Erwartungsgemäß flossen bei den beiden Frauen am Ende die Tränen, woraufhin sie beschlossen, sich noch einen romantischen Film anzusehen, der ein Happyend hatte.
„Kennst du Sliding Doors mit Gwyneth Paltrow und John Hannah?“ fragte Erin. Als Sarah verneinte, sagte sie: „Die Grundidee des Films ist einfach toll. Eine Frau verliert ihren Job, geht zur U-Bahn, die sie knapp verpasst, so dass sie mit dem Taxi heimfahren muss. Dann wird die letzte Szene zurückgedreht, die Frau steht wieder am Eingang der Station und in der folgenden Szene erwischt sie die Bahn gerade noch. Und ab da zeigt der Film quasi zwei verschiedene Szenarien: Was wirklich passiert ist und was passiert wäre, wenn sie die Bahn noch gekriegt hätte.“
Sarah lächelte. „Das klingt super! Diese Was-wäre-wenn-Idee: Je nachdem, was du tust oder nicht tust, es verändert dein künftiges Leben total. Reizvoller Gedanke!“
Erin tapste auf Strümpfen zu dem Wandregal, wo sie fein säuberlich nach Alphabet geordnet ihre DVDs stehen hatte. Sie holte die gewünschte heraus und gab sie Sarah.
Die sah sich das Cover an. „Gwyneth Paltrow kenne ich natürlich, und John Lynch kommt mir auch irgendwie bekannt vor. Aber John Hannah sagt mir nichts.“
„Echt? Du hast doch bestimmt Vier Hochzeiten und ein Todesfall mit Hugh Grant gesehen.“ Sarah nickte. „Darin hat er Matthew gespielt. Da war er noch ziemlich jung und durch diesen Film wurde er so richtig bekannt, also zumindest bei uns in Großbritannien. Er ist ja Schotte, und er spielt einfach klasse. Und ich finde, er hat auch was.“
„Obwohl er nicht blond ist?“, neckte Sarah. Zwei Stunden später musste sie zugeben, dass ihr der Film ausnehmend gut gefallen hatte. „Und dein Mister Hannah ist nicht übel.“
Erin schnitt eine Grimasse. „Er ist nicht ‚mein‘ Mister Hannah. Aber ja, ich finde ihn sehr charmant und sehe mir jeden Film mit ihm an.“
„Aha, also doch ein Fan!“, lachte Sarah.
~
Freitags fuhr Erin mit ihr in den Norden bis Dornoch. Sie besuchten zuerst Skibo Castle, das in der Nähe des Ortes liegt. Das romantische Schloss in hellbraunem Sandstein steht inmitten einer gepflegten Parklandschaft. Ein See wurde künstlich angelegt, es gibt einen Golfclub und ein luxuriöses Schwimmbad unter einer Glaskuppel. Das beeindruckte Sarah ebenso wie die elegante und pompöse Innenausstattung.
Danach fuhren sie nach Dornoch selbst, bummelten durch den Ort und nachmittags, als die Sonne herauskam, fuhren sie zum Strand. Sarah stand auf dem breiten Streifen Sand, sah nach rechts und nach links und fand keinen Anfang und kein Ende. „Das ist ja irre. Hier könnte man stundenlang laufen, oder?“ Sie beschirmte die Augen mit der Hand.
Erin nickte. „Doch, ja, rein theoretisch kannst du diesen Sandstrand entlang Richtung Norden bis nach Brora gehen. Das ist 25 Kilometer von hier entfernt.“
Auf dem Rückweg kamen sie wieder durch das Örtchen Ardullie. Erin zeigte am Ortseingang nach rechts. „Wenn du diese Seitenstraße hier hineinfährst, kommst du zur Glenorgie Distillery. Sie ist klein, aber fein, und stellt einen hervorragenden Single Malt her. Sollen wir mal hinfahren und nachfragen, ob wir eine Führung bekommen?“
Sarah war unsicher. „Interessieren würde mich das schon. Aber können wir da einfach so auflaufen, ohne uns zuvor anzumelden?“
Erin bog ab und parkte nach knapp hundert Metern vor einigen Backsteingebäuden, die aussahen wie eine alte Fabrik. „Ich denke schon. Jamie, den du vorgestern im Pub kennengelernt hast, ist der jüngere Sohn des Besitzers. Und sein Vater, Duncan Clair, ist mein Chef beim National Trust. Er ist seit zwei Jahren der Vorsitzende der Sektion Norden.“
„Aha.“ Sarah kletterte aus dem Rover und folgte Erin in eines der Gebäude. Sie stand in einem kleinen Verkaufsraum. Hinter dem Tresen waren an der Wand Regale angebracht, auf denen etliche Whiskyflaschen thronten.
„An den Tischen da drüben -“ Erin wies zur Linken, „- finden manchmal Whiskytastings statt. Die sind wichtig als Werbung für die Brennerei.“ Sie drückte auf eine Klingel am Tresen und bald darauf kam ein sympathischer älterer Mann mit ergrauten kurzen Haaren aus einer Tür daneben. Sarah fand, dass er eine gewisse Ähnlichkeit mit Jamie hatte: die gleichen Augen, der Mund, als er jetzt lächelte.
„Erin! Was für eine nette Überraschung!“ Er musterte Sarah unauffällig. Erin stellte die beiden einander vor.
Duncan Clair schüttelte ihr die Hand. „Erfreut, Sie kennenzulernen. Interessieren Sie sich für die Whiskyherstellung?“
Sarah lächelte. „Nun, ich habe bisher keine Ahnung davon. Aber ich wüsste schon gerne etwas darüber.“
Clair drehte sich um. „Dann kommen Sie mal mit. Sie haben gerade einen günstigen Zeitpunkt erwischt. Ich hätte eigentlich einen Termin gehabt, der ausgefallen ist.“
In der folgenden halben Stunde führte er die beiden Frauen durch mehrere Räume, in denen es stark nach Alkohol roch. Sarah dachte bei sich, wenn sie hier den ganzen Tag über arbeiten müsste, wäre sie am Feierabend sturzbetrunken.
Duncan Clair erzählte in seinem schottischen Englisch, das Sarah nur zum Teil verstand, von Gerste, Malz und Torf. Von reinem Quellwasser und Brennblasen, von Fässern und Abfüllungen. Und von Geduld und einer guten Nase. Er wandte sich an einen jungen Mann, der mit dem Rücken zu ihnen an einem der Fässer stand, und sagte: „Jamie, hier sind Erin und eine Dame aus Deutschland.“ Als der Genannte sich umdrehte, fügte er hinzu: „Mein Sohn hat hier einen der wichtigsten Jobs – er ist unser Masterblender, obwohl er noch so jung ist. Aber er scheint ein Naturtalent zu sein.“ Er lächelte stolz.
Sarah starrte den jungen Mann verwundert an. Er grinste, als er sah, wen sein Vater ihm da brachte. „Erin und Sarah! Welch unerwartetes Vergnügen – gleich zwei meiner Lieblingsladies!“ Er begrüßte beide charmant lächelnd mit je einem Handkuss.
Duncan Clair verdrehte die Augen. „Mach nicht solch ein Gesülze, du sollst den Damen hier nicht den Kopf verdrehen. Erzähl uns lieber etwas über den Whisky in dem Fass, wo du gerade stehst.“
Jamie wandte sich dem Holzbottich zu. „Nun, da drin lagert ein Single Malt, der zuvor zwölf Jahre lang in einem Eichenfass gereift ist. Dann hat mein Vorgänger ihn vor gut einem Jahr in dieses Sherryfass abfüllen lassen. Ich schätze, mindestens ein weiteres Jahr wird er noch da drin verbleiben. Und wenn es nach Logan geht, füllen wir ihn danach nochmal für weitere ein bis zwei Jahre in ein anderes Fass um.“
Sein Vater nickte Sarah zu. „Logan ist Jamies älterer Bruder. Mein Sohn hat BWL mit Schwerpunkt Marketing studiert und danach während der letzten drei Jahre in verschiedenen Brennereien gearbeitet, um praktische Erfahrung zu sammeln, bevor er im September bei uns anfängt.“
Erin sah ihn überrascht an. „Logan kommt nach Hause? Da wird sich Ihre Frau aber freuen.“
Er grinste übers ganze Gesicht. „Das kannst du laut sagen! Wir freuen uns alle. Der Lausebengel hier“ – er fuhr Jamie liebevoll durch die Haare – „braucht dringend mal wieder Zucht und Ordnung. Von mir nimmt er das nicht mehr an, aber sein älterer Bruder wird ihm schon ab und zu den Marsch blasen.“
Sie verabschiedeten sich von Jamie und gingen wieder zurück. „Und ich bin, ehrlich gesagt, auch froh, wenn Logan wieder daheim ist. Ich bin mit meinen 65 Jahren nicht mehr so leistungsstark wie früher und habe absolut nichts dagegen, wenn Logan mir den Großteil der Geschäftsleitung abnimmt. Er ist jung, begierig sich zu beweisen und hat neue Ideen, wie er unseren Betrieb erweitern und umgestalten will.“
Sie waren im Verkaufsraum angekommen und er wandte sich an Sarah. „So, junge Dame, und jetzt probieren Sie einen wee dram, wie wir Schotten sagen. Das ist ein kleiner Schluck unseres Whiskys, damit Sie wissen, was unsere Jungs hier den ganzen Tag so treiben.“
Erin