„Und was hülfe es mir und Euch, wenn ich die Geschichte meiner Leiden erzählte?“, sagte Alfons traurig. Es ist die Geschichte Tausender meiner Brüder, und Ihr mögt dieselbe in all‘ den südlichen Staaten dieses freien, gesegneten Landes finden! Oh, ein freies Land ist es!“, fuhr er, mit beiden Händen krampfhaft seine Schläfe fassend, fort.
„Du selbst bist doch kein Sklave?“, sagte, schnell vom Stuhl aufstehend, der Pflanzer.
„Nicht ich“, murmelte, traurig mit dem Kopf schüttelnd, der Unglückliche, „doch überzeugt Euch“, fuhr er, mehrere Papiere aus seiner Tasche hervor langend, fort, „überzeugt Euch selbst. Mein Vater schenkte mir die Freiheit; oh, ich glaubte es damals ein schönes Geschenk, ich wurde nicht mit den anderen Negerkindern, wie die jungen Mustang-Füllen, aufgezogen, ich durfte lesen und schreiben lernen und glaubte mich, durch die Weiße meiner Haut getäuscht, so frei und glücklich wie die Amerikaner. Es war ein kurzer, aber schöner Jugendtraum; überall kannte man mich, wusste, dass meine Mutter eine Mulattin sei, und der ‚verdammte Nigger‘ durfte sich an keinem Orte, wo sich Weiße aufhielten, sehen lassen, ohne die schmerzlichsten Kränkungen und Demütigungen zu erfahren.
Mit leichtem Herzen würde ich auch das Land meiner Geburt verlassen haben, hätte nicht eine Sklavin meines Vaters – dasselbe junge Mädchen, welches heute ausgewürfelt wurde“, fuhr er mit leisem, zitterndem Tone fort, „mein Herz und meine Seele auf jener Pflanzung gefesselt gehalten. Selinde liebte mich wieder und Priesterhand sollte uns vereinigen, denn mein Vater hatte mir versprochen, sie frei zu geben und mir zu schenken. Da entriss mir der Tod plötzlich das einzige Wesen, das noch einen schützenden Einfluss auf mich ausgeübt hatte, denn auch meine Mutter war ein Jahr vorher gestorben, und Fremde nahmen das Eigentum in Besitz, das durch unvorsichtige Spekulationen, wie mir gesagt wurde, verschuldet und verpfändet war. Ich wurde mit wenigen Dollar in die Welt hinaus gestoßen, und Selinde, mit anderen Sklaven und Sklavinnen, da der neue Eigentümer selbst deren einige fünfzig aus Georgia mitgebracht hatte, an einen Sklavenhändler verkauft. Dieser verließ Alabama und wandte sich nach New Orleans, um dort für einen höheren Preis die billig eingehandelten Schwarzen zu verkaufen, was ihm auch mit allen gelang, Selinde ausgenommen, die er für sich behalten wollte, bis er mit ihr hier nach Bayou Sara kam und es ihm einfiel, sie auszuwürfeln.
Ich war ihnen von meinem Geburtsort aus gefolgt und hatte oft mit Lebensgefahr das Mädchen, an dem mein Herz hing, zu sehen getrachtet; da hörte ich heute Morgen, hier eben angelangt, von dem beabsichtigten Würfelspiele. Neue Hoffnung belebte mich, ich glaubte mich hier von Niemandem gekannt, der weißen Farbe meiner Haut vertrauend, wagte ich mich in das Wirtshaus und wendete meinen letzten Cent, selbst einen Ring daran, den mir meine Mutter auf dem Sterbebett gegeben, um zwei Lose zu kaufen. Sie wissen das Übrige. Der junge Mann, der mich erkannte, ist ein Neffe meines Vaters – mein eigener Vetter.“
Alfons schwieg, die beiden Frauen aber saßen in der Ecke und schluchzten; selbst Guston war gerührt.
„Wie aber entgingst Du der Aufmerksamkeit des Sklavenhändlers?“, fragte er endlich nach einer Pause. „Der musste Dich doch auf Deines Vaters Pflanzung gesehen haben.“
„Oft genug“, fuhr Alfons fort, „da ich aber mit im Herrenhause schlief und von den Sklaven stets als ‚Mr. Alfons‘ angeredet wurde, hatte er nicht den leisesten Verdacht geschöpft, dass ich selbst zu jener verachteten Rasse gehören könne.“
„Und was denkst Du jetzt zu tun?“, fragte Guston teilnehmend, als er ihm die schnell durchgesehenen Papiere zurückgab.
„Was k a n n ich tun?“ hauchte leise der Quadroon.
„Sei morgen Abend wieder hier in diesem Hause“, sagte Guston aufstehend, „ich will mit dem Doktor morgen früh reden, vielleicht kann ich Dir helfen.“
Alfons schüttelte, bitter lächelnd, den Kopf.
„Heute ist so nichts mehr zu hoffen“, fuhr Guston, mehr zu sich selbst als zu dem anderen redend, fort, „um zehn Uhr fährt der Doktor mit der Dampffähre nach Pointe Coupé, und da wird für diesen…“
„Heut Abend um zehn Uhr?“, fragte Alfons hoch aufhorchend.
Die Dampffähre geht doch bei diesem niedrigen Wasserstande nicht mehr so spät in der Nacht?“, sagte die alte Mulattin, sich die Augen trocknend.
„Es sind, wie ich eben hörte, Damen von Taylors Pflanzung auf dieser Seite des Flusses, und die verlangen noch übergesetzt zu werden“, erwiderte Guston, „da wollen sie den Doktor so lange schlafen lassen und dann mitnehmen; bis dahin ist er nüchtern und kann auf seine Sklavin Acht geben. Doch genug für heut Abend“, unterbrach er sich selbst, „ich habe vielleicht Unrecht getan, Dir so teilnehmend zuzuhören, da Du nach den Gesetzen des Staates, in dem wir nun einmal leben, eigentlich eher Strafe als Mitgefühl verdient hättest; doch wollen wir das für jetzt dahingestellt sein lassen; also leb‘ wohl, bis morgen Abend will ich sehen, was sich für Dich tun lässt, und halte Dich ein wenig verborgen, dass Du Deinem V e t t e r nicht wieder vor die Augen kommst, er scheint keinen großen Gefallen an seiner Verwandtschaft zu finden. – Schon gut“, sagte er, etwas zurücktretend und eine abwehrende Bewegung machend, als er sah, dass Alfons seine Hand ergreifen wollte, „schon gut, Du bist mir weiter keinen Dank schuldig, als dass ich Dich nicht verrate, und dazu fühle ich nicht die mindeste Lust. Also gute Nacht, Alte, gute Nacht, Anna“, und den Riegel wieder zurückschiebend, sprang er von der hohen Schwelle hinunter und war bald in der Dunkelheit verschwunden.
Er hatte aber kaum die nach Bayou Sara führende breite Straße wieder erreicht und war auf dieser einige Schritte fortgegangen, als aus dem dichten Gestrüpp, das zu beiden Seiten des Weges wuchs, zwei dunkle Gestalten auf ihn zusprangen und ihn festhielten. Schon hatte er sein Messer ergriffen und wollte sich, nichts Gutes erwartend, Bahn machen, als er Willis Stimme erkannte, der, ihn loslassend, lachend, aber mit unterdrückter Stimme ausrief:
„Zum Henker! Einen von unseren Flüchtlingen haben wir gefangen, aber nicht den rechten; wo um Gottes Willen kommst Du hierher?“
„Ich wollte erst nach St. Francisville gehen, habe mich jedoch anders besonnen“, sagte Guston, „aber was im Namen alles gesunden Menschenverstandes tut Ihr hier, wie Straßenräuber auf dem breiten Fahrweg? Ich glaubte wahrhaftig im ersten Augenblick, ich wäre einigen entlaufenen Negern in die Hände gefallen, und wollte schon anfangen, mir mit meinem Messer Bahn zu hauen, als ich noch glücklicherweise Deine Stimme erkannte. Wer sind diese und was wollt Ihr alle hier?“, fuhr er, erstaunt umherblickend, fort, als er eine Menge Menschen nahen hörte, die in wenigen Sekunden an seiner Seite waren und in denen er die ganze Würfelgesellschaft erkannte. Der lange Sklavenhändler und der Ankläger und Vetter des Entflohenen schienen sie anzuführen.
„Still“, sagte Willis, „wir wissen, dass der freche Schuft, der sich so schändlicher Weise zwischen uns eingeschlichen hatte, hier links am Wege bei Mutter Hoyer sitzt, wir wollen jetzt das Haus umzingeln und den Burschen fangen; er soll doch auch wissen, wie Peitschenhiebe in Louisiana schmecken.“
„Wozu den armen Teufel noch einmal aufsuchen?“, fiel Guston gutmütig ein, „Ihr habt ihn einmal abgestraft, lasst in laufen, er wird sich so bald nicht wieder zwischen weiße Männer hineinwagen.“
„Still, Mann, aus Dir spricht der Europäer“, entgegnete trocken Willis, „mit so leichter Strafe kommt kein Neger davon, wenn i c h’s verhindern kann.“
„Es tut mir nur leide, dass wir ihn nicht gleich banden und in den Fluss warfen“, fiel ärgerlich, doch mit unterdrückter Stimme der Vetter des Unglücklichen ein, „ich konnte den Jungen nie leiden; aber kommt, wir verlieren unsere Zeit und dort schimmert das Licht.“
Guston drehte den gefühllosen Menschen verächtlich den Rücken und wandte sich nach der Stadt, während der Haufen leise gegen das kleine Blockhaus hinan schlich; plötzlich aber, wie von einem anderen Gedanken ergriffen,