Hommage an mich. Dr. Holger Wyrwa. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dr. Holger Wyrwa
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750214637
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      Unglaublich.

      Ich hätte sie damals allesamt durch München prügeln sollen.

      Aber ich lernte. Das tue ich stets. Ich bin eine lebendige Lernmaschine. Es gibt nichts, was ich nicht lernen kann. Ich bin schnell. Meine Auffassungsgabe ist herausragend und meine Fantasie nicht weniger.

      Ich stand also vor der Theke. Vor mir eine Kundin. Eine übergewichtige Frau, die mich überhaupt nicht beachtete. Was hinter ihr geschah, interessierte sie nicht. Ein weiteres Zeichen für den Verfall dieser Welt, wo sich jeder nur um sich selbst kümmert. Sie wollte ihr Geschäft erledigen und dann weg.

      Sie roch, wie Tante Josephine unterm Arm.

      Dabei hatte sie ein billiges Parfüm aufgelegt, was mir zusätzlich den Atem raubte und ich betete zu unserem Herrn Jesus Christus, mich schnellstmöglich von diesem Übel zu erlösen.

      Wie gesagt, sie kümmerte sich nicht um das, was hinter ihrem Rücken geschah.

      Dabei wurde es immer lauter. Die hinter mir Stehenden wollten sich partout nicht beruhigen.

      Aber wie die meisten kläffenden Hunde beißen sie nicht. Sie plustern sich nur auf und machen sich wichtig.

      Einen solchen Haufen von Blindgängern kann man nur auf eine Weise zur Räson bringen?

      Ganz einfach.

      Die leichteste Übung der Welt.

      Funktioniert immer.

      Ich drehte mich zu dem lamentierenden Pulk um und begann, zu stottern.

      Augenblicklich wurde es still.

      Keine Frage, die Stotterer in unserer Welt haben es nicht gerade leicht. Man braucht viel Zeit und Geduld, um sich auf sie einzulassen und, um ihnen überhaupt zuzuhören. Dies wird vor allem dann ein Problem, wenn man es eilig hat.

      Und wer hat es heutzutage nicht eilig.

      Also stotterte ich und fragte mit dem Gesichtsausdruck eines Menschen, der überhaupt nicht versteht, warum sich alle so fürchterlich aufregen, was denn los sei.

      Natürlich zog ich die einzelnen Worte in die Länge, verharrte sogar bei einigen von ihnen für eine Weile, wiederholte Buchstaben, machte hierbei hilflos wirkende Bewegungen mit meiner Wangenmuskulatur wie ansonsten mit einer anderen Muskulatur bei einem akuten Darmverschluss.

      Die Frau, die kurz vor dem Kollabieren stand, sah betreten zur Seite. Sie fuhr sich mit ihren wurstigen Fingern durch das noch immer fleckige Gesicht und starrte dann auf ihre Hand, als wolle sie sich selbst hypnotisieren.

      Aber alle ließen mich augenblicklich in Ruhe.

      Sie hatten verloren.

      Und sie wussten es.

      Denn jede Diskussion mit mir würde sich unendlich in die Länge ziehen. Intuitiv erfassten sie die Situation und erkannten, dass es besser für sie war, den Mund zu halten und mich nicht weiter zu belästigen.

      Wenigstens das begriffen sie sofort.

      Ich drehte mich langsam um, erfüllt von einem kleinlichen aber dennoch großen Triumphgefühl.

      Ich hatte meinen mir zustehenden Platz in der Reihe erfolgreich verteidigt.

      Die Frau vor mir bezahlte.

      Ihr Geschäft war erledigt. Es hatte lange genug gedauert. Sie wankte mit ihren verkrüppelten Hüften und einer großen Tüte mit allerlei Brot unter dem Arm aus der Bäckerei.

      Hüftdysplasie im letzten Stadium, diagnostizierte ich. Breitbeinig wie ein Seemann und dabei immer wieder das Gewicht von einem Bein auf das andere verlagernd, schaukelte sie sich aus der Bäckerei Sonnenfeld.

      Wäre sie eine Patientin von mir gewesen, hätte ich ihr mit dem größten Vergnügen zu einer invasiven Totaloperation der unteren Extremitäten geraten. Und zusätzlich natürlich zu einer Entfernung ihrer überaktiven Schweißdrüsen.

      Ich stand jetzt vor der Theke und bestellte stotterfrei meine beiden Croissants und meinen Latte machiato.

      Die dürre Bedienung starrte mich mit großen Augen an. Natürlich hatte sie das Geschehen mitverfolgt.

      Der Frotteurist hinter mir zuckte zusammen.

      Ein ausgesprochen gefährlicher Moment.

      Aber ich blieb locker.

      Denn in den meisten Fällen verlief es glimpflich.

      Denn eines muss man über Menschen wissen: Empörung steht ihnen gut zu Gesicht, wenn sie nicht allzu lange dauert. Und daran haben die Meisten kein Interesse. Wird man nicht sofort ganz klein, erlahmt ihre Widerstandskraft sofort.

      Wie alle wollen sie nur ihre Ruhe haben. Ein bisschen kläffen. Sich ein wenig aufblasen, die Schneidezähne wetzen und dann: Schaltet ihr Hirn auf Leerlauf.

      Und gut ist.

      Umgeben von Menschen, die auf dem immergleichen niedrigen Niveau tanzen und ihre behelfsmäßigen Pirouetten für sehenswert erachten, bleibt man lieber allein. Meine Devise.

      Für heute und für die Zukunft.

      Ich nahm meine Croissants und den Becher mit Kaffee und verließ gemächlich die Bäckerei.

      Ich warf keinen Blick zurück.

       *

       12.09.2016

       Dieser alte Sack vor mir auf dem Flur. Halbblind. Er furzt in einer Tour. Unerträglich. Stinkt nach dem Medikament, dass sie in ihn reinpumpen. Bleibt jedes Mal danach stehen. Dreht sich um, Blick nach unten. Schnüffelt dabei wie ein Köter, wittert die eigene Spur. Lächelt zufrieden. Wenn einem das eigene Furzen Freude bereitet, ist man definitiv alt.

       Geburtstagsständchen in Zimmer 4. Eine Horde nichtssagender Weiber. Belangloses Geschwätz. Ich lausche an der halb offenen Tür. Fühlen sich unwiderstehlich im Gruppenrausch.

       Nichts weiter als Synchronisationseffekte der Dummheit. Ausleben einer nicht zu leugnenden Schwarmstupidität, wie Vater immer sagte.

       Jemand auf der Station gestorben. Arme Sau. Habe ihn nur ein-zweimal gesehen. Sah schon tot aus, als er noch lebte. So ein Leichentuch ist schick, verbirgt alles und zeigt auch alles. Dahinter ein Leichenzug von Verwandten. Erschüttert bis in die Knochen. Weinerliches Pack. Krokodilstränen sicher inklusive. Hätten mich konsultieren sollen. Hätte ihn bestimmt gerettet. Habe wieder Visitenkarten auf die Besuchertische im Gang gelegt und meine Zimmernummer und meine Sprechzeiten darauf geschrieben. Schon am nächsten Tag alle wieder verschwunden. Verdammte Konkurrenz.

       Das Jucken hört nicht auf. Eine Kratzorgie nach der anderen. Die ganze Tube befindet sich schon in meinem Arsch. Trotzdem brennt es wie Hölle.

       Gudrun ging allen Ernstes davon aus, das, wenn sie nett zur mir war, ich automatisch auch zu ihr nett sein müsste. Nicht zu fassen diese Anspruchshaltung. Na ja, für gewisse Momente schon angebracht.

       13.09.2016

       Habe meinen Vater erst geliebt, als er alt und schwach war.

       Kein Koks mehr da. Muss Keanu anrufen. Brauche dringend Nachschub.

       War auf der Geburtsstation. Mutter getroffen. Klagte über schwere Geburt. Sagte ihr, lieber eine schwere Geburt als eine Totgeburt. Fand sie nicht witzig. Seltsame Frau. Verstehen alle keinen Spaß.

       Chefarzt hat mich aufgesucht. Allein. Dachte schon, er wolle mit mir die Behandlung diskutierten. Stattdessen droht er mir mit Konsequenzen, wenn ich nicht damit aufhöre, meine Visitenkarten auf der Station zu verteilen. Ignoranter