Nach einem gemeinsamen Abendessen im „Tavern in the Green“, einem von Clints Lieblingslokalen, bei dem wir uns unsere Lebensgeschichten erzählten, verabredeten wir uns zum Frühstück um neun Uhr. Ich ging sehr zufrieden in die Bar des Waldorf, um noch einen Absacker zu trinken. Unaufgefordert stellte mir mein neuer Freund Joe augenzwinkernd einen Campari Orange hin.
„I have invited the two ladies opposite of you for a drink in your name. You should stand up and walk over“, raunte er mir zu. Tatsächlich saßen mir gegenüber zwei dieser hübschen, fitten, typisch New Yorker Blondinen mit ihren harten Augen, die mir gerade freundlich zulächelten und mir mit ihren Gläsern Champagner zuprosteten.
Wie Joe mir empfohlen hatte, stand ich auf und ging zu ihnen. Wir verbrachten eine feuchtfröhliche Zeit bis in die frühen Morgenstunden. Irgendwann lud ich sie ein, bei mir zu übernachten. Sie nahmen an und wir fuhren mit einem der lautlos fahrenden Lifts zu mir nach oben.
Als sie meine Suite sahen, gingen sie davon aus, dass ich zu den sehr reichen Jungs dieser Welt gehörte und ich hatte gewonnen. In dieser Nacht lernte ich eine weitere Form des amerikanischen Perfektionismus kennen: die Bettakrobatik. Die Beiden spielten mit mir fast jede Stellung des Kamasutra durch und das in perfekter Grundhaltung.
Dabei wurde der Sex allerdings zu einer Turnstunde, was schon in der Schule nicht mein Ding war. Ich wollte immer den Rausch des Orgasmus, um nichts anderes ging es mir. Ausgefeilte Vorspiele und diverse Stellungen auszuprobieren, langweilte mich damals. Ich liebte den puristischen Akt in der Lieblingsstellung der jeweiligen Partnerin. Mit meinem intensivem Höhepunkt als krönenden Abschluss. Ich war mit einer starken Potenz gesegnet und konnte immer wieder. Da ich nach den ersten Malen immer mehr Zeit brauchte, um wieder zu kommen, kam jede Frau auf ihre Kosten. Auch meine beiden.
Wir trieben es die ganze Nacht und schliefen erst in den frühen Morgenstunden ein.
Bis uns mein Wake-up-Call um 8.30 Uhr weckte. Schlaftrunken, verkatert und völlig neben der Kappe stand ich auf, duschte, zog mich an und sagte den Beiden, sie sollten noch ein wenig liegen bleiben und dann einfach gehen. Ich hätte eine Business-Verabredung zum Frühstück. Wir verabschiedeten uns mit zärtlichen Küssen.
Clint sah mich prüfend an, als ich ihm wenig später gegenübersaß.
„Uwe, du siehst trotz deiner Bräune kreidebleich aus. Und deine Hände zittern wie verrückt.“
Tatsächlich schaffte ich es kaum, meine Kaffeetasse an den Mund zu führen, ohne dass der Kaffee heraus schwappte.
„Das ist der Jetlag“, antwortete ich geistesgegenwärtig, „bei mir schlägt er erst heute zu.“
Nach dem opulenten Frühstück mit Eiern und kross gebratenem Speck ging es mir zunehmend besser. Wir wollten in Clints Büro gehen, aber ich hatte ein paar wichtige Dokumente vergessen. Während wir zu meiner Suite hochfuhren, betete ich, dass die Mädels verschwunden wären. Ich wollte meinen Eindruck des seriösen Geschäftsmannes nicht schon am zweiten Tag wieder verwischen. Die Suite war leer, als wir sie betraten. Ich atmete innerlich auf und ging kurz auf die Toilette.
Als ich in das Schlafzimmer zurückkam, stand Clinton grinsend neben dem zerwühlten Bett und hielt einen Ohrring hoch, den eines der Girls verloren haben musste.
„So this is your “Jetlag”, right? You bastard have obviously screwed your brains away last night!”
Lachend fielen wir beide aufs Bett. Dieser Augenblick war der Beginn einer tiefen Freundschaft und „Jetlag“ wurde unser Code für wilden Sex außerhalb unserer Beziehungen und Ehen.
Bei unserem gemeinsamen Mittagessen im „La Grenouille“, einem der besten Restaurants der Stadt, fragte ich Clint, ob wir seine Adresse auf unseren Briefbogen einsetzen könnten.
„Sure“, erwiderte er.
Damit hatte unsere Firma dank Clinton eine Anschrift auf der Park Avenue in Manhattan, einer der feinsten Adressen New Yorks, und wir waren unabhängig von unserem ehemaligen Brokerhaus. Nichts stand unserem kometenhaften Aufstieg mehr im Wege. Das Motto hieß: limit up.
Kapitel 3
Wenn der Sturm am meisten braust,
Kommt stets ein Vogel herbei,
Um uns zu beruhigen.
Ein unbekannter Vogel.
Er singt, bevor er sich wieder in die Lüfte erhebt.
(Rene Char)
Während meines diesmaligen Aufenthaltes im Big Apple hatte ich vergeblich versucht, Clintons Witwe Jessie zu treffen. Die New Yorker Telefonauskunft konnte sie nicht finden. Deshalb war ich zu ihrer letzten mir bekannten Adresse gegangen, aber sie war verzogen. Ihre Nachbarn hatten keine Ahnung wohin. So stand ich an einem regnerischen Nachmittag alleine an Clintons Grab. Er war auf einem kleinen Friedhof im Schatten einer düster wirkenden Kirche Downtown Manhattan beerdigt worden. Es war unfassbar für mich, dass dieser vor Lebenslust strotzende Mann, der in jeder schwierigen Situation noch ein Kaninchen aus dem Ärmel gezogen hatte, das ihn und andere rettete, seinen persönlichsten Kampf verloren hatte.
Ich hatte ihn um Rat gefragt, als Thassou, mein griechischer Partner in Monte Carlo, ein Problem mit einer Boeing 747 hatte. Ein arabischer Scheich hatte ihn gebeten, die mit allem Luxus dieser Welt ausgestattete Maschine, die nach den ausgefallenen Wünschen des Emirs umgebaut worden war, für 140 Millionen Dollar zu verkaufen. Tatsächlich fand Thassou einen Käufer, aber plötzlich wollte der Araber nicht mehr verkaufen. Thassou war darüber verständlicherweise stocksauer, weil ihm die Riesenprovision entging.
„Warum stehlt ihr das Ding nicht einfach?“ hatte Clint grinsend geantwortet, als ich ihm den Fall geschildert hatte.
„Ihr liefert es bei dem Käufer ab, kassiert den Kaufpreis und überweist das Geld abzüglich der Provision an den Araber. Er kann juristisch vermutlich gar nichts machen, weil ihm kein Schaden entsteht. Ich kenne da übrigens einen Typen, der einen Jumbo fliegen kann …“
Clinton kannte immer einen Typen, der genau das konnte, was gerade benötigt wurde. Nicht nur wegen seiner exzellenten Kontakte in alle Bereiche der menschlichen Gesellschaft fehlte er mir sehr. Nie wieder würde ich mit ihm in einem erlesenen Restaurant sitzen, wo er genüsslich die feinsten Speisen vertilgte und mich dabei mit seinen geistreichen Bonmots zur Weltlage, über unsere Geschäftspartner und über Frauen zum Lachen brachte. Er war der Einzige gewesen, den ich während meiner Flucht aus angerufen hatte. Sofort schlug er mir vor, nach Kanada zu kommen. Er würde mich mit seinem Porsche abholen, in die Vereinigten Staaten schmuggeln und in seinem Haus in Greenwich verstecken. Ich lehnte sein Angebot damals ab, weil ich ihn nicht in Gefahr bringen wollte. Aber natürlich fand ich es großartig.
Durch Clinton hatte ich viele außergewöhnliche Menschen kennen gelernt, aber auch eine besonders bemerkenswerte Begegnung gehabt. An einem Sonntag hatte er mich zum angesagtesten Brunch der City ins „River Café“ eingeladen. Wir standen an einem der Stehtische mit Blick auf die Brooklyn Bridge und den Hudson River und genossen die köstlichen Snacks vom Büfett, als ich plötzlich von hinten geduscht wurde. Jemand hatte mir etwas Kaltes ins Genick geschüttet. Ich drehte mich um und vor mir stand eine zierliche Frau mit kurzen roten Haaren und den schönsten blauen Augen, die ich je gesehen hatte. Sie entschuldigte sich vielmals bei mir und lud mich als Entschädigung zu einem Glas Champagner ein. Ich nahm an und drehte mich wieder zu Clint.
„Weißt du nicht, wer sie ist?“ fragte er mich.
Sie kam mir bekannt vor, aber ich hatte keine Ahnung, wer sie war. Also schüttelte ich den Kopf.
„Das ist Julie Christie. Die ´Lara` aus ´Doktor Schiwago`. Dein großer Schwarm deiner Jugend wie du mir erzählt hast.“
Sofort drehte ich mich wieder zu ihr um.
„Ich habe es mir überlegt. Ich möchte keinen Champagner, ich möchte einen