„Und du wolltest nicht mit ihm gehen?“
„Nein.“ Erin schüttelte den Kopf. „Ich konnte mir irgendwie nicht vorstellen, in England zu leben. Ich bin durch mein Geschichtsstudium und meine Arbeit beim Trust und in der Tourist Info so mit unserer heimischen Tradition verbunden, dass ich nicht weg wollte. Und David konnte sich nicht spontan entscheiden, auf Dauer hier zu leben.“ Sie sah zu dem kleinen Fenster mit den gelben Butzenscheiben hinaus; allmählich dunkelte es draußen. „Tja … und inzwischen hab ich mich gefragt, ob ich es nicht doch zuerst hätte ausprobieren sollen anstatt rundweg abzulehnen, mit ihm zu gehen.“
„Puh! Keine leichte Entscheidung!“ Sarah trank ihr Guinness in einem Zug aus. Erin holte für beide noch ein Pint, obwohl Sarah protestierte, das sei zu viel. Aber Erin ließ sich nicht umstimmen. Sie stellte zwei volle Gläser mit dem festen hellbraunen Schaum auf den Tisch.
„Das geht heute alles aufs Haus. Ist für meine Schwester Ehrensache. Und es ist dein erster Abend hier. Du wirst dich daran gewöhnen, dass wir gut schlucken können. Und du solltest dich nicht gleich zu Anfang unbeliebt machen, indem du nach einem einzigen Glas schon die Fahne streichst oder dir, was noch schlimmer wäre, ein Glas Wasser bestellst.“
„Oh, …“ Sarah hatte wirklich vorgehabt, ein stilles Wasser zu bestellen.
„Und wie lief es bei dir so in den letzten Jahren? Männermäßig, meine ich?“, fragte Erin sie.
Sarah erzählte von ihrem letzten Freund, mit dem sie ein knappes Jahr zusammen war. „Er war ein netter Kerl, aber irgendwie stur und engstirnig in seiner ganzen Art. Für mich war es das Schönste am ganzen Jahr, wenn ich im September, nach einem Jahr intensiv studieren und im August vierzig Stunden die Woche als Aushilfskraft bei der Post arbeiten, endlich meinen Rucksack packen und irgendwo ins Ausland reisen konnte. Aber Peter wollte nur zelten oder wandern gehen. Das war mir zu öde. Ich konnte mir weder vorstellen, einen hohen Berg nach dem andern hinaufzukraxeln noch unter Otto-Normalverbrauchern eng an eng vor einem Wohnwagen zu sitzen, blödes Zeug zu labern und abends als Highlight Bier zu saufen und Grillwürstchen zu essen. Nein, danke! Und als er sich dann noch wie ein beleidigter Ehemann aufführte, der meinte, mich gängeln zu können, hab ich ihn in die Wüste geschickt und bin allein nach Frankreich gefahren.“ Sie nahm einen großen Schluck. „Du siehst also, ich suche auch noch nach meinem Traummann.“
„Manchmal frage ich mich, ob es den überhaupt gibt. Was wir uns in unseren Wunschträumen so zusammenfantasieren, ist wahrscheinlich sehr unrealistisch. Männer wollen dich zuerst ins Bett kriegen und in dieser Phase bemühen sie sich um dich. Aber nach einer Weile wollen sie ihre Ruhe, Fußball gucken und Bier trinken. Sowas brauche ich nicht in meinem Leben. Da bleib ich lieber allein.“
Sarah schüttelte den Kopf. „Sie sind bestimmt nicht alle so. Irgendwo da draußen läuft einer herum, der mir gefallen würde, und sucht nach einer Frau wie mir. Ich muss ihn nur noch finden.“ Vor ihrem inneren Auge stand ein groß gewachsener Mann mit dunklen Haaren, der sie mit Jamies charmantem Lächeln ansah. Aber Jamie war es nicht.
Kapitel 6
Als Klaus kurz nach fünf heimkam, früher als sonst, weil er abends zu der Eröffnung des Drogeriemarktes gehen musste, war Ella noch nicht zuhause. Sie hatte ihre Mutter kurz vor halb fünf abgeholt und sie wieder heimgebracht.
Im Auto fragte sie Hannelore Schmitz, wie es ihr gefallen hatte.
Zuerst antwortete sie nicht, dann meinte sie knapp: „Es ging so.“
„Was hast du denn zu essen bekommen?“
„Weiß ich doch jetzt nicht mehr.“ Nach einer Weile sagte sie: „Naja, es gab so eine Brühe und danach irgendein Gemüse mit Kartoffeln. Das Fleisch hab ich nicht gegessen.“ Sie zog ein trotziges Gesicht. „Aber den Schokopudding hinterher hab ich weggeputzt.“
„Ui, Vor- und Nachspeise hat es auch gegeben, das ist ja toll. Sowas kann ich nicht leisten.“
„Du kochst dennoch besser als die dort.“
Und damit war die Diskussion beendet. Als Ella sie fragte, ob sie sich vorstellen könne, wieder dorthin zu gehen, vielleicht sogar regelmäßig einmal die Woche, bekam sie keine Antwort.
Bei ihrer Mutter angekommen, richtete sie ihr Abendbrot, dann ließ sie den Rollladen im Schlafzimmer herunter und deckte das Bett auf.
Sie sah noch die Post durch und ließ das Kuvert mit einer ‚sicheren‘ Gewinnbenachrichtigung einer großen Fernsehlotterie unauffällig im Papiermüllsack verschwinden, dann fuhr sie heim. Enttäuscht dachte sie, dass es ihrer Mutter wohl nicht gut genug gefallen hatte, um wieder in die Tagestätte gehen zu wollen.
Sie hörte Klaus schon vor der Haustür fluchen. Als sie in den Gang trat, kam er ihr entgegen, das Gesicht vor Aufregung gerötet. „Dieses Scheißteil ist zu eng! Jetzt schau dir das an.“ Er schloss den einen Knopf des Blazers, wodurch tiefe Falten im Stoff entstanden, weil der Blazer oberhalb und unterhalb des Knopfes breit auseinanderstand. „So kann ich doch nicht gehen.“
Ella nickte. „Nein, so nicht. Zeig mal her.“ Sie öffnete den Knopf wieder und besah sich, wie weit er vom Rand entfernt angenäht war. „Ich kann ihn dir knapp einen Zentimeter nach außen versetzen. Das wird zwar nicht genug sein, aber es sieht nicht ganz so bescheuert aus wie jetzt.“
Er zog den Blazer aus. „Beeil dich. Ich dusche noch schnell, dann muss ich los.“
„Und wie passt die Hose?“
„Hab ich noch nicht anprobiert.“ Mit trotzigem Gesicht stapfte er ins Bad.
Ella folgte ihm, ging ins Schlafzimmer und besah sich die Anzugshose, die schief über dem Stuhl hing, auf den er abends seine Kleider warf, wenn er sich auszog. Früher hatte sie diesen Stuhl regelmäßig entrümpelt, die einen Dinge wieder aufgehängt, andere raus auf den Balkon zum Auslüften und den Rest in den Wäschekorb verfrachtet.
Aber seit einiger Zeit hatte sie es gelassen. Es war eine wahre Sisiphusarbeit, und Klaus kam nie auf die Idee, sich selbst um seine Kleidung zu kümmern. Sie hatte entschieden, dass das sein Problem war, nicht ihres. Sie hatte es satt, ständig hinter ihm herzulaufen.
Jetzt besah sie sich den Bund der Hose. Auch hier konnte sie den Knopf einen Zentimeter versetzen, in der Hoffnung, dass sie dann einigermaßen passen würde.
Sie holte ihr Nähkästchen aus der Kommode, setzte sich aufs Bett und ging ans Werk. Als sie fertig war, kam Klaus mit feuchten Haaren aus dem Bad. „Vielleicht guckst du dir die Hose doch mal an, die ist bestimmt auch zu eng.“
„Schon erledigt.“ Sie stand auf und ging in die Küche hinüber, wo sie sich einen Lavendeltee aufbrühte. Sie brauchte jetzt etwas zur Beruhigung. Als sie den Beutel aus dem Becher nahm, kam Klaus herein. Er sah an sich hinunter und brummte: „Jetzt geht’s einigermaßen, aber ich muss dringend abnehmen. Und du auch, wir sind beide zu fett! Ab morgen esse ich abends nichts mehr!“ Damit ging er in den Gang, zog seine schwarzen Schuhe an und sagte: „Ich weiß noch nicht, wann ich heimkomme. Kann spät werden.“
Und Ella wusste, dass er nach dem Empfang noch mit einigen Kumpels in der Kneipe landen würde, wo er mehr Bier trinken würde als ihm gut tat. Auch egal! Die Zeiten, in denen sie sich über sein Verhalten aufgeregt hatte, waren längst vorbei. Nur ein kleines ‚Danke‘ dafür, dass sie ihm die Knöpfe versetzt hatte, hätte sie doch schön gefunden. ‚Männer‘!, dachte sie, und ging in die Küche, um ihre Geschirrspülmaschine auszuräumen.
‚Wir sind beide zu fett‘, hatte Klaus gesagt. Das stimmte zwar, aber von dem Übergewicht wieder runterzukommen, war nicht so einfach. Sie hatten einige Diäten ausprobiert, aber nichts hatte dauerhaft geholfen. Und Klaus war zwar