Im Eckfenster. Gerstäcker Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753135977
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die Rolle hebend fort. „Man hält eine der begabtesten Jüngerinnen Polyhymnias nicht für würdig, in den Kreis einer hochadligen Familie zu treten und dabei noch dem Beruf zu folgen, zu dem sie eine Gottheit selbst begeisterte, man nennt das öffentlich auftreten, und einem solchen Vorurteil verlangen Sie, dass ich meinen Kontrakt opfern soll?“

       „Aber wenn es selbst Fräulein Blendheims innigster Wunsch wäre?“

       „Es ist nicht denkbar“, sagte der Direktor, und die Augenbrauen kamen wieder herunter und zogen sich so fest zusammen, dass sie nur einen einzigen dunklen Strich über seine Nase bildeten. „Es wäre unnatürlich, und was gegen die Natur ist, lässt sich nicht denken.“

       „Aber wenn Sie sie selbst fragen wollten?“

       „Und alle die Opfer, die ich gebracht habe“, sagte der Direktor tragisch, „ja, die Verpflichtung, die ich selber gegen das Publikum eingegangen bin? Es wäre Selbstmord. Kain, wo ist dein Bruder Abel? Würde mich der Herr fragen, wenn ich ein solches Licht mit eigener Hand unter den Scheffel stellte; entschuldigen Sie den Vergleich, aber die heilige Schrift führt ihn selber an.“

       „Und ließe sich da kein Ausweg treffen, kein Vergleich schließen?“ sagte von Dürrbeck. „Sie zitieren mir eben die Bibel, lieber Herr, aber einer echt christlichen Gesinnung wäre es doch angemessen, dem Glück eines jungen Mädchens nicht im Wege zu stehen.“

       „Glück“, sagte der Direktor achselzuckend, „was ist Glück? Glück ist eine solche Stimme, wie sie Fräulein Blendheim hat, denn in ihrer Kehle trägt sie ein Kapital, und wenn sie das in den Kasten legt und nicht mehr verzinst, so hat sie das Glück von sich gestoßen.“

       „Aber, verehrter Herr“, sagte von Dürrbeck, dem das Gespräch unangenehm wurde, denn er kam dadurch zu keinem Ziel. „Wir sind ganz von dem Punkt, über den ich eigentlich mit Ihnen sprechen wollte, abgekommen. Ich meine den Kontrakt des Fräuleins. Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, wie sehr ich die Verbindung mit der jungen Dame wünsche, und dass es uns beiden furchtbar sein würde, unsere Vereinigung noch auf Jahre hinausgeschoben zu sehen.“

       Der Direktor zuckte hoch hinauf mit den Achseln, und der Lorbeerkranz nahm sich dazu etwas sonderbar aus.

       „Meine Frage“, fuhr Dürrbeck bestimmt fort, „richtet sich deshalb auch nur direkt an Sie, verehrter Herr, ob Sie nicht doch vielleicht darauf eingehen würden, Fräulein Blendheim wenigstens im Laufe des nächsten Monats, wo doch die stille Zeit für das Theater beginnt, ihres Kontrakts und dessen Verpflichtungen zu entbinden.“

       Direktor Sußmeyer streckte den Arm pathetisch vor. „Raum für alle hat die Erde, was verfolgst du meine Herde?“ sagte er. „Wie komme ich dazu, aus reiner Gefälligkeit einer Dame den mit vollem Bewusstsein geschlossenen Kontrakt zu lösen, und noch dazu einen Kontrakt, bei dem ich einmal keinen Schaden habe? Sehen Sie, Herr Hauptmann,“ fuhr er lebhafter fort. „Da ist der Kontrakt unseres zweiten Liebhabers oder der der Soubrette, die noch auf zwei Jahre laufen, wenn Sie die gelöst haben wollen und mir die Einwilligung der Beteiligten bringen, mit dem größten Vergnügen.“

       „Dann entschuldigen Sie, dass wir Sie umsonst bemüht haben“, sagte Dürrbeck, ungeduldig werdend, indem er Solbergs Arm nahm.

       „Nicht so hitzig, junger Mann“, sagte der Direktor, indem er seinen Arm hob und die Augenbrauen wieder in die Höhe zog. „Sie wissen nicht und können nicht wissen, welche Leiden der Dirigent einer Bühne, eines Kunsttempels durchzumachen hat, wie schwer es ist, in jetziger Zeit wirklich tüchtige und, was in der Neuzeit fast ebensoviel sagen will, jugendliche Kräfte zu gewinnen und zu halten. Die Hoftheater schnappen uns mit ihren enormen Gagen außerdem alles wirklich Gute fort, was nicht niet- und nagelfest ist, und selbst Kontrakte schützen dagegen nicht immer, denn die Herrschaften brennen zuweilen selbst mit diesen durch.“

       „Was wollen Sie also machen“, sagte hier Hans, der sich über den exzentrischen Menschen zu ärgern anfing, „wenn Ihnen Fräulein Blendheim einfach durchgeht?“

       „Dafür bürgt mir ihr Bräutigam“, sagte der Direktor pathetisch.

       „Oder heiser wird“, fiel Solberg ein, „ein ganzes Jahr lang als krank auf dem Zettel steht, nur regelmäßig ihre Gage bezieht und keinen Ton dafür singt?“

       Dem Direktor wurde das Gespräch, da es diese Wendung nahm, wie es schien, nicht angenehm. Er trat nicht weit von da, wo er stand, auf einen kleinen Knopf, den Hans, als er den Fuß wieder davon nahm, am Boden bemerkte, und es kam ihm fast vor, als ob er im unteren Geschoss eine feine Glocke hätte anschlagen hören, dann streckte er die Hand, in der er noch immer die Rolle hielt, pathetisch aus und sagte mit hohlere, theatralischer Stimme in der Rolle des Tasso weiter:

      „Hältst du mich für so schwach, für so ein Kind,

      Dass solch ein Fall mich gleich zerrütten könne?“

       „Übrigens“, setzte er dann mit seiner natürlichen Stimme und in seine gewöhnliche Weise fallend, d.h. grob werdend, hinzu. „Haben wir hier im Ort auch noch Polizei und einen Theaterarzt und Strafen und Abzug, um Theaterdamen, die absolut schikanieren wollen, ihren Standpunkt klar zu machen. Ha!“ fuhr er dann wieder, in Pathos fallend, fort:

      „Ich will den Schein, ich will nicht reden hören,

      Ich will den Schein, und darum sprich nicht mehr.

      Ich will kein sanfter Narr – kein Schwärmer sein,

      Der’s Haupt verdreht und jammert, und sich doch

      Ergibt den christlichen Vermittlern. Fort, sag‘ ich,

      Ich will kein Reden – meinen Schein will ich!“

       Er hatte bei den letzten Worten eine wahrhaft imponierende Stellung eingenommen; ehe ihm aber einer der beiden jungen Leute auch nur ein Wort erwidern konnte, löste sich plötzlich der Boden in einem regelrechten Viereck um ihn her und sank ein.

       Solberg erschrak im ersten Moment und wollte zuspringen, aber mit großer Geschwindigkeit ging die ganze Gestalt in dem roten Schlafrock in die Tiefe nieder, nur der Kopf mit dem Papilloten und dem Lorbeerkranz war noch einen Moment sichtbar, dann verschwand auch er, und in denselben Moment auch schlug eine Klappe vor und füllte den eben geöffneten Raum wieder vollständig aus.

       „Bei Gott!“ rief Hans. „Durch eine richtige Versenkung abgegangen. Hahaha, Dürrbeck, das ist zu göttlich! Der Kerl ist himmlisch!“

       „Er ist verrückt“, sagte der Hauptmann, in diesem Augenblick gar nicht in der Stimmung, das Komische der Situation zu fassen. „Rein verrückt, und mit einem solchen Menschen ist natürlich nichts anzufangen. Was jetzt? Ich fürchte, du hast ihn durch deine Drohung nur noch mehr gereizt.“

       „Der Knauser hielte doch an dem Kontrakt“, sagte Hans kopfschüttelnd. „Den Burschen hat er gleich von Anfang an hinuntergeschickt, um im entscheidenden Moment die Maschinerie arbeiten zu lassen. Aber die Idee ist wirklich prachtvoll, geht durch eine Versenkung ab wie Hamlets Geist.“

       „Komm“, sagte Dürrbeck. „Mir wird’s unheimlich in diesen Räumen, das ist keine Kunst mehr, das ist Komödiantenspiel, und je eher ich Constanze diesem Treiben entziehen kann, desto besser – komm!“ Und den Arm des Freundes ergreifend, verließ er mit ihm das Haus.

      Sechstes Kapitel

      Constanze.

       Am Brink, der Hofapotheke direkt gegenüber, wohnte in der zweiten Etage der Kalkulator Obrichter mit seiner Familie, der Frau Kalkulatorin und drei noch nicht erwachsenen Töchtern von sechs bis zwölf Jahren, wie einem jungen Kalkulator, dem aber hinten die Höschen zugeknöpft wurden, da er erst vier Jahre zählte.

       Der Kalkulator bezog natürlich ein sehr kümmerliches Gehalt, hatte aber nichtsdestoweniger eine sehr hübsche und geräumige Etage gemietet, um einen Teil derselben wieder an Untermieter abzugeben und daraus einen kleinen Nutzen zu ziehen. Er riskierte allerdings dabei, dass ihm die einmal ausblieben; bis