Crystal Fire. Jürgen Ruhr. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Jürgen Ruhr
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752930191
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‚Gut, dass der ein ganzes Stück von mir weg sitzt‘, dachte der Kommissar und schloss seufzend die Akte. Dann loggte er sich sorgfältig aus dem System aus. Werner Würnitz war der Chef der Abteilung und leider kein Mensch, mit dem man allzu gut auskommen konnte. Der dicke Mann mit dem schütteren Haar liebte es, mit seinen Untergebenen diverse Spielchen zu treiben und diese durch Fangfragen und Wortverdrehungen zu verwirren und bloßzustellen. Seine Vorliebe bildeten Monologe, die er zuvor anscheinend auswendig gelernt hatte.

      Ob ihm der Chef wieder einmal einen Vortrag über Effizienz am Arbeitsplatz halten wollte? Das war eine seiner Spezialitäten und regelmäßig mussten die Mitarbeiter so ein Gespräch über sich ergehen lassen. Im Grunde genommen handelte es sich nur um verlorene Zeit, doch Jäger schwieg inzwischen und nickte lediglich. Einmal hatte er es gewagt, Würnitz zu fragen, was solche Vorträge bringen sollten, und war dadurch wieder ein wenig mehr in Ungnade gefallen. „Jäger“, hatte der Vorgesetzte ihn angedonnert, „ihre Frage zeigt einmal mehr, dass sie ihren Kopf nicht zum Denken benutzen. Schauen sie sich doch ihre Aufklärungsquote an, die liegt eindeutig unter dem Durchschnitt der Abteilung. Ihre Arbeit ist ineffizient, nehmen sie sich lieber ein Beispiel an ihren Kollegen.“ Jäger schwieg fortan und nickte nur noch.

      Der Kommissar erhob sich seufzend. Wenn Würnitz sagte ‚sofort‘, dann war auch sofort gemeint. Alles andere würde weitere Minuspunkte und eine umfangreiche Standpauke zur Folge haben.

      Er klopfte an die Bürotür des Bereiches, der den Chef von seinen Untergebenen im Großraumbüro trennte. Ein scharfes ‚Herein‘ verhieß nichts Gutes.

      „Sie wollten mich sprechen?“

      „Kommen sie rein und schließen sie die Tür, Jäger.“ Würnitz klang nicht unfreundlich. Immerhin blickte er nicht demonstrativ auf seine Uhr, was bedeutete, dass Neelen ihn umgehend verständigt und nicht erst noch Zeit vertrödelt hatte. „Setzen sie sich.“ Der Chef wies auf den unbequemen Holzstuhl, der vor seinem Schreibtisch stand. Jäger nahm ohne ein weiteres Wort Platz. Er wusste, dass sein Vorgesetzter es nicht liebte, wenn man unaufgefordert sprach.

      „Wie geht es mit den aktuellen Fällen voran?“, leitete der die Unterhaltung ein.

      Jäger überlegte, ob es sich um eine Fangfrage handeln könnte. Würde er sagen ‚gut‘ wäre das gelogen. Und die Wahrheit dürfte Würnitz nicht sonderlich erfreuen. Jäger entschied sich für den goldenen Mittelweg. „Wir haben momentan Urlaubszeit, da geht alles ein wenig schleppender vora...“

      „Ich will nicht wissen, was für eine Zeit wir haben“, donnerte ihn der Mann hinter dem Schreibtisch an. Dann winkte er mit einer Hand ab. „Egal. Ich erwarte ja keine Wunder in dieser Abteilung. Ich habe sie wegen einer anderen Sache zu mir gebeten.“

      ‚Gebeten ist gut‘, dachte der Kommissar. ‚Befohlen würde eher den Kern treffen‘. Er verhielt sich aber weiter ruhig.

      Der Chef spielte jetzt mit einer dünnen Akte herum und Jäger fragte sich, ob es vielleicht seine Personalakte sei. Doch dafür war das Pamphlet zu dünn. „Es geht um das hier“, erklärte sein Vorgesetzter jetzt und hielt die Akte in die Höhe, während er den Kommissar prüfend ansah.

      Jäger fragte sich, ob nun seine Fähigkeiten als Hellseher gefragt seien, doch damit würde er kaum dienen können. So gab er lediglich ein ‚Aha‘ von sich.

      Der Vorgesetzte, der bekannt für solche Spielchen war, nickte. „Ja, aha. Wissen sie, was das ist?“

      „Eine Akte?“

      „Genau, mein Lieber. Aber nicht irgendeine Akte. Dies ist die Möglichkeit für sie, sich zu beweisen.“ Er betonte ‚die Möglichkeit‘ extra, um den besonderen Moment des Augenblicks hervorzuheben.

      Jäger ließ erneut ein ‚Aha‘ hören.

      „Ich hätte auch jeden anderen aus dieser Abteilung für den Job aussuchen können“, ließ Würnitz sich jetzt wieder vernehmen. „Aber ich habe sie gewählt.“

      Jäger war sich nun sicher, dass es sich nur um etwas Unangenehmes handeln konnte. Die durchweg älteren Kollegen, die alle schon seit Längerem ihr Dasein in der Abteilung fristeten, würden dem Chef die Akte vor die Füße werfen und den Auftrag ablehnen. Deswegen war der auch auf ihn verfallen. Jägers ganze Karriere lag noch vor ihm und er konnte es sich nicht leisten, einen Auftrag seines Vorgesetzten abzulehnen. Aber vielleicht hatte der Chef ja schon andere gefragt, Neelen zum Beispiel.

      Der Kommissar nahm sich vor, das in Erfahrung zu bringen. Ein Lächeln unterdrückend, meinte er scheinheilig: „Das ehrt mich. Ich wusste, dass ich für sie die erste Wahl bin.“

      Werner Würnitz schüttelte den Kopf: „Nicht ganz, Jäger. Ich muss mich ja schließlich an die Rangfolge halten, aber Oberkommissar Neelen konnte den Auftrag nicht übernehmen, da er zu beschäftigt ist.“

      Jäger sah sich in seinen Gedanken bestätigt. Er wusste, dass bei Neelen aktuell auch nur Fälle auf dem Schreibtisch lagen, in denen der keinen Millimeter vorankam. Aber der Kollege riss sich bekanntlich auch kaum ein Bein bei seinen Ermittlungsarbeiten aus. Dafür war ihm allerdings stets wichtig, pünktlich Feierabend zu machen.

      „Und jetzt sind sie an der Reihe“, fuhr sein Vorgesetzter fort. Jäger überlegte kurz, ob er fragen sollte, was mit all den anderen Kollegen sei, die doch eigentlich auch noch vor ihm in der Reihe standen, doch er schwieg. „Ich frage sie also: Nehmen sie den Auftrag an?“

      ‚Was macht er, wenn ich ‚nein‘ sage?‘, überlegte der Kommissar. Er wusste ja nicht einmal, worum es sich bei diesem ‚Auftrag‘ handelte.

      „Natürlich nehme ich den Auftrag an“, hörte er sich sagen. Eine andere Wahl gab es schließlich nicht.

      Würnitz grinste. „Das ist mein Mann“, nuschelte er und legte die Akte auf den Schreibtisch. „Es geht um Folgendes.“ Er öffnete den Pappdeckel und Jäger erkannte, dass die gesamte Akte lediglich aus einem Blatt Papier bestand. „Jäger, ich mache sie zum Großwild-Jäger“, grinste der Dicke hinter dem Schreibtisch und lachte meckernd. Als er Jägers säuerlichen Gesichtsausdruck bemerkte, stoppte er abrupt sein Lachen. „Ein Scherz, Jäger, ein Wortspiel. Sie haben aber auch keinen Sinn für Humor ...“

      Jäger verkniff sich, seinem Chef zu erklären, dass er durchaus einen Sinn für Humor habe, sofern dieser nicht auf seine Kosten stattfand. Es reichte doch schon, dass er mit diesem Namen Ganoven jagte und in der Abteilung jede Menge Witze und Wortspiele über den Zusammenhang kursierten. Was sollte dann der Mist mit dem ‚Großwild-Jäger‘ jetzt wieder? „Was wollen sie mir damit sagen, Herr Würnitz?“

      Der Dicke ließ sich in seinem überdimensionierten Chefsessel zurücksinken und legte die Fingerspitzen beider Hände aneinander. „Haben sie von den Wölfen oder Wildtieren, die in der Stadt ihr Unwesen treiben, gehört?“, fragte er lauernd.

      Jäger nickte. „Die Rede ist von einer oder mehreren Wildkatzen. Ich habe die Meldungen in der Presse verfolgt. Bisher hat aber noch niemand so ein Tier zu Gesicht bekommen.“

      „Richtig Jäger“, nickte der Chef. „Es ist sogar eine Frau durch den Angriff eines Tieres zu Tode gekommen. Und zahlreiche andere Tiere, wie Schafe, Kühe und was-weiß-ich.“

      Jäger unterdrückte ein Grinsen und fragte sich, was für Tiere diese ‚was-weiß-ich‘ seien. Er nickte bestätigend.

      „Mittlerweile zieht die Angelegenheit ziemlich weite Kreise“, fuhr Würnitz fort und kratzte sich ausgiebig am Kopf. „Zuerst deutete alles auf ein Rudel Wölfe hin, doch mittlerweile weiß man, dass es sich um einen Tiger, Leoparden oder ...“

      ‚Oder was-weiß-ich‘, führte Jäger den Satz in Gedanken fort und musste nun doch ein wenig Lächeln.

      „Was gibt’s denn da zu grinsen?“, fuhr ihn sein Chef auch direkt an. „Die Sache ist ernst, selbst das Ministerium hat sich inzwischen eingemischt. Die Bevölkerung lebt mittlerweile in Angst und Schrecken und da ist man an mich herangetreten.“ Würnitz legte erneut die Fingerspitzen vor seinem Bauch zusammen und machte eine Pause, um die Wichtigkeit seiner