Besonders ein mit Rosenstöcken bewachsener Pavillon fiel mir ins Auge, der neben einer mit Holzdielen ausgelegten Terrasse stand, auf der teure Teakholzmöbel verrieten, dass hier auch Geld vorhanden war. Das für mich Beeindruckendste war jedoch der Ausblick auf das höchste Kirchendorf Deutschlands auf der anderen Seite des Tales, hinter dem sich das Wendelsteinmassiv erhob, überragt von der Zugspitze.
Wir ließen uns auf einer Almwiese unterhalb dieses Traumanwesens nieder und ich öffnete eine mitgebrachte Flasche Champagner.
„Das wäre doch was, in dem Haus zu wohnen und mit diesem Blick jeden Morgen aufzuwachen, findest nicht?“ fragte ich Maria und prostete ihr zu.
Maria, die einen Großteil ihres Lebens in Sylt und St. Moritz an den Bars der In-Discos und - Clubs gearbeitet hatte und den Trubel und das turbulente Leben in der Stadt liebte, sah mich misstrauisch an. Aber dann hakte sie den Satz als eine für einen Mann übliche Spinnerei ab und zuckte die Achseln. Sie hatte allerdings keine Ahnung, wozu ich fähig war. Ich hatte einen Wunsch an das Universum gesandt und zu jener Zeit hatte ich noch den direkten Draht.
Kurz vor Weihnachten kam ich auf die Idee, meinen Weihnachtsurlaub mit Maria in Garmisch zu verleben. Deshalb bat ich einen Mithäftling, der aus Garmisch stammte, mir einen Prospekt von Ferienwohnungen mitzubringen, von denen ich eine für die Feiertage mieten wollte.
Tatsächlich brachte er mir eine Broschüre mit. Mir fielen vor Überraschung die Augen aus dem Kopf, als ich sie öffnete: Ich sah ein Bild dieses wunderschönen alten Bauernhauses. Und es gab darin eine Ferienwohnung, die hier angeboten wurde. Der Preis war astronomisch, aber das war mir egal. Ich schrieb Maria, sie solle unbedingt dort anrufen und die Wohnung buchen. Und nachfragen, ob wir sie eventuell für länger mieten könnten.
Wenige Tage später besuchte sie mich und erzählte mir ganz aufgeregt, dass die Eigentümerin des Hauses eine enge Freundin ihres Chefs sei. Sie habe schon am Telefon gemerkt, dass sie sich hervorragend verstehen würden. Daraufhin sei sie nach Garmisch gefahren und habe sich mit ihr getroffen. Sie seien zu dem Haus gefahren und es sei innen noch schöner als von außen.
„Und“, fragte ich sie aufgeregt, „können wir die Wohnung haben?“
Sie fiel mir um den Hals.
„Ja, sie gibt sie uns. Aber sie kostet …“, und sie nannte einen Preis, für den ich eine Villa in Grünwald, dem Nobelviertel im Speckgürtel Münchens, hätte mieten können.
„So what“, dachte ich. „Dafür sparst du viel Geld, weil du die Ebene des sogenannten Jetsets verlassen hast und gegen wirkliche Lebensqualität eintauscht. Irgendwie sehr interessant, dass du für ein Leben in einem Bergbauernhof genauso viel zahlst wie für eine Villa in München.“
„Macht nichts, miete sie“, sagte ich zu Maria.
„Was ist mit meinem Job? Wenn wir dort leben, kann ich unmöglich weiter arbeiten.“
„Den gibst du selbstverständlich auf. Ich glaube, wir haben uns beide eine Auszeit verdient, meinst du nicht?“
Maria sah mich nachdenklich an. Dann nickte sie zögernd.
„Also gut. Ich werde die Wohnung mieten und meinen Job aufgeben.“
Spontan nahm ich sie in den Arm. Ich dachte nicht weiter darüber nach, dass sie gerade eine Entscheidung getroffen hatte, die ihr bisheriges Leben auf den Kopf stellte. Naiv dachte ich, dass ich endlich meine „Elaine Robinson“ gefunden hatte, die die Kirche mit mir verlässt und mit dem Bus davon fährt. Ich hatte keine Ahnung, dass Maria einfach die Schnauze voll hatte und keine Perspektive mehr in ihrem Job an der Bar des besten Feinkosthauses in München sah.
Sie war sehr früh von Zuhause weggegangen und hatte sich alleine durchs Leben gekämpft. Dabei hatte ihr ihre fast übernatürliche Schönheit viele Türen geöffnet, aber sie hatte niemals daraus Kapital geschlagen. In jener Zeit, in der sie als Bardame in Gunter Sachs´ „Dracula Club“ in Sankt Moritz arbeitete, hatten sie zahllose sehr reiche Männer umschwirrt wie die Motten das Licht. Sie hatte jedoch stets zugunsten von armen Schluckern verzichtet, weil sie sich vor den erfolgreichen, selbstbewussten Männern fürchtete. Ihr Ziel war es gewesen, eines Tages genau an der kleinen, aber feinen Bar des Feinkosthauses zu arbeiten.
Das war ihr gelungen, obwohl sie den etwas zwielichtigen Ruf einer Nacht-Bardame hatte. Der Chef des Hauses war von ihr begeistert gewesen, als er sie kennenlernte, und hatte sie trotz der Bedenken seiner Geschäftsführer eingestellt. Da Maria eine ungeheure Erfahrung, Kompetenz und Souveränität im Umgang mit Menschen hatte, wurde die Bar ein echter Renner. Doch diese Fähigkeiten waren wie weggeblasen, wenn sie nicht die sichere Barriere des Tresens vor sich hatte, der ihr wie eine Zugbrücke Schutz vor der Nähe zu ihren Gästen bot. Sie war eine Frau, die diesen Schutz, zu dem auch ihre absolute finanzielle Unabhängigkeit gehörte, brauchte wie die Luft zum Atmen.
Genau die warf sie gerade über Bord – und ich merkte es nicht. Für mich war es vollkommen normal, dass meine Frau nicht arbeitete. Wozu sollte sie? Ich war jederzeit in der Lage, ein überdurchschnittliches Einkommen zu erzielen, das für ein luxuriöses Leben zu zweit ausreichte. Außerdem hatte ich ausreichend Reserven.
Aber ich hatte noch nie von Otto Mainzer und seinen Thesen über die „sexuelle Zwangswirtschaft“ gehört und keine Ahnung, dass eine solche Basis das Ende jeder Lust, Leidenschaft und Liebe bedeutet.
„Wunderbar, dann werden wir deine Wohnung in München vermieten“, sagte ich leichthin.
Sie sah mich mit ihren schönen braungrünen Augen undurchdringlich an.
„Wie du meinst.“
„Und einen Mieter habe ich auch schon: Meinen Freund Gus“, fuhr ich fort. „Er sucht eine Wohnung.“
Maria nickte langsam.
„Gute Idee“, sagte sie mit leiser Stimme.
Ich verstand nicht, dass ich von ihr verlangte, nicht nur ihr bisheriges Leben substanziell zu verändern, ihre sämtlichen mühsam aufgebauten Schutzzonen und sogar ihre geliebte Insel am Viktualienmarkt aufzugeben und sich mir auf Gedeih und Verderb auszuliefern. Wenn ich aus heutiger Sicht über ihre Persönlichkeit nachdenke, ist es unfassbar, dass sie damals einwilligte.
Maria verweigerte nämlich jede Weiterbildung, alles Neue war ihr suspekt. Mein Lebensstil eines Studenten auf hohem Niveau war ihr fremd. Ich ging spät zu Bett, schlief lange und hatte ständig neue Ideen, wie man den Tag verbringen könnte. Permanent zerstörte ich ihre selbst erzeugte tägliche Routine. Ohne diese war sie aber verloren. Sie wurde aggressiv und war keinen Argumenten mehr zugänglich. Maria hatte sich als eine Reinlichkeitsfanatikerin entpuppt, die täglich wie ein Derwisch durchs sowieso sehr saubere Haus fegte und mehrere Stunden mit Putzen verbrachte.
Das hatte den Vorteil, dass ich in Ruhe Lesen und Meditieren konnte. Der Nachteil war, dass sie nicht zu bewegen war, das Haus zu verlassen, bevor nicht alles „in Ordnung“ war. Da sie auch dank der Inspiration durch Anja eine sensationelle Köchin war und mir täglich die besten und ausgefallensten Mahlzeiten kochte, war auch das zu verschmerzen. Nicht zu ertragen war allerdings ihre Unlust, zu reisen oder sich kulturell zu betätigen.
Ich bin auch nicht gerade der große Theaterfreak, aber ab und an eine gute Aufführung ist eine ebenso willkommene Abwechslung für meinen danach dürstenden Geist wie eine Städtereise am Wochenende. An Marias Seite darbte er.
Außerdem war ich ungeheuer verwöhnt durch den täglichen Umgang mit teilweise blitzgescheiten Ganoven. Mir fehlten der witzige Schlagabtausch, das Lachen und der Esprit dieser Männer. Am meisten aber sehnte ich mich nach der Intensität des Seins im Knast, so dass sich in mir eine völlig ungewöhnte Unruhe bemerkbar machte, die ich durch ausgedehnte Bergwanderungen vergeblich zu kompensieren versuchte.
Doch es gab immer wieder Highlights, nach denen sich ein „Normalsterblicher“ die Finger geleckt hätte. Zum Beispiel unsere ersten Weihnachten in dem Bergbauernhof. Anja war eng befreundet mit Marias ehemaligem Chef, dem Inhaber des berühmtesten Münchner Feinkosthauses. Deshalb erlaubte sie ihm, für seine besten Kunden