Jeder war nur für sein eignes Leben besorgt; ja ein Matrose, der mich für tot hielt, schob mich mit dem Fuße seitwärts und trat an meine Stelle. Es dauerte geraume Zeit, ehe ich wieder zu mir selbst kam.
Trotz der angestrengtesten Arbeit stieg das Wasser im Schiffe immer höher. Es war gewiß, daß wir sanken. Obgleich der Sturm ein wenig nachgelassen hatte, konnten wir doch kaum hoffen, einen rettenden Hafen zu erreichen. Fort und fort erdröhnten die Notschüsse; ein leichtes Fahrzeug in einiger Entfernung wagte es, uns ein Boot zu Hilfe zu senden. Nur durch einen glücklichen Zufall kam das Boot in unsre Nähe; aber es war uns lange nicht möglich, an Bord zu kommen, da es nicht anlegen konnte. Die Leute im Boote ruderten unter Lebensgefahr mit allen Kräften. Als sie endlich nahe genug gekommen waren, konnten wir ihnen ein Tau zuwerfen.
Sie fingen es auf und legten an Bord. Im Nu waren wir alle im Boote; doch mußten wir es aufgeben, jenes Schiff zu erreichen, das uns so menschenfreundliche Hilfe gesendet hatte. Daher beschloß man, das Boot treiben zu lassen, indem man vorsichtig nach der Küste zu steuerte. Der Kapitän versprach, es zu ersetzen, wenn es durch Stranden zertrümmert werden sollte. So, teils rudernd, teils mit dem Winde treibend, steuerten wir dem Lande zu, gegen das Vorgebirge von Winterton-Neß.
Wir hatten das Schiff kaum eine Viertelstunde verlassen, als wir es sinken sahen. Meine Augen umflorten sich, als die Matrosen auf das untergehende Schiff hinzeigten. Schon von dem Augenblicke an, wo ich in das Rettungsboot mehr geworfen worden als gestiegen war, legten sich auch Furcht und Gewissensangst wie Blei auf mein Herz.
Des Schiffes Untergang.
Die Schiffsleute ruderten rastlos, um das Land zu erreichen. Sobald unser Boot sich hoch aus den Wellen emporhob, bemerkten wir eine Menge Menschen längs der Küste, die alle bereit waren, uns Hilfe zu leisten, wenn wir nahe genug gekommen sein würden. Allein unsre Fahrt ging nur sehr langsam von statten. Erst nachdem wir den Leuchtturm von Winterton umschifft hatten, wo das Ufer sich westwärts gegen Cromer umbiegt und die Wogen deshalb nicht mehr so heftig sind, gelangten wir mit unsäglicher Anstrengung glücklich ans Land. Wir gingen dann nach Yarmouth, wo wir Schiffbrüchigen mit aller Menschenfreundlichkeit behandelt wurden. Die Obrigkeit wies uns gute Quartiere an, und die Kaufleute und Reeder der Stadt steuerten eine Summe Geldes zusammen, die jeden von uns in den Stand setzte, entweder nach London zu gehen oder sich nach Hull zurückzubegeben.
Hätte ich meinen Menschenverstand zusammengenommen und wäre nach Hull zurückgekehrt – alle Not würde zu Ende gewesen sein. Mein Vater hätte, um mich der Worte der Heiligen Schrift zu bedienen, in der Freude seines Herzens ein gemästetes Kalb geschlachtet.
Wie mir später mitgeteilt ward, hatte er erfahren, daß das Schiff, auf welchem ich mich befand, auf der Reede von Yarmouth untergegangen sei, und erst lange danach wurde ihm Gewißheit darüber, daß ich aus dem Schiffbruch gerettet worden. Aber es schien, als hätte ein schlimmer Geist meinen Sinn verblendet. Zwar regte sich manchmal die Vernunft in mir und mahnte mich, die Schritte wieder zum väterlichen Hause zu lenken; dennoch hielt mich ein Etwas ab, dieser inneren Stimme zu gehorchen. Zu der Lust an Abenteuern und am Wandern, die mich zu dem ersten Schritte des Ungehorsams gegen meine Eltern verleitet hatte, gesellte sich jetzt die Scham; umkehren wollte ich nicht mehr, und so trieb mich das Schicksal weiterem Unglück entgegen.
Mein Kamerad, des Schiffsherrn Sohn, der mir vorher Anleitung gegeben, mein Gewissen zu beruhigen, war jetzt mutloser als ich. Erst einige Tage nach unsrer Ankunft in Yarmouth kam ich wieder mit ihm zusammen, da unsre Quartiere weit auseinander lagen. Jetzt schlug er einen andern Ton an als vorher; mit trüber Miene fragte er mich, wie es mir gehe. Als sein Vater dazu kam, teilte er diesem mit, wer ich sei, daß diese Reise nur ein Versuch für mich gewesen sei, und daß ich weiterreisen wolle. In dem Kapitän mochten die Erinnerungen an durchlebte gefahrvolle Tage des Seelebens emporsteigen, er wurde ernst, fast streng und sagte zu mir: »Junger Mann, Ihr dürft nicht wieder aufs Meer gehen; die kaum überstandenen Ereignisse müssen Euch die Überzeugung aufdringen, daß Ihr nicht zum Seemann geboren seid.«
»Wie, mein Herr«, erwiderte ich verwundert, »wollen Sie denn auch nicht mehr zur See gehen?«
»Bei mir ist das etwas andres; das ist mein Beruf, meine Pflicht, Ihr aber habt mit dieser Reise nur einen Versuch machen wollen, und ich dächte, Ihr hättet einen hinlänglichen Vorgeschmack dessen bekommen, was Euch bevorsteht. Doch sagt mir, wie kommt es eigentlich, daß Ihr zur See gehen wollt?«
Die Schiffbrüchigen auf dem Boote.
Ich erzählte dem Kapitän den Verlauf meines bisherigen Lebens. Als ich geendigt hatte, fuhr er in unmutigem Tone und tief erregt auf: »Womit habe ich verdient, daß solch ein Unbesonnener zu mir an Bord kommen mußte? Um keinen Preis möchte ich je wieder mit Euch meinen Fuß auf dasselbe Schiff setzen!«
Das Unglück, welches ihn betroffen, hatte den Kapitän ganz außerordentlich heftig gestimmt. Indessen sprach er später liebevoller mit mir und stellte ganz eindringlich mir vor, wie thöricht das Beginnen sei, die Vorsehung tollkühn versuchen zu wollen; ich thäte sicher besser, zu meinem Vater zurückzukehren.
»Seid überzeugt, junger Mann«, schloß er seine wohlgemeinten Ermahnungen, »daß, wenn Ihr nicht zurückkehrt, Eurer überall nichts als Täuschungen und Elend harren, und daß die ernsten Worte Eures Vaters in Erfüllung gehen werden.«
Ich erwiderte nichts, sondern verabschiedete mich von dem wohlmeinenden Manne. – Ich habe ihn leider nicht wiedergesehen.
Da ich etwas Geld besaß, begab ich mich zu Lande nach London, unentschlossen, was ich eigentlich thun sollte. Nach Hause zu gehen verbot mir, wie gesagt, die Scham; auch fürchtete ich das höhnische Gerede der Nachbarn. Wie thöricht ist doch die Jugend! Sie schämt sich oft mehr der Reue als der Sünde und stemmt sich mit Gewalt gegen die Weisungen des Verstandes. Sowie die Erinnerung an die ausgestandenen Gefahren schwand, trat auch der Gedanke an die Heimkehr in den Hintergrund; zuletzt gab ich ihn ganz auf und entschloß mich kurz, an Bord eines überseeischen Schiffes zu gehen.
Mein größtes Unglück auf allen meinen Reisen war die Hartnäckigkeit, mit der ich mich weigerte, als Matrose zu dienen. Zwar hätte ich dann gleich den andern tüchtig die Hände rühren müssen, aber ich hätte auch Aussicht gehabt, im Laufe der Zeit zum Steuermann, Hochbootsmann, Leutnant, ja vielleicht gar zum Kapitän emporzusteigen. Allein ich hatte ein besonderes Geschick, überall das Ungünstige zu wählen, und da mein Geld noch ausreichte und meine Kleider sich in leidlich guter Beschaffenheit befanden, so begab ich mich als Passagier an Bord, wobei ich freilich nichts zu thun hatte, aber auch nichts lernen konnte.
Ich kam also nach London. Dort hatte ich das Glück, in gute Gesellschaft zu geraten, was bei einem lockeren, leichtsinnigen Burschen, wie ich war, sicherlich selten genug ist. Meine erste Bekanntschaft war der Kapitän eines Schiffes, welches von der Küste von Guinea zurückgekehrt und im Begriff stand, wieder dorthin abzusegeln. Dieser treffliche Mann fand Wohlgefallen an mir und schlug mir vor, auf seinem Schiffe die Reise nach Guinea zu unternehmen. Er meinte, es solle mich nichts kosten, und wenn ich einige Waren einkaufen wollte, um sie in Afrika mit Vorteil loszuschlagen, so würde ich dadurch vielleicht einen erklecklichen Gewinn machen.
Wer war froher als ich? Ich nahm des Kapitäns Anerbieten ohne Bedenken an. Auf seinen Rat hatte ich für etwa 40 Pfund Sterling (800 Mark) Glaswaren und andre kleine Gegenstände eingekauft. Diese Geldmittel hatte ich durch Hilfe einiger Verwandten aufgebracht, mit denen ich in Briefwechsel geblieben, und letztere hatten auch meinen Eltern mein Schicksal und mein Vorhaben mitgeteilt, ja dieselben wohl vermocht, etwas zu meinem ersten Unternehmen beizusteuern.
Dies