In Amerika. Gerstäcker Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753136028
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       „Roßwein.“

       „Roßwein?“, rief der Doktor rasch.

       „Jacob Roßwein“, sagte Georg, „kennen Sie ihn?“

       „Allerdings“, rief Hückler, „er hielt sich eine Weile in Milwaukee auf; aber das“, setzte er mit einem etwas wegwerfenden Lächeln hinzu, „ist nur ein gewöhnlicher Barbier, der in Milwaukee gar nicht praktizieren durfte. Ich glaube nicht einmal, dass er ein Rezept schreiben kann.“

       „In der Tat?“, sagte Georg, indem er den Doktor scharf ansah. „Doch was ich gleich sagen wollte: Ihr Doktor-Diplom haben Sie doch, nicht wahr? – Sie wissen, dass in der Aufforderung die Bedingung gestellt wurde.“

       „Gewiss – ich erinnere mich“, sagte der „Doktor“ rasch, nichtsdestoweniger schien es Wolf, der bis jetzt kein Auge von ihm verwandt hatte, als ob er dabei nicht mehr so zuversichtlich aussah als vorher, „es ist mir nur leider einer meiner Koffer bei meiner damaligen Reise nach Milwaukee gestohlen worden. Ich habe aber schon wieder nach Deutschland geschrieben, um mir ein Duplikat kommen zu lassen, und d e r Form kann ja doch immer später genügt werden, noch dazu, da Sie mich selber persönlich kennen und ich außerdem eine längere Reihe von Jahren eine sehr bedeutende Praxis in Milwaukee gehabt habe. Die Amerikaner sind überhaupt praktischer Natur – ein solches Papier gilt ihnen gar nichts und sie sehen nur darauf, was der Mann wirklich versteht. D a s gilt ihnen.51

       „Sie haben Recht, lieber Herr Doktor“, erwiderte Georg ruhig, „wir Deutschen sind darin vielleicht manchmal ein wenig zu peinlich, aber die Bewohner von Donnersville haben sich damals in einer besonders dazu einberufenen Versammlung ganz bestimmt darüber ausgesprochen und werden nicht davon abgehen.“

       „Es wäre merkwürdig“, sagte der „Doktor“ doch etwas gereizt, „wenn Sie hier in A m e r i k a wirklich an einer so kleinlichen Form hängen wollten, wo Ihnen doch gerade die K e n n t n i s des Betreffenden mehr gelten sollte. Ich habe ganz erstaunliche Kuren in Milwaukee gemacht und bin oft auch zwanzig Meilen weit in das Land hineingerufen worden, um Leute wieder herzustellen, die von anderen Ärzten schon aufgegeben waren, und ich kann Ihnen Zeugnisse von dort bringen, die...“

       „Hallo, Doktor!“, rief da die laute Stimme eines Mannes, der eben in die Tür trat, die kleine Gruppe einen Moment betrachtete und, sowie er Hückler erkannte, diesen anrief. Es war Jacob Roßwein, der hiesige „Barbier“, wie er von den Bauern besonders bezeichnet wurde, denn gegen ein paar von ihnen, die ihn anfangs Doktor nannten, war er so grob geworden und hatten ihnen sogar gedroht, dass er ihnen das nächste Mal beim Rasieren in den Hals schneiden würde, dass sie das schon von da an aus Furcht sein ließen. Sie wussten auch eigentlich gar nicht, woran sie mit dem Mann waren, denn voll von trockenem Humor, hatte ihn noch niemand selber herzlich lachen gesehen. Er kannte auch gegen andere gar keine Schonung. Teilte nach rechts und links scharfe Hiebe aus und ließ dabei die Angegriffenen stets in Zweifel, ob er Spaß oder Ernst mit ihnen machte. Übrigens war er ein ganz ausgezeichneter Chirurg und ein braver Kerl dabei, der z.B. von wirklich Armen nie eine Bezahlung nahm, selbst wo er, wie bei den ziemlich teuren Blutegeln, oft selber bedeutende Auslagen hatte.

       Doktor Hückler hatte sich rasch nach dem Ausruf umgedreht, schien aber, als er Roßwein erkannte, nicht besonders erfreut über die Begegnung und sagte, nur mit einer kalthöflichen Bewegung des Kopfes die halbe Begrüßung erwidernd:

       „Ach, Herr Roßwein, ich hatte schon gehört, dass Sie hier eine ,Stube’ etabliert haben.“

       „Wirklich?“, bemerkte Roßwein trocken. „Aber wie kommen S i e hier an den Ohio – von Geschäften zurückgezogen, heh? – wollen sich wohl zur Ruhe setzen und die Menschen von jetzt ab leben lassen.“

       Hückler antwortete ihm gar nicht mehr, sondern sich wieder an Georg wendend, wobei ihn jedoch die Gegenwart des „Barbiers“ augenscheinlich störte, sagte er:

       „Ich hoffe, wir werden uns darüber einigen, Herr Donner, denn Sie selber müssen mir zugeben, dass es mit der Beobachtung einer solchen Form nicht drängt. Ich versichere Sie, wenn ich nur erst einmal festen Fuß hier gefasst habe und bekannt geworden bin, werden Sie einsehen, wie vollkommen ich meinen Platz ausfülle.“

       „Alle Wetter“, sagte Roßwein. „Sie wollen wohl Ihr Gerippe im Glaskasten hier in Donnersville aufsetzen? Ist aber immer gefährlich. Wissen Sie wohl noch, wie die eine Frau in Milwaukee, die in Ihre Apotheke trat, beinah den Tod vor Schreck davon bekam und ohnmächtig fortgetragen werden musste?“

       „Herr Roßwein“, sagte Hückler verächtlich, „helfen Sie nicht solche alberne Lügen verbreiten. Die Frau bekam einen Schlaganfall, wie sie nur in die Tür trat.“

       „Ja, mein lieber Herr Doktor“, sagte Georg achselzuckend, „ich muss Sie allerdings bitten, vorher, ehe ich Sie wenigstens hier vorschlagen kann, Ihr Diplom zu bekommen, und kann Ihnen freilich, wenn das zu lange ausbliebe, nicht mehr dafür gutstehen, dass der Posten bis dahin besetzt ist. Für jetzt aber bitte ich Sie, mich zu entschuldigen, denn ich habe einen Freund hier, mit dem ich einige Geschäfte erledigen muss. – Guten Morgen, wir sehen uns wohl nachher noch, Roßwein? Sie sind doch zu Hause?“

       „Gewiss – nur herüber gekommen, um hier ein Glas von Ludkins’ Brandy zu trinken, damit der Schund bald alle wird und wir besseren kriegen.“

       Georg und Wolf hatten das Lokal schon verlassen und schritten zusammen die Straße hinab.

       „Der Herr scheint wenig Aussicht zu haben, hier Arzt zu werden“, lachte Wolf.

       „Ich kenne den Burschen zu genau“, erwiderte Georg, „Roßwein versteht mehr im kleinen Finger von schwierigen Krankheiten als er im ganzen Kopf. Übrigens wird er uns nicht lange lästig fallen, denn das Diplom kann er schon aus dem Grunde nicht schaffen, weil er gar keins hat. Er war selber in Deutschland Barbier und hat sich hier wie tausend andere in Amerika nur eigenhändig zu einem ,berühmten Arzt’ gemacht. Aber lassen wir den unangenehmen Menschen, Wolf. Wir wollen dafür lieber einmal die Auswanderer aufsuchen, die, wie ich gehört habe, in dem deutschen Wirtshaus da drüben sitzen.“

       Herr „Doktor“ Hückler blieb bei Ezra Ludkins zurück und hatte sich, um nur etwas zu tun, schon das dritte Glas brandy cocktail geben lassen. Er war, durch die nicht gerade übermäßig aufmerksame Behandlung Donners, des früheren Zwischendeckpassagiers, in seinem Stolz und Eigendünkel gekränkt und beleidigt worden und – das Schlimmste dabei – er konnte sich nicht verhehlen, dass eben dieser Donner jetzt eine ganz andere Stellung im Leben einnahm, wie er, während er sich fest überzeugt fühlte, dass er ihm selber in geistiger Beziehung nicht das Wasser reichte. Und trotzdem s u c h t e er jetzt eine Stellung und dieser Donner hatte eine zu v e r g e b e n.

       Wir finden das übrigens sehr häufig in Amerika, dass Kajüten- und Zwischendeckpassagiere an Land ihre Stellungen wechseln und die Letzteren nach einiger Zeit von den Ersteren, Hilfe erbittend, aufgesucht werden. An Bord hielten sie es unter ihrer Würde, mit irgendwem aus dem Zwischendeck zu verkehren, einmal aber erst mit vier Wochen in Amerika in allen Erwartungen getäuscht, in allen Hoffnungen betrogen, werden sie sehr rasch entsetzlich zahm und fallen dabei in den entgegengesetzten Fehler, in einen vollkommen ungerechtfertigten Kleinmut, in dem sie sich dann törichterweise für völlig verloren halten.

       Das Letztere war nun allerdings mit Hückler nicht der Fall, denn er hatte eine zu gute Meinung von sich selber, und wusste auch etwa schon, wie man sich in Amerika durchbrachte; aber er fühlte sich gerade durch diese Abweisung eines D e u t s c h e n, denen allen er sich überlegen glaubte, in seinem Stolz, in seiner Eitelkeit gekränkt, und das besonders ärgerte ihn dabei, dass der B a r b i e r Zeuge gewesen. D e m musste er wenigstens beweisen, dass er sich nicht s o viel daraus mache und überall mit Kusshand aufgenommen würde. So wenig er sonst daran gedacht haben würde, sich mit ihm einzulassen, so suchte er jetzt selber ein Gespräch mit ihm.

       „Nun, Roßwein“, sagte er, nachdem sie jeder e i n z e l n ihr Glas getrunken, was sonst in Amerika gar nicht Sitte ist, „Sie haben sich also ganz hier in Donnersville niedergelassen und leben