„Was hast du geschafft? Die Prüfungen? Soweit ich weiß, sind die Ergebnisse doch noch gar nicht draußen. Oder versorgt dich dein Prof mit Insiderinformationen?“
„Nein, nein“, Flo grinste immer noch und freute sich wie ein kleines Kind, „Sylvia hat zugesagt. Die Partys, die Reiner Rolwerts gibt, sind wohl ziemlich angesagt und da Sylvia keine Einladung bekommen konnte und niemanden zur Hand hat, der sie dorthin mitnimmt, bin ich der Glückliche, den sie begleiten wird.“
„Du Glückspilz“, meinte Daniel zerstreut. Seine Gedanken befanden sich jetzt die meiste Zeit bei der Katze, die in den letzten sieben Tagen ganz enorme Fortschritte gemacht hatte. Tinka vertrug die Substanz bestens, es gab keinerlei Anzeichen für eine Abhängigkeit und das Tier schien eine Intelligenz zu entwickeln, die ihn staunen ließ. Ihr Körpergewicht betrug jetzt ein gutes Normalmaß und alle Tests, die Daniel mit ihr durchführte, absolvierte sie mit Bravour. Manchmal hatte er sogar den Eindruck, als würde sie verstehen, was er sagte, doch wie bei Hunden konnte es auch der Tonfall oder die Sprachmelodie sein, auf die sie reagierte.
Sie bekam jetzt seit neun Tagen mit dem Futter zusammen die Substanz und seit acht Tagen die volle Dosis. Daniel war sich nahezu sicher, dass er genau das Mittel gefunden hatte, von dem er schon so lange träumte. Er nahm sich vor, Tinka noch weitere fünf Tage die Dosis unverändert zu verabreichen und sie intensiv zu beobachten. Sollten sich bis dahin keine negativen Veränderungen ergeben, dann konnte er sicher sein, dass sein Medikament weder schädliche Nebenwirkungen, noch einen negativen Einfluss auf die Physiologie eines Lebewesens hatte. Eine weitere Woche später - um auch ganz sicher gehen zu können - würde er dann schrittweise die Dosis erhöhen, um zu erforschen, wie sich die Katze bei steigender Menge der Substanz verhielt und wann schließlich der Tod eintrat. Er war überaus zufrieden mit sich und seinen Forschungen.
„Was für eine Party?“
Flo stöhnte. „Ich habe dir doch von dieser Scheunenparty erzählt, die Reiner nächste Woche veranstaltet. Zum Abschluss des Semesters. Du hast mir versprochen, dass ich den MX-5 ausleihen kann.“
Daniel legte seinem Freund die Hand auf die Schulter. „Sicher, das hatte ich bei all den Klausuren vergessen. Entschuldige. Natürlich bekommst du den Wagen. Und ich freue mich, dass du Sylvia einladen konntest. Sie wäre genau die richtige Freundin für dich.“
Dass er nicht eine Sekunde daran glaubte, sie würde jemals Flos Freundin werden, erwähnte er nicht.
Flo grinste ihn selig an: „Du bist wirklich ein echter Freund. Wenn das mit Sylvia etwas wird, können wir vielleicht den Urlaub zusammen verbringen. Ich meine natürlich Sylvia und mich“, fügte er hinzu, um auch ja kein Missverständnis aufkommen zu lassen.
4. Selbstversuch
Daniel nutzte das Wochenende, um die Katze genauestens zu studieren. Er hatte zuvor für seine Experimente schon Hundespielzeug gekauft und jetzt beobachtete er, wie Tinka zunehmend cleverer mit den Sachen umging. Benötigte sie vor einer Woche noch sechs bis sieben Versuche, um zu einem Ergebnis zu gelangen und die versteckte Belohnung zu finden, so erreichte sie ihr Ziel bei ähnlichen Versuchsanordnungen jetzt schon beim zweiten Mal.
Allerdings blieb die Sache mit dem Kühlschrank nach wie vor ein Rätsel. Vor einigen Tagen hatte Daniel sein Smartphone so aufgestellt, dass er die Küche über das Internet beobachten konnte und mittels seines Laptops tat er das von der Universität aus. Doch nichts geschah, bis plötzlich das Handy umfiel und lediglich das Bild der Decke des Raumes zeigte. Als er abends den Kühlschrank inspizierte, fehlten diesmal nicht nur Wurst und Käse, sondern auch ein Joghurt. Daniel durchsuchte die komplette Wohnung, während Tinka ihn interessiert beobachtete, doch er konnte den Becher nirgends finden.
Nachdem er festgestellt hatte, dass die Katze ein reges Interesse an Fernsehsendungen fand, schaltete er regelmäßig den Flachbildschirm im Wohnzimmer ein. Kaum, dass das erste Bild erschien und ein Ton zu hören war, stürzte Tinka heran und machte es sich vor dem Fernseher bequem. Daniel wartete nur noch darauf, dass sie sich eine Tüte Chips oder Erdnüsse mitbringen würde. Dolch so etwas dachte er natürlich nicht ernsthaft.
Während die Katze den Berichten und Filmen aufmerksam folgte, arbeitete Daniel an seinem Laptop, ließ das Tier aber nicht aus den Augen. Meistens stellte er einen Sender ein, der lokale Geschichten und Nachrichten brachte und hin und wieder waren ganz interessante Reportagen dabei. Am Sonntagabend erregte eine Meldung seine Aufmerksamkeit, die mit den Wölfen in der Stadt zusammenhing. Bisher waren die Tiere noch von niemandem gesehen worden, doch regelmäßig wurden die Opfer - unter denen sich sogar einmal ein Hund befand - über das ganze Stadtgebiet verstreut gefunden.
Zum ersten Mal allerdings schien nun das Opfer ein Mensch zu sein und der Reporter überschlug sich mit den Worten, wie gefährlich diese Raubtiere doch seien und dass es Zeit wurde, die Wölfe zu jagen und zu töten.
Das Kamerateam schien sehr schnell vor Ort gewesen zu sein, denn im Hintergrund wurde ein Sarg aus einem Haus getragen und in den bereitstehenden Wagen verladen. Dann schwenkte die Kamera wieder zu dem Reporter, neben dem ein Anwohner in Jogginghose und Unterhemd stand. Daniel stellte den Ton lauter, um mitzubekommen, was gesprochen wurde.
„Ihre Nachbarin war eine alte Frau, doch solch einen grausamen Tod hat sie nicht verdient“, gab der Reporter von sich und Daniel schüttelte den Kopf. Was quatschte der Mann da für einen Unsinn? Das Alter der Frau stand doch in keinem Zusammenhang mit der Tat.
Er sah, wie der Nachbar - ein magerer Mann mit einem ungepflegten Haarkranz auf dem Kopf - nickte. „Sie war eine nette, alte Frau“, bestätigte er und sah in die Kamera. „So einen grausamen Tod hat sie nicht verdient“, wiederholte er dann die Worte des Reporters.
„Haben sie denn irgendetwas bemerkt? Oder vielleicht sogar die Wölfe gesehen?“ Der Reporter versuchte seine Worte spannungsgeladen klingen zu lassen.
„Nein, ich habe nichts gesehen. Aber ich stehe ja auch nicht den ganzen Tag draußen vor der Tür. Ich kann nur sagen, dass sie sehr nett war und niemals einem Tier ein Leid angetan hat. Das hat sie nicht verdient! Gestern hat sie sogar eine Katze mit nach Hause gebracht. So etwas macht sie schon mal. Meistens sind das arme kleine Streuner, die ein paar Tage von ihr durchgefüttert werden, bevor sie die Tiere dann ins Tierheim bringt, wo sie es besser haben, als auf der Straße.“ Der Mann überlegte einen Moment und sah wieder in die Kamera. „Gestern das Tier war so eine kleine, heruntergekommene Katze.“
Der Reporter nickte: „Danke für das Interview.“
Bevor die Kamera von den beiden Gesprächspartnern fortschwenkte, meldete sich der Nachbar noch einmal zu Wort: „Darf ich noch jemanden grüßen? Hallo Miench...“
Der Reporter unterbrach ihn: „Und damit gebe ich zurück ins Studio.“
Das Bild zeigte nun den Nachrichtensprecher im lokalen Sendestudio. Er dankte dem Reporter und wechselte das Thema, nachdem er den Zuschauern mitgeteilt hatte, dass sie weiter über das Problem mit den Wölfen berichten würden.
Daniel verringerte die Lautstärke wieder. Plötzlich lief ihm eine Gänsehaut den Rücken herunter. Wölfe, die nie jemand zu Gesicht bekam und die nun sogar in Wohnungen einbrachen und Menschen umbrachten. Eine Vorstellung, die ihm Angst machte. Er würde Fenster und Türen fest geschlossen halten, doch das machte er wegen seiner Katze ja ohnehin schon.
An der Universität steuerte jetzt alles auf die Ferien zu. Die Noten wurden bekanntgegeben und in Vorlesungen Randthemen behandelt. Daniel und Flos Bewertungen lagen durchweg bei eins und sie konnten mit ihren Leistungen zufrieden sein. Flo lief mit einem Dauergrinsen herum und erzählte Daniel bei jeder Gelegenheit, wann und wo er Sylvia mit dem Mazda abholen wollte und dass er plante, einen großzügigen Umweg über die Autobahn zu nehmen, um dem Mädchen mit dem Wagen zu imponieren. Daniel hörte ihm meistens nicht zu, sondern dachte an seine Substanz, die Katze und wie er die Versuchsergebnisse in einem umfassenden Bericht darstellen würde. Er war sich im Klaren darüber, dass er die