Niemand schaut in mich rein. Steffen Kabela. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Steffen Kabela
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783753156514
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Viele Fragezeichen um mich herum und keine Antwort. Wissen eigentlich die Weißkittel noch, was sie tun? Diese Frage stellt sich und ich lasse sie auch stehen. Die Loreley lässt grüßen – sag mir was soll es bedeuten! Noch wussten und ahnten wir nicht, dass wir wieder nur veralbert wurden. Am späten Nachmittag mahnten wir die Arztgespräche an und erfuhren, dass die Ärzte die Information bekommen haben aber nun im Feierabend sich befinden. Wir Angehörigen waren nun noch mehr sauer und auch die Schwester, die verstand das auch nicht. Wie immer fuhr ich am Abend mit keinem guten Gefühl und große Sorgen heim. Ruhe fand ich überhaupt nicht und so machte ich mich an das Waschen der Gardinen von allen Fenstern.

      Die Erinnerungen tun sehr weh, es sind große Schmerzen. Jeder Tag ist schmerzlich aufs Neue, es ist ein sehr schmerzlicher und großer Verlust, dass meine Mami, meine kleine Familie nicht mehr bei mir ist. Ich sitze fest in einem tiefen schwarzen Loch – Leere, Kälte, Dunkelheit bestimmen mein Leben und sind immer präsent und extrem grauenvoll. Ich pendele zwischen Zuhause und unserem Grab. Ich hatte gehofft auf etwas Beistand durch Familie und Freunde. Hilfe und Unterstützung wollte ich doch gar nicht und auch kein Mitleid. Das kann ich nicht gebrauchen. Beistand und Verständnis in meiner tiefen Trauer , verbunden mit meiner furchtbaren Krankheit, wäre schön gewesen. Die Realität ist eine bittere Enttäuschung. Hoffen kann man, auch ich, obwohl ich es eigentlich schon wusste, was werden wird. Ich muss den Weg alleine gehen und werde ihn auch gehen, in aller Konsequenz.

      Der nächste Tag begann wie jeder andere Tag. Ich rief Mama an und wir sprachen kurz miteinander. Mami hatte einen Wunsch, ein paar ihrer Lieblingsbonbons. Auch diese packte ich noch mit ein. Ich packte Obst ein, nahm Käse und Schinken und ihr Ei mit. Zum Mittag machte ich ihr marinierten Hering mit Pellkartoffeln. Das mochte sie sehr. Es war der 16. Oktober 2019, der 65. Hochzeitstag meiner Eltern. Ein kleines Gesteck aus roten Rosen und Orchideen steckte ich für den Nachttischschrank und fuhr Richtung Klinik. Mami freute sich über mich und über das schöne Gesteck. Nach der Gratulation versprach ich ihr auch einen schönen großen Strauß, welchen sie zu Hause dann von mir bekommen wird, wie immer. Damit hatte keine gerechnet, dass Mami einmal ihren Hochzeitstag, den 65. auch noch, im Krankenhaus verbringen wird. Es war halt nun so und es sollte ihr geholfen werden, glaubten wir immer noch. Noch vor dem Mittagessen tauchte ein Arzt auf, fletzte sich gelangweilt auf den Tisch, schaute mich an und fragte lustlos und überheblich „Was ist denn.“ - ich war baff. Die ganze Art erschreckte mich, aber wundern tat es mich dann nicht mehr, sein Dialekt verriet es. Somit erklärte sich die Fletzigkeit, die Art, die Arroganz und vieles mehr, was aus westlicher Himmelsrichtung kam. Meine Frage war ganz einfach nach dem was jetzt vorliegt und wie es weitergeht. Kurz und knapp bekam ich meine Antwort, welche mir die Luft zum Atmen nahm – noch arroganter im Tonfall „am biologischen Ende steht nun mal der Tod, noch was“ – er kam aus der Fletzhaltung, stieg vom Tisch und verschwand mit wehenden Rasterlocken-Haaren schlaksig durch die Tür. Das hat gesessen. Meine größte Sorge war jetzt nur, hat es Mami mitbekommen? Ich hatte keine Ahnung. Ich war nur geschockt und fassungslos. Kurze Zeit später hatte die andere Angehörige auch so ein nettes Zusammentreffen mit dem gleichen Weißkittel und ein so ähnliches Erlebnis. Jetzt rebellierten wir beide und ließen eine Schwester antreten. Ihr übermittelten wir unsere Beschwerde über das unmögliche Verhalten dieser Gestalt – sie nahm es mit sich und verschwand. Am Abend tauchte die Oberärztin auf und teilte uns mit, dass mit dem Arzt bereits gesprochen wurde und sie entschuldigte sich für die Art. Diese Entschuldigung ging ihr sehr leicht über die Lippen, denn sie war unehrlich. Wieder blieb ich bis kurz vor 22 Uhr bei meiner Mama und verschwand dann in die kalte Nacht mit noch mehr Gedanken im Kopf, sie kreisten in der Endlosschleife und brachten mich zum Weinen, großen Sorgen und eiskalten Schauern über dem Rücken. Der Hochzeitstag ging nun so zu Ende.

      Und genau jetzt, ein Jahr später, bin ich ganz alleine. Heute vor 66 Jahren haben Mama und Papa geheiratet. Vor 16 Jahren hatten sie ihren gemeinsamen großen Tag, ihre Goldene Hochzeit. Gerne hatte ich diesen Tag für meine Liebsten gestaltet. Und auch jetzt hätte ich liebend gerne wieder etwas organisiert, aber leider. Am Vormittag bin ich schon in den Blumenpavillon gefahren und habe einen schönen Blumenstrauß mit roten Rosen und roten Buschrosen und mit einer weißen Schleife mit schwarzem Ahorn-Blattlaub gekauft, auf ihr, unser, Grab gestellt. Nur noch das kann ich jetzt tun und das mache ich wie immer mit viel Liebe. Jeden Tag vergieße ich unendlich viele Tränen. Mama würde jetzt immer zu mir sagen, ich höre es ständig, „Weine doch nicht …“, aber es geht nicht.

      Am nächsten Morgen fuhr ich wie jeden Morgen zuerst auf den Friedhof und betete am Grab meiner Omi und meines Papi für unsere Mama. Danach fuhr ich ins Krankenhaus. Unser morgendliches Telefonat schwirrte noch in meinem Kopf herum, Mama klang so müde und kaputt am Telefon, aber sie sagte, dass alles gut sei. Als ich in ihr Zimmer kam freute sie sich, mich zu sehen. Sie wirkte sehr schwach, schlief viel und ich konnte erkennen, dass es ihr noch schlechter ging. Ich erfuhr von der Bettnachbarin, dass Mami während des Waschens schlecht Luft bekam. Eine Schwester spritzte ihr etwas. Und wie immer wussten wir nichts. Mal sehen, was der Onkel Doktor beim nächsten Arztgespräch dazu zu sagen hat. Ich hatte ja nur die Info der einen Schwester. Trotzdem Mama viel schlief, blieb ich den ganzen Tag bei ihr am Bett sitzen, erst gegen 22 Uhr fuhr ich wieder nach Hause, in mir ein ganz komisches Gefühl. Zuhause warteten der Haushalt, die Waschmaschine und der Herd auf mich. Ich machte das alles für meine Mama!

      Freitagmorgen, der nächste Tag, bereitete ich alles für meinen Kliniktag vor und stieg unter die Dusche. Gerade damit fertig klingelte das Telefon und ich sah, dass Mama anrief. Ich freute mich, sie zu hören. Sie klang aber nicht gut und fragte mich, wann ich kommen würde. Ihr ginge es nicht gut, sie hatte große Sehnsucht nach mir. Ich versprach ihr, alles zusammenzupacken und bald bei ihr zu sein. Da freute sie sich , ich spürte es richtig. Nun hielt mich nichts mehr. Ich schoss in aller Eile durch die Räume, schnappte meine Tasche und eilte zu unserem Auto. Ich fuhr schnell noch auf den Friedhof und auf dem Weg zum Krankenhaus an die Tankstelle. Dort stellte ich fest, dass ich mein Telefon zu Hause vergessen hatte. Darauf konnte ich allerdings verzichten, ich war auf den Weg in die Klinik. Als ich dort ankam, erfuhr ich von einer Schwester, dass man mich schon mehrfach versucht hat anzurufen. Der Schreck saß sofort tief in meinem Körper. Oft genug hatte ich schon solche Gespräche zwischen Arzt und Angehörige miterleben dürfen, grauenvolle Gespräche, und nun war ich dran. Mitten auf dem Gang im hektischen Klinik-Treiben zwischen Putzfrau und Pflegekraft, Küchenfrau und Patienten teilte mir der Arzt mit: “Ihre Mutter liegt im Sterben, Sie können von jetzt an 24 Stunden zu ihr.” - mir war gleich ganz schlecht, ich zitterte am ganzen Körper und Tränen liefen mir übers Gesicht. Als ich die Augen wieder öffnete , konnte ich gerade noch erleben, wie der Weißkittel davon rauschte. Also war es nun soweit - ich rang nach Fassung und kam mir so hilflos vor. Eine Schwester sagte dann zu mir „Das haben wir auch schon durch, Sie können immer rein und bei ihr bleiben, so oft und so lange Sie wollen, auch über Nacht, Sie könne auch bei ihr schlafen, wenn Sie das wollen“ – was mir jetzt erst einmal egal war. In meinem Kopf ging es drunter und drüber, alles war durcheinander. Ich erkannte aber einen kleinen unscheinbaren roten Faden in meinem Kopf und an den klammerte ich mich jetzt. Ich musste stark sein und für meine Mama da sein. Egal wie mistig es mir jetzt ging, ich wollte nur noch zu Mami und bei ihr sein! Mami lag so friedlich in ihrem Bett und schlief. Ich hatte zu meiner ständigen Angst nun noch eine schmerzlichere Angst und Panik, es tat alles furchtbar weh. Eine Patientin hatte schon das Zimmer verlassen, die andere Patientin packte schon ihre Tasche für ihre Entlassung. Ich setzte mich zu Mami ans Bett und schaute sie an. Ich konnte es einfach alles nicht fassen. Fragen über Fragen und keine Antworten – Wieso das alles, wieso gerade wir, wieso meine Mami, warum, weshalb? Mich zerriss es fast. Und genau jetzt merkte ich, Mami wusste und spürte das ich bei ihr war. Ich hielt ihre Hand unter der Bettdecke fest und sprach mit ihr. Ihre Hand bewegte sich und drückte meine Hand. Ich wusste, Mami gibt nicht auf und kämpft. So aufgeben wollte ich auch nicht. Ist wirklich die Zeit schon gekommen, dass der liebe Gott Mami holen kommt und uns trennt. Das kann er doch nicht wollen! Meine Entscheidung war schon längst gefallen, ich bleibe bei meiner Mami, komme was wolle. Und immer wieder die vielen Fragen in meinem Kopf: Wacht Mami noch einmal auf? Schläft Mami gleich über? Sehen wir uns noch einmal? Spürt Mami das ich bei ihr bin? Können wir noch einmal miteinander reden? Am Nachmittag ging die andere Mitpatientin nach Hause und verabschiedete sich von mir. Sie machte mir Mut, wünschte mir Gottes Segen und Kraft und für