Die beiden Sträflinge. Gerstäcker Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753136042
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warfen mit solchem Erfolg ihre Bumerangs oder aufgegriffene Stücken Holz zwischen die heulende Schaar hinein, daß diese winselnd und mit eingezogenen Schwänzen auseinanderstob, den Weg zum Lager für die Weißen frei lassend.

      Trotz der kurzen Zeit, in der sie sich eigentlich hier an Ort und Stelle befanden, war das eigentliche Lager doch schon großentheils hergestellt worden. Die Männer hatten nämlich mit den kleinen Beilen, die Einige mit sich führten, von den nächsten Gumbäumen große Stücken Rinde rasch abgehackt und heruntergezogen, die Frauen schleppten sie herbei und stellten dann drei oder vier Stück derselben nach der Windseite so zusammen, daß sie oben eine Spitze bildeten. Gegen diese, die vorn etwas überneigte, wurde ein etwa sieben Fuß langer Stock schräg eingestemmt, um eine Art Dach herzustellen, und das Lager, Bett und Haus - war fertig.

      Allerdings schützten diese Rindenstücke die darunter Liegenden nur nach einer Seite gegen Wind und Wetter und die heißen Strahlen der Mittagssonne, und die nackte Erde, nur selten mit einem Opossumfellmantel zur Unterlage, war das Bett. Was aber kümmerte das die abgehärteten und eben an Wind und Wetter gewöhnten Kinder dieser trostlosen Gumwälder! Sobald sie nur genug hatten, ihre Bäuche zu füllen welcher Art die Speise auch war - um das Uebrige nugen sie wahrhaftig keine Sorge.

      Von dem Eigenthümer der Station nahmen sie indessen weiter keine Notiz, als daß sie ihn von den Hunden frei hielten. Es war ihnen vor allen Dingen einmal erlaubt, hier ihr Lager aufzuschlagen, und das Andere fand sich dann von selbst. Alle Hände voll hatten sie außerdem auch zu thun, um ihr Nachtquartier in Stand zu setzen, und wie nur die Rindenblätter standen, wurden vor jeder einzelnen Gunpo /36/ Feuer angezündet, anscheinend zur Bereitung für ein Mittagsessen, obgleich an Lebensmitteln, ein erlegtes Walloby und zwei Opossums ausgenommen, nichts zu sehen war.

      Der australische Wald oder „Busch" ist eine traurige Heimath für den Wilden, dem er wenig mehr bietet als Feuerholz und ein Stück Rinde, um sich gegen das Wetter zu schützen. Waldfrüchte wachsen gar nicht darin. Die wenigen, welche in Form oder Farbe einer Frucht wirklich ähnlich sehen, sind ungenießbar, und entweder hart wie Holz und eben so saftlos, oder wollig und fade von Geschmack. Die australische Birne gehört zu der ersten, die Himbeere zu der zweiten Gattung. Die australische Kirsche, die den Kern außen an der obern Spitze sitzen hat, ist ebenfalls eine kleine, ganz werthlose, fade schmeckende Beere, und somit sind die Buschfrüchte der südlichen Hälfte des australischen Continents vollkommen erschöpft. Natürlich muß der Eingeborene, was ihm der Wald an Früchten versagt, in der Insectenwelt suchen, und Larven und Käfer, Maden, Engerlinge und Raupen sind vor seinem Hunger niemals sicher. Eine Akazienart liefert ihm außerdem noch ein nahrhaftes Harz, das besonders die Frauen sammeln und in Netzen mit sich tragen, und eine Art Eisgewächs mit kleinen dreieckigen fleischigen Blättern, fast wie eine kurze dreieckige Feile, die selbst in der dürrsten Jahreszeit ihr saftiges Fleisch bewahrt, dient ihnen daneben zur Hauptnahrung. Hier und da wachsen auch an sumpfigen Stellen im Walde einzelne Kräuter und kohlartige Pflanzen, die von ihnen mit großer Sorgfalt gesammelt und verzehrt werden. Sie essen überhaupt Alles, was ihnen nur irgend vorkommt und genießbar scheint, und die Gumbäume würden noch viel leerer und trostloser im Walde umherstehen, wenn sich ihre Blätter nicht gleich von vornherein durch einen scharfen öligen Geschmack dagegen verwahrt hätten, weder von Vieh noch Menschen verzehrt zu werden.

      Diese Gunyos oder Rindenzelte waren, dem Anschein nach, unregelmäßig unter den Bäumen umhergestreut, alle nur das Schutzdach gerade der Richtung zukehrend, von welcher der Wind herwehte. Sorgfältiger als die übrigen schien auch nur ein einziges Lager hergerichtet, denn der Rindenschutz war /37/ war niedriger als bei den anderen, zog sich aber fast ringsum und ließ nur vorn eine kleine schmale Stelle offen, vor der der Besitzer desselben sich an dem schon angezündeten Feuer wärmen konnte. Diese Gunyo lag etwas abgesondert von den übrigen, und besondern Respect schienen die Hunde davor zu haben, die einen weiten Bogen machten, um sie zu umgehen.

      Dort hauste eins der merkwürdigsten Wesen, das die schwarzen Stämme wohl unter sich aufzuweisen hatten. Es war ein Krüppel, und zwar durch jene wunderbare, dem australischen Continent eigenthümliche Krankheit, in der das Fleisch der Arme und Beine, gewöhnlich eines Beines oder eines Armes, unter der Haut wegschwindet und den auf diese Weise angegriffenen Theil wie ein mit Gummi elasticum überzogenes Skelet erscheinen läßt. Man könnte die Krankheit eine negative Elephantiasis nennen, so ganz in ihrer Wirkung ist sie verschieden, und so ganz ähnliche Ursache schreibt man ihr hier, wie aus den Nachbarinseln in der Südsee jener zu: nämlich das Liegen auf dem feuchten Boden. Sonderbar aber ist es, daß sich das in zwei gar nicht so weit von einander gelegenen, jedenfalls von einem Meere bespülten Ländern auf so gerade entgegengesetzte Weise äußern sollte: in dem einen durch ein unnatürliches Anschwellen der Beine, wodurch die Haut fast in Leibesdicke wie ein Trommelfell angespannt wird, und in dem andern durch gänzliches Schwinden des Fleisches, bei dem die Muskeln und Sehnen zusammentrocken, und die zusammengeschrumpfte Haut sich dicht und fest um die Knochen legt.

      Die Schwarzen schreiben das allerdings übernatürlichen Kräftten und bösen Geistern zu, die heimlich und bei Nacht, wenn die Feuer zufällig ausgegangen waren, herbeischlichen und mit gierigen Lippen an den Gliedern solcher Unglücklichen sogen. Betrifft es auch nur eins der Glieder, einen Arm oder ein Bein, wie das gewöhnlich der Fall ist, so laufen solche dem Geist verfallen Gewesene noch immer ruhig mit durch’sLeben, und scheinen sich aus dem Unfalle wenig mehr zu machen, als ihre Nachbarn in der Südsee aus ihren zum Zersrpingen angeschwollenen Beinen.

      Der schwarze Bursche nun, der zu diesem Stamme gehörte, /38/ war schlimmer als die Uebrigen heimgesucht, und durch den bösen Geist des Gebrauches beider Beine beraubt worden. Er hatte die Kraft und Fähigkeit verloren darauf zu stehen, und wenn auch der Oberkörper bis zu den Hüftknochen hinab völlig gesund, ja sogar stark und kräftig schien, mit breiter, gewölbter Brust und muskulösen Armen, so waren die Beine dagegen zum Skelet zusammengeschrumpft. Dadurch wurde er gezwungen, sich mit den Händen fortzubewegen, auf denen er, während er die Beine kreuzweise zusammenlegte, ordentlich und ohne anscheinend sehr große Beschwerde ging. Bei längeren Märschen erleichterte es ihm der Stamm übrigens dadurch, daß man ihn da, wo der Boden es erlaubte, auf ein Stück Rinde setzte. Dieses, von den Frauen gezogen, unterstützte ihn bei seinem Fortbewegen wenigstens in etwas.

      Verkrüppelte, besonders Blinde, werden von den Schwarzen keineswegs besonders geachtet. Schon ihr ganzes politisches Leben zeigt das an, in Folge dessen die ältesten und stärksten Männer die Häuptlinge und Regierer sind, die anderen aber ihnen unbedingt Folge zu leisten haben. Hier bei diesem Unglücklichen jedoch, der selbst der Fähigkeit beraubt schien, sich zu ernähren, mußten andere Umstände obwalten, denn der Stamm bewies ihm nicht allein die größte Achtung und Aufmerksamkeit, sondern betrachtete ihn fast als ein höheres, jedenfalls mit den Geistern in genauer Verbindung stehendes Wesen.

      Besondere Fähigkeiten besaß er jedenfalls, und obgleich der Stamm nur selten mit den Weißen verkehrte, so hatte sich dieser Unglückliche doch so viel von der Sprache des fremden Volkes angeeignet, daß er sich recht gut, ja fast geläufig, mit ihnen verständlich machen konnte. War es deshalb, oder vielleicht wegen seines Verkehrs mit den Geistern der Nacht, mit denen er, wie die Eingeborenen glaubten, stete Verbindung unterhielt, und zwischen denen und seinem Stamm er vermittelte, aber er hatte den Namen Nguyulloman, der Dolmetscher, erhalten mit dem Ehrentitel Burka, der alte Mann. Keine Beute wurde auch in das Lager gebracht, kein feistes Känguru, kein rundes Opussum, kein Ballen Wattelharz oder Netz /39/ voll schneeweißer Engerlinge, von denen er nicht sein Theil als schuldigen und ehrerbietigen Tribut bekommen hätte.

      Nguyulloman nahm das auch an als eine Sache, die sich von selbst verstand, und forderte sogar die Ehrfurcht von den Seinen, die sich nicht regen durften, wenn er manchmal Nachts unter seinem einsamen Rindendache mit tiefer, hohltönendcr Stimme seine Beschwörungen in den dunkeln Wald hineinsang. Nur die Hunde heulten dazu, denn sie fürchteten den verkrüppelten Mann, der mit nie fehlender Sicherheit Steine und Holzstücke nach ihnen schleuderte, so oft sie nur in die Nähe seiner Hütte kamen, und gar schauerlich klangen dann die Beschwörungsformeln, wenn sich der angstvoll thierische Laut mit ihnen mischte. Der ganze Stamm lauschte dann auch in peinlicher Spannung dem Schlusse des Liedes; kein Kind wagte zu schreien, und nur schüchtern und vorsichtig kroch hier und da eine Frau zum Feuer, um mehr Holz hineinzuschieben, damit