Verfluchte Freiheit. Anna Sydney. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Anna Sydney
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738057157
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kleinen Kanzlei angestellt. Sie hatten sehr unter der zunehmenden Konkurrenz zu kämpfen und kämpften täglich um Mandanten.

      Robert, der sein Studium beendet, aber nicht sofort eine Anstellung bekommen hatte, war ins Geschäft seines Vaters eingestiegen. Seine Eltern waren zunächst nicht begeistert, weil sie der Meinung waren, Robert habe nicht so lange studiert, um dann bei ihnen im Geschäft einzusteigen. Sie hofften, diese Lösung sei nur vorübergehend. Doch als es ihnen gesundheitlich schlechter ging, waren sie dankbar dafür, dass Robert da war und den Juwelierladen an der Juliuspromenade übernahm.

      Valentin, der gerade zum dritten Aufguss kam, sagte verlegen: „Sorry, bin wieder mal zu spät.“

      „Schon klar“, erwiderte Freddy, „wir haben schon angefangen, sind schon mit dem zweiten Aufguss durch. Valentin, nimm dir doch Victor mit in die Kanzlei, einen besseren bekommst du nicht! Und du hättest etwas mehr Freizeit!“

      „Und was macht er dann in seiner neugewonnener Freizeit?“, fügte André neugierig hinzu und musterte seine Freunde.

      „Na ja“, überlegte Freddy und grinste, „Valentin könnte sich eine Geliebte zulegen. Dann wäre er auch zufriedener und ausgeglichener!“

      Allgemeines Gelächter brach aus. „Willst du wieder in die Studienzeit zurück?“, entgegnete Valentin barscher, als er eigentlich beabsichtigt hatte.

      „War eine geile Zeit, oder vielleicht nicht?“, schwärmte Andre. „Ehrlich, es war die geilste Zeit meines Lebens. Denkt doch mal an die coolen Wetten, die wir abgeschlossen haben! Könnt ihr euch noch an Eve erinnern?“

      Alle lachten. „Ist noch gar nicht so lange her, da habe ich sie bei Douglas getroffen“, berichtete Freddy lachend.

      „Und? Hast du mit ihr gesprochen?“, wollte André wissen.

      „Klar. Sie hat ihr Studium damals abgebrochen, weil sie schwanger wurde. Mittlerweile hat sie vier Kinder.“

      „Sind die alle von einem Vater?“, fragte André nach.

      „Das weiß ich doch nicht, das habe ich natürlich nicht gefragt. Ich bin froh, dass keins von mir ist!“, höhnte Freddy. „Da gibt es nichts zu lachen! Auch ihr könntet schließlich der Vater eines ihrer Kinder sein!“

      „Schon klar. Aber jetzt haben wir ganz andere Ziele, andere Perspektiven, das Leben wird viel tiefgründiger. Ich meine, alles hat seine Zeit und jede Zeit hat ihre Besonderheiten. Deshalb sollten wir in die Zukunft schauen und voranschreiten. Ich arbeite viele Stunden am Tag, habe eine tolle Frau, eine bezaubernde Tochter, ein Haus, eben alles, was ein Mann sich wünschen kann. Trotzdem habe ich das Gefühl, es fehlt was. Nichts Materielles. Ich bin mir nicht mal sicher, ob man nicht freier lebt ohne diesen ganzen Ballast, den du immer verwalten musst und vermehren. Es ist wie eine Sucht. Du brauchst immer mehr und hast Angst, deinen Lebensstandard verlieren zu können. Dein Ansehen in der Gesellschaft einzubüßen. In dieser Gesellschaft kommt es nicht darauf an, was du bist, sondern für was die Leute dich halten. Wäre es nicht schön, ohne Schlüssel zu leben, frei, ohne ständige Angst vor Verlust? Sollte man seine Zeit nicht sinnvoller gestalten?“, sinnierte Valentin in die Runde hinein.

      Misstrauisch beugte Freddy sich vor. „Sei nicht so pessimistisch! Sei einfach mal zufrieden und freue dich an dem, was du hast! Oder schaff dir eine Geliebte an, wie ich vorhin schon gesagt habe. Eine, die dich auf andere Gedanken bringt!“

      „Ist schon okay“, wechselte Valentin das Thema. „Wer hat Lust, am Wochenende zu dieser Ausstellung Kunst, Film und Comic im Hofgarten in der Orangerie mitzukommen? Hazel will unbedingt da hin. Sie ist ein Fan von Robert Crumb. Außerdem gibt es eine Ausstellung von verschiedenen Malern. Wird bestimmt ganz lustig.“

      Victor überlegte kurz. „Ich muss mal mit Sarah sprechen. Sie wollte am Wochenende zum Stadtfest, da wird von der Stadtbücherei und dem Café Cairo ein Theaterspiel aufgeführt, Kaktussen. Und anschließend wollte sie mit ein paar Bekannten ins Lesecafé im Falkenhaus. Das Spektakel soll bis in die frühen Morgenstunden dauern.“

      Am Sonntag spazierte Valentin mit Frau und Tochter am Main entlang. Enten saßen am Wegrand, einige waren auf der Suche nach Fressen, andere lagen nur faul herum und bewegten sich kaum. Die junge Familie setzte sich auf eine Bank. Victoria stöhnte kurz auf, nahm dann aber neben ihren Eltern Platz. Wortlos saßen sie nebeneinander und sahen eine Weile den Enten zu, bis Victoria drängte: „Also, lasst uns weitergehen!“

      Gemütlich schlenderten sie zur Residenz. Die Luft war frisch und klar. Sie liefen durch den Hofgarten und bewunderten die fein symmetrisch gegliederte Gartenpartien mit ihren sorgfältig gestutzten Formobstbäumen, Blumenbeeten, Hecken, Spalieren und Laubgängen. Victoria hatte einen Malblock dabei. Hazel hatte ihr aufgetragen, besonders schöne Details abzumalen. Sie wollte Ideen sammeln für ihren eigenen Garten. Jeder Mensch wünscht sich ein Fleckchen Erde, an dem er die Seele baumeln lassen kann. Hazel hatte in ihrem Garten einen solchen wunderbaren Freiraum geschaffen, wo Stress und Hektik sich in Gelassenheit verwandelten. Eine Zauberlandschaft, wie sie trefflich meinte, welche die Fantasie beflügelt und uns die Welt mit anderen Augen sehen lässt.

      Victoria zeichnete konzentriert und brachte sehr schöne Illustrationen auf ihren Block. Fein säuberlich schrieb sie mit Bleistift die lateinischen Begriffe darunter. Hazel und Valentin nutzten die Gelegenheit und nahmen an einer Weinverkostung teil. Valentin spielte an Hazels Haar, das ihr lose über den Rücken fiel. Er war hin- und hergerissen, mit ihr endlich über seine Gefühle zu sprechen. Er wusste, der richtige Augenblick würde nie kommen und beschloss, das Thema endlich anzusprechen. Zögernd begann er.

      „Hazel, ich trage mich schon seit einiger Zeit mit dem Gedanken, hier alles aufzugeben, um die Welt kennenzulernen.“

      Hazels Lippen verzogen sich zu einem unhörbaren Lächeln; sie schluckte trocken. „Also, die Welt kannst du gern kennenlernen. Deswegen musst du doch nicht alles hier aufgeben, Valentin.“

      „So wie ich die Welt kennenlernen möchte, muss ich alles aufgeben. Ich will frei sein von Verpflichtungen und von materiellen Gütern. Es wird eine ganz neue Erfahrung für uns werden. Erlebnisse, die uns niemand mehr nehmen kann. Unabhängigkeit für alles, was wir schon immer einmal tun wollten. Nur zu dritt, du Hazel, Victoria und ich.“

      „Für uns … das ist doch nicht dein Ernst? Oder doch!“ sagte sie und sah ihm fest in die Augen.

      Ihm war klar, dass er sie überrumpelt hatte. Verzweifelt suchte sie nach Worten.

      „Valentin, was verstehst du unter alles hier aufgeben?“

      „Ich meine, alle Zelte hier abbrechen. Du kannst dir aussuchen, wo wir hingehen. Und wo es uns gefällt, da bleiben wir. Wir werden eine wunderbare Zeit erleben. Eine Zeit, die uns niemand mehr nehmen kann.“

      Ihre Augen ruhten auf seinem Gesicht. Von einer Sekunde zur anderen verfinsterte sich ihr Gesichtsausdruck. „Du meinst wirklich, was du sagst, oder?“ Sie war blass. „Valentin, wie stellst du dir das vor? Wir haben eine Tochter! Wir tragen für sie Verantwortung!“

      „Ich weiß. Aber das ist für Victoria die Schule ihres Lebens, das wird sie nie vergessen! Und Kinder entdecken viel mehr als Erwachsene. Sie sind noch offen und nicht voreingenommen.“

      Ein leichter Wind blies in ihr Gesicht. Sie war bemüht, ihre Gefühle unter Kontrolle zu bekommen. Beherzt schüttelte sie den Kopf.

      „Nein!“, stieß sie entschlossen aus, und ihr Magen zog sich zusammen, „nein, das kannst du nicht von mir verlangen! Ich bin in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen. Ich hatte nie eine richtige Familie. Ich habe dir erzählt von meinen Familienverhältnissen. Mit fünfzehn habe ich die Berufsschule absolviert und ging in die Lehre als Friseuse, mietete mir eine kleine Wohnung. Ich lebte immer von der Hand in den Mund. Ich hatte nie Geld übrig, um wenigstens einen kleinen Teil zu sparen. Meist reichte das Geld nicht einmal für den Monat. Du kannst das nicht verstehen, bei euch war Geld nie ein Thema. Es war da und musste nur vermehrt werden. Du musstest dir nie Gedanken machen, von was du leben sollst. In so ein Leben kann und will ich nicht zurück. Vor allem auch nicht wegen unserer Tochter. Victoria soll