Tief ergriffen hielt er nach diesen Worten inne, während Thränen der Wehmut und Rührung seine Wangen netzten.
In jener Stunde nahm ich mir vor, gehorsam dem Willen meines Vaters mich zu beugen. Doch schon nach wenigen Tagen erwachte die alte Sehnsucht aufs neue, und alle guten Vorsätze waren vergessen. Bei meinem Vater durfte ich nicht hoffen, mit meinen Bitten durchzudringen; deshalb versuchte ich meine Mutter günstig zu stimmen. Ihr stellte ich vor, daß mein Trieb, die Welt zu sehen, unüberwindlich sei, daß ich bereits im achtzehnten Jahre stehe und nun zu alt sei, um die juristische oder die kaufmännische Laufbahn zu betreten. Sie möge den Vater zu der Erlaubnis bewegen, mich wenigstens eine Reise unternehmen zu lassen; gefiele mir das Seemannsleben nicht, so wolle ich dann mit doppeltem Eifer das Versäumte nachholen.
Von diesen wiederholten Herzensoffenbarungen war meine besorgte Mutter durchaus nicht erbaut; sie sagte mir rundweg, daß es ganz zwecklos sei, mit dem Vater noch einmal über diesen leidigen Gegenstand zu sprechen. Trotzdem teilte sie gelegentlich die Unterredung dem Vater mit, und dieser gab ihr seufzend zur Antwort: »Der Junge könnte zu Hause ein ganz gutes Leben haben; geht er aber davon, so wird er der elendeste Mensch auf Erden. Ich gebe meine Einwilligung nicht!«
So verging abermals ein Jahr, währenddessen die wiederholten Ermahnungen meiner Eltern nur tauben Ohren gepredigt wurden. Eines Tages war ich nach Hull gegangen und traf dort zufällig mit einem alten Schulkameraden zusammen, der im Begriff stand, auf einem Schiffe seines Vaters nach London abzufahren. Er überredete mich, ihn zu begleiten, indem er mich nach Seemannsart mit den Worten lockte: »Die Fahrt soll dich nichts kosten, mein Junge.«
Mein Entschluß war gefaßt. Unbekümmert um die Sorgen der Eltern, bestieg ich das Schiff; es war am 1. September 1651.
Selten hat die Strafe für den Leichtsinn so schnell begonnen und so lange gedauert wie bei mir. Kaum waren wir aus dem Hafen ausgelaufen, als es zu stürmen begann und die See hohl ging. Ich hatte noch nie eine Seereise mitgemacht, und so ergriff mich denn die unerbittliche Seekrankheit. Jetzt überfiel mich auch schon die Reue über meine unbesonnene Handlungsweise; meine Gedanken kehrten ins Elternhaus zurück, wo gewiß Vater und Mutter unter Thränen vergeblich meiner Wiederkehr harrten.
Der Sturm brauste immer heftiger, das Schiff sank bald in den Abgrund, bald wurde es hoch emporgeschleudert – mich überkam namenlose Angst. In diesen qualenvollen Augenblicken gelobte ich, sofort wieder in das elterliche Haus zurückzukehren, wenn es nur Gott gefallen würde, mich aus der Gefahr zu erlösen. Als sich aber am nächsten Tage Sturm und Wellen gelegt hatten, waren auch alle meine guten Vorsätze dahin. Gegen Abend klärte sich das Wetter auf; die Sonne ging rein und glänzend unter, um am nächsten Morgen in gleicher Herrlichkeit wieder aufzugehen. Ihr heller Schein spiegelte sich auf der weiten Meeresfläche wider; ich konnte mich an diesem ungewohnten, prachtvollen Schauspiel nicht satt sehen.
Während der Nacht hatte ich gut geschlafen und mich auch von meiner Seekrankheit wieder erholt. Mein Blick schweifte über den glatten Spiegel des Meeres, dessen Wellen gestern noch so unheilvolles Verderben drohten. Eben stand ich in tiefes Sinnen versunken, da trat mein Freund, der mich zu dieser Seereise beredet hatte, an mich heran und sagte lachend:
»Nun, Robin, wie ist dir die Bewegung von gestern bekommen? Du hast dich doch wegen des kleinen Windstoßes nicht geängstiget?«
»Was? Windstoß? Ich habe in meinem Leben noch keinen solchen Sturm ausgestanden.«
»Das nennst du einen Sturm? Nichts war es. Hat man nur ein gutes Schiff und ist auf offener See, dann macht uns eine Mütze voll Wind mehr oder weniger nicht bange. Aber davon verstehst du noch nichts; du bist nur ein Süßwassermensch, mein Junge. Komm, wir wollen eine Bowle Punsch machen und alles vergessen. Sieh, was für prächtiges Wetter wir haben!«
Der Punsch wurde gebraut und ich mußte tüchtig trinken, als sei ich schon seit Jahren Matrose. Da ging im Rausche alle Reue über meinen Ungehorsam unter; ich vergaß alle guten Vorsätze. Zwar kamen noch Augenblicke, in denen meine Vernunft widersprach, doch sah ich bald in solcher Regung nur eine Schwäche und bemühte mich, meine Grillen, wie ich es nannte, dadurch zu vertreiben, daß ich lustige Gesellschaft aufsuchte und fleißig den Kameraden zutrank. Nach wenigen Tagen hatte ich mein Gewissen beschwichtigt und die Erinnerung an alle väterlichen Lehren übertäubt.
Am sechsten Tage unsrer Fahrt gelangte unser Schiff auf die Reede von Yarmouth; widrige Winde und Windstille hatten uns seit jenem Sturme nicht erlaubt, eine größere Strecke zurückzulegen, und wir sahen uns genötigt, vor Anker zu gehen. Der Wind, anfangs minder stark, wuchs aber bald bis zum Orkan; alle Hände mußten zugreifen, um die Stengen und Raaen zu streichen. Die Wellen schlugen über unser Schiff, und ein paarmal glaubten wir, unser Ankertau sei zerrissen. Auf Anordnung des Oberbootsmannes wurde nun der Taganker ausgeworfen, so daß wir sicherer vor zwei Ankern liegen konnten.
Der Sturm raste fort; Angst und Entsetzen lagerten sich auf den Gesichtern der Matrosen. Der Kapitän ließ alle Vorsichtsmaßregeln anwenden, sein Schiff zu erhalten; doch schien er schon selbst die Hoffnung aufzugeben, denn als er an meiner Schlafstelle vorüberkam, hörte ich ihn in die Worte ausbrechen: »Der Herr sei uns gnädig! Wir sind alle verloren!« – Da bemächtigte sich meiner eine solche Todesangst, daß ich für den ersten Augenblick wie gelähmt in der Kajütte liegen blieb. Ich vermag es nicht zu schildern, was ich fühlte! Dann aber sprang ich aus der Kajütte auf das Verdeck und schaute umher. Welch entsetzliches Schauspiel bot sich meinen Blicken! Die Wellen gingen bergehoch und brachen sich an unsern Schiffswänden nach je drei oder vier Minuten; wohin ich auch sehen mochte, erblickte ich nichts als Angst und Not. Zwei schwerbeladene Fahrzeuge, die sich in unsrer Nähe befanden, hatten ihre Masten am Fuße gekappt – – eine halbe Stunde von uns entfernt sahen wir ein Schiff untergehen. Zwei andre, von ihren Ankern losgerissen, wurden in die See hinausgeworfen. Die leichteren Fahrzeuge hatten weniger zu leiden; dennoch trieben zwei oder drei, nur mit dem großen Blindsegel versehen, bei uns vor dem Winde vorbei.
Gegen Abend baten der Hochbootsmann und der Steuermann den Kapitän um seine Einwilligung, den Vordermast zu kappen. Er mußte es schon zugeben, da der Hochbootsmann versicherte, das Schiff sei sonst unrettbar verloren. Als nun der Vordermast gefallen war, stand der große Mast ohne Stütze und erschütterte das Schiff so sehr, daß man sich genötigt sah, auch diesen umzuhauen.
Der Zustand, in welchem ich mich damals bei meiner Unerfahrenheit mit den Gefahren des Seelebens befand, ist unbeschreiblich. Deutlich erinnere ich mich, daß mich während dieser qualvollen Stunden mehr die Reue marterte, von meinen guten Vorsätzen abgegangen zu sein, als mich die Furcht vor dem Tode schreckte. Der Gedanke, daß dieses Unglück eine Strafe Gottes für meinen Ungehorsam sei, stürzte mich in tiefe Betrübnis. Aber das Maß unsrer Leiden war noch nicht voll.
Der Sturm tobte mit solcher Wut, daß selbst die Matrosen gestanden, nie einen ähnlichen erlebt zu haben. Obschon unser Fahrzeug tüchtig war, schwankte es doch heftig hin und her, so daß die Matrosen jeden Augenblick ausriefen: »Wir kentern!« d. h. wir schlagen um. Ja, was bei Seeleuten nur selten vorkommt, der Kapitän, der Hochbootsmann und mehrere andre sanken betend auf die Kniee und starrten hoffnungslos dem Untergange entgegen.
Um Mitternacht rief plötzlich einer der Matrosen: »Ein Leck im Schiff!« Ein andrer schrie: »Das Wasser steht schon vier Fuß hoch im Raum!« Alles mußte jetzt an die Pumpen. Ich war wie gelähmt und sank auf mein Lager zurück. Die Matrosen weckten mich unsanft aus meiner Erstarrung auf und meinten, wenn ich auch vorher zu nichts genutzt hätte, so könnte ich doch jetzt an den Pumpen mit helfen gleich den andern.
Mechanisch folgte ich dieser Aufforderung; ich erhob mich und arbeitete tüchtig. Während