„Vom 15. December?" rief die Mutter erstaunt, „geht mir mit Euren altbackenen Neuigkeiten. Und damit wird Einem jetzt noch Schrecken eingejagt!"
„Haben Sie den Mann einmal draußen wild im Walde gesehen?" frug Ned, der Jüngste, der sich besonders für den Buschrähndscher interessirte.
„Wild draußen nicht," meinte Mac Donald, „und bin damit auch ganz einverstanden; in der Stadt aber wohl, wenn auch nur flüchtig, gerade als er gefangen eingebracht wurde."
„Und wie sah er aus?" rief Bill rasch und begierig.
„Ja, mein junger Freund," sagte der Gast, „das bin ich wirklich nicht im Stande, Euch so genau anzugeben. Auf mich macht solch ein Schauspiel jedesmal einen entsetzlich unangenehmen, ich kann wohl sagen, peinlichen Eindruck, und ich gehe ihm lieber soviel als möglich aus dem Wege, suche es wenigstens nie freiwillig auf."
„Und daran thun Sie auch vollkommen wohl," stimmte ihm die Mutter bei. „Es ist schon außerdem genug Jammer und Elend in der Welt, und stößt uns überall auf, wo wir ihm mit dem besten Willen nicht ausweichen können; man muß sich nicht noch muthwillig solch' schmerzlichen Eindrücken preisgeben."
„Ich sähe aber für mein Leben gern einmal einen Buschrähndscher hängen!" rief Bill mit leuchtenden Augen.
„Bill!' riefen Mutter und Schwestern fast zu gleicher Zeit erschreckt und tadelnd aus. „Wer um Gottes willen hat dem Knaben solch' blutdürstige Gedanken in das Herz gelegt?" setzte die Mutter noch schaudernd hinzu; - „pfui, Kind, schäme Dich, solchen Wünschen Worte zu geben; hüte Dich aber noch viel mehr, sie in Deinem Herzen zu nähren."
„Aengstigen Sie sich deshalb nicht, Mrs. Powell," beruhigte sie Mac Donald. „Die Knaben wachsen hier im Busche auf und schwatzen nur meist nach, was sie von der /23/ eben nicht zarten Gesellschaft der Hirten, Schäfer und Ochsentreiber hören. Das Herz kann dabei gut und rein bleiben; nur der jugendliche Uebermuth sprudelt heraus, und wird Bill einmal älter, so sieht er schon selbst ein, daß es eben nichts Wünschenswerthes sein kann, einen Nebenmenschen - und wenn es ein Verbrecher wäre - vom Leben zum Tode gebracht zu wissen."
„Dann sind die Schwarzen wohl auch unsere Neben menschen?" fragte Bill, halb trotzig, halb beschämt.
„Allerdings," erwiderte Mac Donald freundlich, „und so wild sie sich manchmal benehmen, so würden wir an ihrer Stelle, und von einer andern Menschenrace so behandelt, oder vielmehr mißhandelt, wie wir sie mißhandeln, uns noch viel ungeberdiger, unfügsamer, vielleicht sogar grausamer zeigen als sie."
„Das glaub' ich auch," stimmte ihm Mr. Powell bei. „Die meisten Stationshalter betrachten aber wirklich die Schwarzen für wenig besser als die wilden Hunde, und vermehren dadurch nur die Feindschaft, erweitern den Riß, der leider schon unausfüllbar groß geworden ist."
„Du bist besser mit ihnen, John," sagte die Frau herzlich zu ihrem Manne, „Du hast nie nach ihnen geschossen, oder sie mit Hunden gehetzt, und ich glaube, dem Umstand allein haben wir es auch zu verdanken, daß sie uns bisher so gänzlich in Ruhe gelassen und nie eine wirkliche Feindseligkeit versucht haben."
„Liebes Kind," sagte der Mann achselzuckend, „darauf allein dürfen wir nicht bauen, und ich verlasse mich dabei doch immer mehr auf die Furcht, die wir ihnen einflößen, als auf sine Dankbarkeit, zu der wir sie verpflichtet, wie Du glaubst. Bedenke, daß ich, so gut wie alle übrigen Stationshalter, ihnen doch trotzdem direct den größten Schaden zufüge, der ihnen nur überhaupt von den Weißen zugefügt werden kann. Daß ich persönlich freundlich mit ihnen bin, und Rohheiten meiner Leute gegen sie nicht gestatte, kann das nicht gut machen. Wir haben sie mit unseren Heerden von ihren Jagdgründen verdrängt, mit unseren Hunden ihr Wild, /24/ ihre Kängurus, Emus und Wallobys4 vom Flusse weg in die Malleybüsche gejagt; ja, noch schlimmer, einen Stamm dem andern, die sich alle feindselig gesinnt sind, in die Nähe gezwungen, daß das Blutvergießen zwischen ihnen seit der Zeit nicht aufgehört hat. Das vergessen uns die schwarzen Burschen nicht, können sie nicht vergessen, und ihr ganzer Charakter ist überhaupt nicht so versöhnlicher Art. Wer sie noch außerdem persönlich reizt, hat sich die Folgen selber zuzuschreiben."
„Das wissen Sie doch," sagte Mac Donald, „daß ein ganzer Stamm von ihnen kaum eine halbe Stunde Wegs am Flusse lagert?"
„Wirklich? - nein, das wußte ich nicht," sagte Mr. Powell lächelnd, „hätt' es mir aber allenfalls denken können, und heut Abend werden wir ihre Feuer hier dicht bei uns haben, und ihren Corroberrys5 zusehen können. Wenn die Zufuhren kommen, sind die Schwarzen auch nicht weit, darauf kann man sich fest verlassen, und wie der Raubvogel oder der wilde Hund ein Aas im Walde wittert, so merken die schwarzen, eben so scharfsinnigen Burschen frische Transporte, bei denen sie recht gut wissen, daß auch etwas für sie abfällt."
In diesem Augenblicke klopfte es an die Thür, und auf das einladende „walk in!" des Hausherrn erschien der erste Stockman Mr. Bale auf der Schwelle, grüßte die Familie, sowie den Fremden, und meldete, daß ein Stamm der Rufus-Schwarzen - dieselben, die im vorigen Jahr einmal ein paar Tage hier gelagert und bei ihrem Abschied ein halbes Dutzend Schafe mitgenommen hätten - im Anzug wäre, und, wie es schien, Lust habe seine Gunyos6 hier aufzuschlagen.
„Ah, da sind sie also schon," lachte Mr. Mac Donald, „die müssen mir dann gerade in der Fährte gefolgt sein."
„Ja, die schwarzen Halunken lassen nicht lange auf sich /25/ warten, wenn sie einmal irgendwo Tabak oder Brod riechen," meinte der Stockkeeper. „Sollen wir sie denn zu der Station lassen, Sir? ich dächte, wir litten die schwarzen Spitzbuben nicht so ganz in der Nähe?"
„Wie viele sind's ihrer wohl?" frug Mr. Powell.
„Nicht so sehr viele," lautete die Antwort, „vielleicht zehn Männer und fünfzehn oder sechzehn Frauen und Kinder. Der alte Krüppel ist auch wieder dabei, und wandert auf seinen Händen rüstig mit. Der Bursche ist zäh wie rohe Haut."
„Der arme Mensch," sagte Mrs. Powell, während die Söhne hinausgegangen waren, um die Schwarzen ankommen zu sehen. „Laß sie nur heran, John. Sie bleiben nicht lange, und es muß ihnen ja auch wohlthun, einmal menschliche Wohnungen zu sehen und in ihrer Nähe weilen zu können."
„Glauben Sie das ja nicht, Madame," warf hier der Stockman ein. „Die Canaillen hassen die Wohnung eines Weißen, wie den Weißen selber, und finden sie draußen im Busche einmal eine leere Hütte - mag es vom Himmel heruntergießen, so viel es will - gehen sie nicht etwa hinein, sondern lagern hartnäckig im Freien. Wenn sie den innern Raum ja auf eine Viertelstunde betreten, so geschieht es nur vielleicht, um zu sehen, ob sie drinnen nichts mehr zu stehlen finden, denn gebrauchen können sie Alles. - Hätt' ich meinen Willen - aber was thut's - und wie soll's gehalten werden, Sir?"
„Lassen Sie die Burschen nur heran," sagte Mr. Powell gutmüthig; „wenn sie uns ja lästig werden sollten, können wir sie bald wieder los werden. - Hier ist ein Brief für Sie mitgekommen, Mr. Bale," brach er dann ab, und ging nach dem Tische zu - „zwei sogar, wie ich sehe, und wenn Sie heut Abend einige von den Zeitungen durchblättern wollen, stehen sie Ihnen ebenfalls zu Diensten."
„Dank Ihnen, Sir," sagte der Mann, indem er die Briefe anscheinend gleichgültig nahm und nach einem nur flüchtigen Blick auf die Adresse in die Tasche schob. Aber seine Augen glänzten, und über das derbe, sonnverbrannte Gesicht des Mannes, das ein kurz gehaltener, aber voller Bart mehr /26/ zierte als verdeckte, zog sich ein freundliches Lächeln. - Briefe aus der Heimath, wer auch hätte dem Zauber widerstehen können!
„Wolle ist theurer geworden, wie ich höre, Sir?" sagte er dann, als er sich zum Fortgehen anschickte, „und Pferde sollen auch einen guten Preis bringen. Wie wär's denn, wenn wir einmal einen Trupp von ihnen, sobald das Gras ein bischen mehr herauskommt, hinunterjagten? Was andere Leute können, können wir auch, und unser Pferdefleisch darf sich schon auf dem Adelaide-Markt sehen lassen."
„Ich habe auch schon daran gedacht, Mr. Bale," erwiderte Mr. Powell, „zu riskiren haben