Wenig Trost bot ihm das freilich und schien nur den gewissen Sturz um wenige Minuten zu verzögern, denn lange hätte er es in der Lage nicht aushalten können, da seine Kräfte schon von Hunger und Anstrengung erschöpft waren. Tessakeh aber, seine Gefahr mit schnellem Blick übersehend, rief ihm zu, sich nur noch wenige Minuten zu halten, er hoffe, ihn zu retten – und dann das Licht auf die Erde, an den Rand der Schlucht setzend, dass es nicht ausgehe und sie in völlige Finsternis begrabe, begann er den Übergang über die Kluft, jedoch – durch Werners Unfall gewarnt – rückwärts. Es gelang ihm auch, an der Seite des Bären seine beiden Beine hineinzupressen. Hierdurch war er wenigstens vor dem Hinunterstürzen gesichert und arbeitete nun mit der Kraft der Verzweiflung, seinen Körper, der bei weitem schlanker und geschmeidiger als der des Deutschen war, neben den des Bären einzuzwängen.
Die Höhle war fürchterlich eng und die verendete Bestie stark und dick, dennoch gelang es ihm, nach mehreren Minuten fast übermenschlicher Anstrengung, und bald fand er sich an der anderen Seite des Erlegten. Fast ebenso schwierig jedoch war es jetzt, diesen von der Stelle zu bewegen und nach sich hin zu ziehen, denn nicht ein Augenblick blieb ihm zum Ausruhen, wenn er seinen Gefährten retten wollte. Doch kam ihm jetzt der vorragende Tropfstein sehr zustatten, gegen den er seine Füße stemmte und das schwere Tier an sich zog.
Der Schweiß floss in Strömen an ihm herab und eben hielt er, nur um Atem zu schöpfen, einen Augenblick inne, da tönte die matte Stimme Werners an sein Ohr, der ihm versicherte, dass er seine Lage keine halbe Minute mehr aushalten könne.
„Mut, Mut“, rief Tessakeh, „das Tier bewegt sich und mein Bruder wird in kurzer Zeit frei atmen können, Mut!“ Und mit erneuter Kraft versuchte er, den Koloss zu rücken. Da gab er etwas nach – jetzt noch etwas – einen frischen Halt nahm er, und nun zog er die leblose Gestalt des erlegten Feindes wohl einen Fuß lang zu sich hin. Mit Blitzesschnelle presste er sich jetzt wieder an dem Leichnam vorbei und erfasste mit seiner Rechten das Handgelenk Werners.
„Schwing‘ Dich herauf – nur einmal, dass ich den Gürtel fasse“, rief er ihm zu. Werner war es aber nicht vermögend und hauchte nur: „Ich kann nicht mehr – ich muss los lassen.“
Seine Kräfte waren geschwunden – und Tessakeh sah es; er verlor daher keine weitere Zeit mit Worten, ließ das Gelenk des Weißen gehen, schnitt mit schneller Hand ein Loch in das Fell des Bären, in das er mit der Linken hineingriff, um einen festen Anhalt zu haben, bog sich dann hinunter und fasste mit der anderen in Werners Gürtel. Dieser fühlte kaum seine Arme, die ihm zu erstarren drohten, durch die kräftige Hilfe erleichtert, als er zu einem letzten Versuch noch einmal die Sehnen anstrengte – er hob sich und lag bald, durch den Indianer unterstützt, mit dem Oberkörper in der Höhle.
Weiter konnte er nicht hinein, denn der Leichnam des Bären versperrte noch immer die Öffnung, aber in dieser Stellung vermochte er wenigstens etwas auszuruhen und brauchte nicht mehr zu befürchten, in den Abgrund hinab zu stürzen. Tessakeh begann unterdessen aufs Neue seine Versuche, den Bär zu einem geräumigeren Platze zu rücken.
Endlich gelang es ihm und Werner schwang sich nun ganz hinauf. Beide Männer waren aber zum Tode erschöpft und besonders lag der Deutsche, nicht allein durch die körperliche Anstrengung, sondern auch durch Seelenangst abgespannt, fast besinnungslos wohl eine halbe Stunde lang da.
Tessakeh, der zwar selbst, wenigstens für eine kurze Zeit der Ruhe bedurfte, war der Erste wieder, der sich erholte, und seinen Gefährten ermunternd, warnte er ihn davor, sich dem Gefühle der Erschöpfung zu sehr hinzugeben.
„Unser Weg ist lang und beschwerlich“, sagte er, „und mein Bruder wird nicht lange mehr den nagenden Hunger aushalten – möchte er das Fleisch roh essen? Vor der Höhle lodert ein Feuer, und ein warmes Lager ladet uns zur Ruhe und Erholung ein. Hier ist die Luft feucht und Finsternis wird uns in kurzer Zeit umgeben – unsere Lichter sind niedergebrannt!“
Werner, der selbst einsah, wie wenig sie zaudern durften, wenn sie nicht ihren Weg in völliger Dunkelheit suchen wollten, wo er nur mit Grausen an die mit Wasser gefüllte Höhle dachte, ermannte sich und durch die vereinten Anstrengungen beider schafften sie jetzt die schwere, unbeholfene Fleischmasse, indem Werner schob und Tessakeh zog, mehr nach vorne, wo die Höhle sich eine kurze Strecke lang so erweiterte, dass sie doch aufrecht sitzen konnten.
Hier nun verließ der Indianer den Weißen, der mehr als der Ruhe bedurfte und kroch zu der Schlucht zurück, um jenes abgelegte Kleidungsstücke, die Büchse und die Lichter von der anderen Seite herüber zu schaffen. Das Licht war fast niedergebrannt, doch hatte er selbst noch ein kurzes Stück aufbewahrt, das ihnen bei ihrem weiteren Fortgange leuchten sollte, und schnell kehrte er zu dem Deutschen zurück, um das schwierige Geschäft, den unbehilflichen Körper des Bären in dem engen Raum fortzubewegen, zu beendigen.
Werner schlug nun zwar vor, ihn abzustreifen und bloß die Keulen und Rippen, in das Fell geschlagen, mit hinauf ans Tageslicht zu nehmen; davon wollte aber Tessakeh nichts wissen und behauptete, nicht ganz ohne Grund, dass sie des niedrigen Platzes wegen den Bär in eben der Zeit an den Ausgang der Höhle schaffen, als abstreifen und zerteilen könnten.
„Wie aber wollen wir ihn hinauf bringen?“, wandte Werner ein. „Es wird uns nachher nichts anderes übrig bleiben, als das jetzt verschobene Geschäft mitten im Wasser vorzunehmen; wir alle drei könnten selbst unmöglich das schwere Untier unzerlegt zu Tage fördern.“
„Mein weißer Bruder soll sehen, wie leicht wir unsere Beute in Sicherheit bringen und er wird sagen: Tessakeh hat Recht“, erwiderte der Indianer, und ohne weiter ihre Zeit mit Unterhandlungen zu verlieren, begannen sie ihre Arbeit, nachdem Werner erst wieder seine Leggins angezogen und befestigt hatte.
Langsam, sehr langsam rückten sie vor, doch erreichten sie nun den etwas geräumigeren Teil der Höhle und waren bald, ohne auch nur weiter ein Wort zu wechseln, da, wo das Wasser begann und wo sie, um wieder zum Tageslicht zu gelangen, erst ihren Weg durch dasselbe verfolgen mussten.
Bis hierher hatte ihnen auch ihr Wachslicht getreulich ausgehalten, jetzt aber war es niedergebrannt, flackerte noch einmal hell auf und verlöschte. – Dichte Finsternis umgab die Jäger, und einige Minuten lang wagte keiner ein Wort zu sprechen; endlich brach Tessakeh das Schweigen und sagte: „Es ist gut! Wir würden das Licht doch müssen zurückgelassen haben, denn mein Bruder hat nicht drei Hände, dass er mit zweien den Bären zieht und mit der dritten die Leuchte hält – wir wollen an die Arbeit gehen.“
„Aber, hol’s der Teufel, Tessakeh, in das dunkle, mit Wasser gefüllte Loch hier, noch dazu bei gänzlicher Finsternis einzutauchen, ist doch wahrhaftig keine Kleinigkeit“, entgegnete etwas niedergeschlagen der Deutsche.
„Besann sich mein Bruder die Felswand zu erfassen, als er im Begriff war, in die Schlucht zu stürzen?“, fragte der Indianer.
„Besinnen? Da war auch Zeit zum Besinnen“, lachte Werner, „was hätte ich anderes tun wollen?“
„Und was will mein Bruder hier anderes tun? Mein Ohr ist offen und lauscht den Tönen des weißen Mannes.“
„Du hast Recht, Tessakeh“, sagte Werner etwas beschämt, „jetzt wie immer, doch damit du siehst, dass ich es wieder gut machen will, so lass mich vorangehen – so – hier steht meine Büchse – wirf sie nicht um, wenn Du vorbeigehst, ich will sie später nachholen. Jetzt müssen wir uns freilich in Acht nehmen, unseren Weg nicht zu verfehlen.“
„Die Höhle ist gerade und es führt kein Seitenzweig ab“, sagte der Indianer, „es wird meinem Bruder kein Raum gelassen sein, vom rechten Pfade abzuweichen und bald wird uns das erwärmende Feuer des ‚schlanken Mannes‘ entgegen leuchten.“
Werner war vorangekrochen, und seinen Weg fühlend, zog er mit Tessakehs Hilfe den Bären ins Wasser.
Dunkle, rabenschwarze Nacht umgab die beiden Männer und ihre Lage, in einer engen, nicht zwei Fuß hohen Höhle, zum dritten Teil mit Wasser gefüllt, gehörte keineswegs