort bereit, mich zu treffen. Wieder setzte ich mich in meinen Jaguar und fuhr zu ihm in seine neue Penthouse-Wohnung in Bogenhausen, die er sich während meiner Haft gekauft hatte. Vermutlich mit dem bei uns verdienten Geld. Ich war neugierig, wie er mich begrüßen würde.

      „Warum hast du in den letzten Jahren nicht auf mich aufgepasst?“ schrie Jamie mich an, als ich seine Behausung betrat. Völlig verblüfft sah ich ihn an und war ein paar Sekunden sprachlos.

      „Wie meinst du das? Was ist passiert?“ fragte ich ihn, nachdem ich meine Fassung wieder gewonnen hatte.

      „Ich habe alles verloren. Mein gesamtes Vermögen. Meine Immobilien, mein Geld. Auch die Bude hier. Alles futsch.“

      Dieser Auftakt hätte mich warnen sollen. Der Junge interessierte sich nicht im Geringsten dafür, wie es mir ergangen war. Es ging ihm ausschließlich um sich. Immer. Statt uns über meine Zeit im Knast und meinen Neustart zu unterhalten, waren wir sofort bei seinen aktuellen

      Problemen. Wie sich herausstellte, hatte er auf Vermittlung seiner Bank für eine Möbelfirma in der ehemaligen DDR eine unbegrenzte persönliche Bürgschaft unterschrieben. Getreu dem hinterlistigen Slogan, mit denen Banken für ihre Kreditkarten werben: "Zahlen Sie mit Ihrem guten Namen!" Eine kaum glaubliche Dummheit. Oder war es etwa etwas Anderes?

      Wieder übersah ich eine deutliche Warnung. In Wirklichkeit hatte Jamie durchaus die Leere und Hohlheit seiner Existenz begriffen. Er gehörte zu den Menschen, die nur dann anfingen, so etwas wie Leben in sich zu spüren, wenn es um Katastrophenmanagement oder irgendein Ereignis wie z.B. Bungee-Jumping ging, dass ihn Adrenalin produzieren ließ. Wenn alles im Lot war, langweilte er sich. Stille ließ ihn sofort unruhig werden. In sich hineinzuhorchen oder zu spüren war überhaupt nicht sein Ding. Er war der klassische Porschefahrer und Hubschrauberflieger. Das sind die Jungs, die es lieben, im Lärm einer dröhnenden Maschine durch bzw. über die Landschaft zu fliegen, deren Schönheit sie nicht im Geringsten interessiert. Ruhe und Harmonie machten ihn so nervös, dass er bewusst Katastrophen herbeizog, um wieder „aktiv“ sein zu können und sich bemitleiden zu lassen. Dass er sich auch mit Drogen immer wieder einen Kick versetze war nur logisch.

      Als ich mich in seinem Penthouse umsah, bemerkte ich, dass er es mit seiner mir noch bestens bekannten Einrichtung aus seiner vorherigen Wohnung möbliert hatte. Das hätte mich ebenfalls warnen sollen. Bei ihm hatte sich nicht das Geringste verändert. Weder außen noch innen.

       Mein sonst so gewitztes VERÄNDERTES ICH übersah das alarmrot leuchtende Paket dieses Getriebenen, weil mein weises WAHRES SELBST es so wollte. Es brauchte Jamie als Spiegel für mein sich gerade wieder aufmandelndes Ego, damit ich am Beispiel Jamies sah, wohin das führen könnte: nämlich unter anderem zu einem vollkommenen Kontrollverlust über sein Leben, der ihn zum Spielball anderer werden ließ.

       Die Jungs von der Möbelfirma bedienten sich kräftig bei der Bank und reizten ihren durch Jamie abgesicherten Kreditrahmen voll aus. Dann gingen sie Pleite. Ihr