Arthur fuhr sich mit der Hand übers Kinn. Die Nacht im Freien und der schnelle Ritt von Lissabon nach Leyria hatten ihm keine Zeit zum Waschen oder Rasieren gelassen. Der drei Tage alte Bart kratzte und seit dem Vortag hatte er nicht mehr gegessen. “Ich brauche unbedingt ein oder zwei Stunden Ruhe. Heute Abend werden wir alles im Detail besprechen, damit morgen die Truppen nach Coimbra abrücken können. “ Alle verließen den Raum. Lediglich Sarah blieb in ihrer Ecke sitzen. Als auch Jack Robertson gehen wollte, hielt Arthur ihn am Ärmel zurück: “ Mein Freund, schicken Sie sofort Grant los. In dem kleinen Waldgebiet direkt hinter Rio Major warten Don Antonio Maria Osorio Cabral de Castro und fünfzig Partisanen. Grant soll die Truppe für nachrichtendienstliche Aufgaben organisieren und vorerst bei ihnen bleiben. Nach seiner Ankunft soll Grant drei Mal kurz durch die Finger pfeifen. Unsere neuen Freunde werden ihn dann finden.”
“ Grant ist schon auf dem Weg, Arthur. Ich habe mir erlaubt, ihn bereits vor Ihrer Ankunft loszuschicken, ohne Ihren Befehl abzuwarten. Die Zeit drängt und wir brauchen präzise Informationen von der spanischen Grenze.”
“Was wissen Sie eigentlich nicht, Mann Gottes.” Arthur schmunzelte. Der füllige Geistliche sah den Soldaten mit Verschwörermiene an.“ Hier in diesem Land erfahre ich eigentlich alles. Der Arm der katholischen Kirche ist lang und Sie haben Freunde, denen der Erfolg Ihres Unternehmens wirklich am Herzen liegt. Es gibt sehr viele Portugiesen, die davon überzeugt sind, dass auf Rolica und Vimeiro noch weitere Siege folgen werden, weil Sie jetzt wieder das Oberkommando über dieses Expeditionskorps haben.” Arthurs Gesichtsausdruck, der zuvor noch selbstsicher und optimistisch war, veränderte sich mit einem Mal. Jetzt erst bemerkte Robertson, wie blass und schmal der Soldat geworden war. “ Beten Sie, Jack. Das ist im Moment alles, was uns übrig bleibt. Ich hoffe, dass ich mich in meiner Einschätzung der Lage nicht irre. Eine zweite Katastrophe, wie La Coruña und die britische Regierung wird ihre Interventionspolitik auf dem Kontinent endgültig beenden und mich kurz und hoch hängen lassen. Sollte ich auch nur einen einzigen kleinen Fehler machen, dann...” Robertson legte seinen Arm um Wellesleys Schulter.“ Sie haben eine schlimme Zeit hinter sich, Arthur! Ich habe gehört, wie schlecht man Sie im Zusammenhang mit der Konvention von Cintra behandelt hat. Das ist jetzt alles vorbei, mein Junge und es wäre besser für Sie und für uns, wenn Sie alles vergessen. Sie sind wieder hier, Sie haben den uneingeschränkten Oberbefehl über die beste Armee, die unser Land je hatte und Sie sind der Beste Ihres Faches. Wenn Sie den Mut und den Glauben an sich selbst nicht verloren haben, dann werden Sie siegen. Aber wenn Sie sich von Ihren gekränkten Gefühlen leiten lassen und im Zorn zurückblicken, dann werden viele gute Männer sinnlos sterben und Napoleon wird für immer der uneingeschränkte Herrscher über den europäischen Kontinent bleiben. Erinnern Sie sich, was Sie mir vor langer Zeit einmal in London gesagt haben: Hass ist ein schlechter Ratgeber. Im Augenblick hassen Sie, Arthur und Sie sind verbittert. Hören Sie um unserer aller Willen damit auf.” Dann verließ Robertson den Raum und ließ Wellesley mit Sarah alleine. Die junge Frau hatte die ganze Zeit über kein Wort gesagt. Still beobachtete sie den Soldaten. Auch ihr war aufgefallen, wie sehr die letzten neun Monate seit seinem großen Sieg bei Vimeiro und der unglückseligen Konvention von Cintra ihn mitgenommen und verändert hatten. Seine vormals dunkelbraunen Haare waren von feinen, grauen Strähnen durchzogen. Die vielen, schlaflosen Nächte und das entwürdigende Kriegsgerichtsverfahren hatten tiefe, schwarze Ringe unter seine Augen gegraben. Er sah müde und krank aus und sein Gesichtsausdruck war hart und verschlossen geworden. Er war erbarmenswert dünn. Wortlos nahm Sarah ihn in die Arme. Arthur legte seinen Kopf auf ihre Schulter und schloss die Augen. Er wollte ihr sagen, wie sehr er sie liebte und wie schrecklich sie ihm gefehlt hatte, aber er brachte keinen Ton über die Lippen. Zärtlich strich sie ihm über das kurze Haar. Sie spürte, wie seine innere Spannung sich zu lösen schien. Sein Herzschlag wurde immer ruhiger. Leise flüsterte sie ihm ins Ohr. “Ruhe Dich aus, Liebster. Du hättest mir vielleicht ab und zu die Wahrheit schreiben sollen. Was haben sie bloß mit Dir angestellt.” Arthur antwortete nicht. Er zog die junge Frau fester an sich. Ihr weiches Haar roch nach Lavendel und Maiglöckchen. Die enge, schwarze Redingote betonte ihre schlanke Taille. Ihre Haut war von der Sonne dunkelbraun gefärbt. Sie sah begehrenswerter aus, als je zuvor. Sein Körper und seine Seele hungerten nach ihr und es verlangte ihn, sie zu küssen und nie wieder loszulassen. Zu lange hatte er seine Geliebte entbehrt. Diese Umarmung musste eine Saite in ihren Körpern angeschlagen haben, denn plötzlich trafen sich ihre Lippen zu einem Kuss, der Sarah erschaudern ließ. Arthur drückte sie noch fester an sich, er konnte spüren, wie er mit seinem eigenen Verlangen das Ihre entflammt hatte. Plötzlich schreckte Sarah vor ihm zurück. Es geschah zu schnell, als dass sie es verhindern konnte. “ Deine Augen...” Arthur spürte es und entließ sie aus seiner Umarmung. Sie schämte sich über das falsche Signal ihres Körpers, das ihn zu dieser Reaktion veranlasst hatte und barg ihn schnell wieder in ihren Armen, als wolle sie mit ihrem Körper die Widersprüchlichkeit ihrer Bemerkung erklären. Er schmiegte sich an sie und fühlte, wie die verbotene Hitze sich in der Sanftheit ihrer Zuneigung zu ihm entspannte. Er fühlte sich so sicher in ihrer Umarmung. Mit dieser einzigen, zärtlichen Geste hatte sie ihm gezeigt, dass sie sein Unbehagen und seine verletzte Seele erkannt und akzeptiert hatte und ihr viel Spielraum gab. Arthur war ihr für dieses Verständnis dankbar, denn er konnte in diesem Augenblick nur schwer in Worte fassen, was er empfand. “Du musst Dich um Deine Armee kümmern, Arthur. Bitte lasse mich jetzt gehen.” Sanft löste sie ihre Hände und trat einen Schritt zurück. Einen Augenblick lang begegneten sich ihre Blicke, dann wandte der General sich ab und eilte die Treppe hinauf in den ersten Stock des Hauses. Sarah verließ sein Quartier, um in ihr Lazarett zurückzukehren. Wenn das Expeditionskorps morgen aufbrechen wollte, hatten die Ärzte noch viel zu tun. Und sie wollte Arthur nicht von seiner eigentlichen Aufgabe ablenken. Nur ein neuer, entscheidender Sieg über eine französische Armee würde ihm sein altes Selbstvertrauen wiedergeben können. Nur wenn Wellesley jetzt Oporto nahm, würde er vielleicht Cintra und die Demütigungen in England hinter sich lassen können. In diesem Augenblick verstand sie, dass nicht der Freispruch durch die Kommission unter Sir David Dundas ihm seine Soldatenehre wiedergegeben hatte. Er konnte sie sich nur auf einem Schlachtfeld erkämpfen. Jack Robertson hatte Arthurs Zustand gut beurteilt und Sarah machte sich in ihrer Rolle als Arzt große Sorgen. Sie hatte bereits in den Tagen nach seiner