Krachend traf die Klinge den Holzklotz. Tim schwitzte. Er hatte Angst, sich in der Dunkelheit selbst in den Fuß zu hacken. Zwei Klafter später waren die beiden jungen Mädchen längst wieder im Wald verschwunden, und Tim traute sich kaum, nach einer Belohnung zu fragen. Er wollte nur noch schlafen. Vielleicht hatte die alte Frau ja eine Scheune.
»Ich habe nicht viel«, knarrte die Frau später am Tisch. Tim schlief beinahe im Sitzen ein. Aus dem Mundwinkel hingen ihm der letzte Zipfel Wurst. »Was könnte ich Euch geben?«
»Ein Bett«, murmelte Tim, während das Hemd an seinem Körper trocknete. So viel Holz hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht gehackt. Für nichts und wieder nichts. Nein, nicht ganz richtig: für eine Mahlzeit.
Am nächsten Morgen erwachte Tim zusammengerollt vor dem Ofen, erhielt eine fette Hafergrütze und einen Krug Bier zum Frühstück, und gerade als er sich verabschieden wollte, um bei der nächsten alten Frau sein Glück zu versuchen, bevor er seine kurze Karriere als Spielmann an den Nagel hängte, drückte ihm die Alte eine Gitarre in die Hand. Eine echte spanische Gitarre mit fünf Saiten.
»Hier. Mein Mann hat sie spielen können. Ich leider nicht. Vielleicht könnt Ihr sie eintauschen gegen etwas zu Essen oder was Euch sonst noch weiter hilft.«
Und so hatte sein Leben eine ganz neue Wendung genommen. Rasch entdeckte er die Möglichkeiten der Gitarre, die ihm die Triangel nicht geboten hatte – nicht nur für das Spielen sondern auch fürs Singen. Ihm gingen mit der Gitarre in der Hand auf einmal Worte, Melodien und Rhythmen wie von selbst über Zunge und Finger.
Josquin, dachte Tim, zieh dich warm an. Jetzt kommt Tim, der Spielmann.
Leider war das Wetter sehr wechselhaft. Immer, wenn sich die Sonne gerade wieder zeigte und Tim auf den Marktplatz trat, dauerte es keine Minute, bis er Spiel und Gesang unterbrechen musste, weil ein Platzregen hereinbrach. Der April, dachte Tim, macht wirklich was er will. Zum Glück gab ihm eine Marketenderin in ihrem Planwagen Unterschlupf und nahm ihn ein Stück mit.
Sie sei auf dem Weg nach Kurland, wo sich ein Krieg zwischen Schweden und Polen abzeichne und ein gutes Geschäft verspreche. Tim schrubbte über die Saiten und sang, und die dralle Marketenderin trieb mit schnalzender Zunge die beiden Pferde an. Kurz hinter Wernigerode bremste sie die Pferde.
»Wenn du deine Zunge so gerne gebrauchst, solltest du es vielleicht zwischen meinen Schenkeln tun«, sagte sie und lüpfte den Rock. Zwischen Pfannen und Töpfen, Säcken voll Mehl, Grieß und Rüben, zwischen Kräutern und Krügen spreizte sie die Beine und ließ Tim, nachdem er sie nicht weniger als zweimal mit der Zunge zum Höhepunkt gebracht hatte, mit drei, vier und fünf Fingern ihre Möse untersuchen.
»Landsknechte«, keuchte sie, als ihr Tim seine Hand bis weit über das Handgelenk hinein schob, »haben immer so große Musketen. Das schafft Platz in meiner Möse.«
Tim, dessen Magen lauter knurrte als die Pferde wieherten, griff sich mit der freien Hand einen Apfel aus einem Korb und massierte der lustvoll Zeter und Mordio rufenden Marketenderin die heißen Tiefen ihrer erfahrenen Möse. Zuckend kam sie ein drittes und viertes Mal, und der Spielmann schwor sich, darüber ein Lied zu verfassen, das noch Generationen später allen Zuhörern die Augen feucht werden lassen sollte.
Als sie sich anschließend hinkniete und Tim seine Flöte in ihren mit einem großzügigen Stück Butter gefetteten Hintereingang schob, stopfte er sich ein herzhaften Stück Brot hinterher und dazu noch ein Stück kalten Schweinebraten. So hatte er sich das Leben als Spielmann vorgestellt. Sex, Dauerwurst und Motetten.
»Dieses Instrument beherrschst du wirklich meisterhaft«, grölte die Marketenderin bei jedem Stoß, den Tim zwischen ihren drallen Backen ausführte. Dabei schob sie sich einen strammen Rettich tief in die Möse. So viel Unersättlichkeit hatte Tim noch nie erlebt. Lustvoll biss er in eine Karotte und spritzte ihr in den Arsch.
Bei einer ausgedehnten Mahlzeit erzählte ihm die Marketenderin vom letzten Grafen der Blankenburger, der wieder auf Regenstein thronte, seit Gräfin Margarethe zusammen mit ihren Kindern an der Pest gestorben war. Sie berichtete Tim, der Graf sei schwermütig geworden, weil das Geschlecht auszusterben drohte.
Seit Jahren habe er nicht mehr gelacht, Unterhaltung sei ihm ein Fremdwort geworden, er hocke trübsinnig in seiner Felsenburg und warte angeblich auf den Tod. Das wisse sie, weil sie dem Grafen vergeblich ihre Dienste angeboten habe.
Die Gelegenheit, sich ein paar Taler zu verdienen, dachte Tim. Am nächsten Morgen trennten sie sich. Die Marketenderin hatte ihren Wagen zurück auf die Straße gen Nordosten gelenkt, und Tim hatte sich auf den Weg nach Südwesten, in Richtung Blankenburg gemacht.
Die Erinnerung an die letzten drei Tage tat gut. Tim hüpfte wieder vor Vergnügen und stapfte mit seinen Stulpenschuhen von Pfütze zu Pfütze, bis die Feder an seinem Hut wippte. Eine solche Gitarre war von Anfang an sein Wunsch gewesen.
Tim nahm das Instrument vom Rücken und zupfte die Saiten. »Und nun eine Hymne«, sagte er zu sich selbst. »Auf mich.«
Also griff er in die Saiten und spielte, bewegte selbstvergessen seine Finger.
»Dreeeeh dich nicht uuuuuum, ohohohoooo, der Spieeeelmann, der geht uuuuum, ohohohooo.«
Kurz darauf brach von der Seite her aus ein Wolf aus dem Unterholz. Keuchendes Knurren und asthmatisches Rasseln begleiteten das Tier, das langsam auf den Weg trottete. Müde Augen waren in Wahrheit ein taxierender Blick, der Blick vor dem Sprung, der Sprung vor dem Knurren, das Knurren vor dem Aufreißen des Mauls voller spitzer Zähne.
Tim stellte das Singen ein, blieb stehen und hielt die Luft an in einem kurzen Moment des Schocks. Wie ist das, wenn man stirbt, dachte Tim. Spürt man die Krallen im Rücken, den heißen Atem der Bestie im Nacken, bevor sich die Zähne in den Hals bohren? Oder verliert man das Bewusstsein, ist der Körper so gnädig und erspart einem die Qual?
Mit einem leisen Ping-Kling sank die Gitarre herab, Tims Hand zitterte. Der Wolf schlich näher, knurrte und ließ die lange Zunge aus dem Maul fahren. Die Worte trafen Tim wie ein Schlag mit der Schalmei.
»He du, Spielmann, wart mal.«
Aus dem Nichts kamen diese Worte. Nun, korrigierte sich der Spielmann, aus der Richtung des Wolfs. Doch Wölfe konnten nicht sprechen. Normalerweise.
»Wer, ich?«, fragte Tim zurück und sah genauer hin. Seine Stimme vibrierte unmerklich. Kein Mensch weit und breit, im Unterholz kein Versteck, das dicht genug war, um von dort einem dressierten Wolf Worte in den Mund zu legen, wie es Tim in Schwerin bei Zigeunern mit Tanzbären gesehen hatte.
»Ja, du«, erwiderte der Wolf. Obwohl das Tier keine Lippen hatte und sich die beiden Kiefer nur wenig auseinander bewegten, hörte Tim ganz klar die Worte aus der Schnauze kommen. In den Geschichten seiner Großmutter hatte er von sprechenden Wölfen gehört, das hingegen nie für möglich gehalten. Schließlich gab es auch keine sprechenden Kühe, Gänse oder Hasen. Aber Großmutter hatte immer die Wahrheit gesprochen, es gab sie, sprechende Wölfe, hier im Wald, im Harz. Und sie hatten eine tiefe Stimme.
Das Tier umschlich den Spielmann und setzte sich auf den kühlen Waldboden.
»Dich schickt der Himmel.« Der Wolf hob ein Bein über den Kopf und putzte sich. Tim sah sich um. Kein weiterer Wolf zu sehen. Trotzdem war Misstrauen angesagt. Schlief Tim nicht, stand vor ihm noch immer ein Wolf, ein heimtückisches Biest, das Menschen fraß, Schafe riss und Füchse terrorisierte.
»Au«, sagte Tim, der sich unauffällig in den Arm kniff, um einen Traum auszuschließen. »Mich?«
»Du spielst so, so herzzerreißend, du musst mir das beibringen.«
»Was?«
»Das schlechte Spielen.«
Tims Stimme nahm über die Angst hinweg eine Spur Empörung an. »Schlechtes Spielen? Hör mal«, erwiderte er. Wahrlich, er war auf alles vorbereitet gewesen, auf eine kurze Flucht, einen aussichtslosen Kampf und den Tod, jedoch nicht