Walpurgisnackt. Sara Jacob. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sara Jacob
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847693383
Скачать книгу
dachte der Rom Heinrich Malfoss, schnalzte mit der Zunge und trieb die gescheckten Pferde an, welche die Hufe hoben und zogen mit einer Seelenruhe, die sich in gleicher Weise Malfoss wünschte, diese Gelassenheit, dann rollte sein Wagen in den dunklen Wald.

      Man warf Steine und Stöcke hinterher, die meisten Menschen blieben am Stadttor stehen. Malfoss hörte Rufe, sah zurück. Die Menge geriet erneut in Bewegung, wich einem kleineren Wagen aus, der von links auf die Wiese vor dem Tor rollte. Auf dem Kutschbock saß ein Mann in Schwarz mit einer flachen Mütze auf dem Kopf, schwang die Peitsche und ließ sie auf seine Pferde niederfahren. Die Rösser wieherten, stemmten sich ins Geschirr.

      Die Städter wurden ein letztes Mal aktiv, Kinder rannten schreiend und pfeifend hinter dem vierrädrigen Wagen her, Männer schimpften und suchten nach neuen Steinen. Kurz vor dem Waldrand erreichte der Karren die anderen Wagen und hängte sich hinten an.

      Die Nachmittagssonne hatte es kaum durch die Wolken geschafft. Es war ein kalter Tag, zu kalt wieder einmal für die letzten Tage im April, empfand Oberst Heinrich Malfoss. Vielleicht waren die Gemüter der Städter deswegen so dunkel. Goslar hatte sich immer als eine tolerante, offene Stadt beschrieben. Doch auf einmal warfen die Bürger Steine, verprügelten die Kinder, drohten damit, sie aufzuhängen.

      Die Zigeunerwagen ratterten durch den Wald, vom Harz empfangen mit viel Grün und einer kühlen Brise. Der Weg führte gen Osten.

      Malfoss rief nach ein paar hundert Ellen seinen Enkel herbei. Der kleine Junge rannte neben dem Wagen her, verstand die Anweisung, blieb stehen, wartete den letzten Karren ab und kam nach einer Weile wieder nach vorne gerannt.

      »Also, Junge? Sag mir gleich, wer ist es.«

      »Ein Zauberer«, sagte der Junge und nickte heftig.

      »Ein Magier also ist er. Und was, sag mir, zaubert er uns?«

      »Gold«, sagte der Junge wieder, seine Augen waren groß und rund. »Viel Gold.«

      Der alte Rom mit dem mächtigen Schnauzbart lachte und sah nach vorne. Der Hohlweg machte einen Bogen nach Südosten.

      Ein Zauberer hatte ihnen gerade noch gefehlt, ein Zauberer, der weitere Probleme anzog, ein Zauberer, der von sich behauptete, Gold herstellen zu können, ein Alchemist.

      »Der kann uns sicher helfen«, sagte der kleine Junge und zupfte dabei den Rom an der Jacke. Dieser lächelte milde.

      »Mein Junge, ich sag‘ dir, uns kann nur Gott helfen, niemand sonst nicht, merk dir das schön. Gott alleine ist unser Beschützer, nicht? Die göttliche Mutter Develeski sorgt für uns, uns alle schön, und was sie tut ist richtig und wahr. Kein Mensch kann nie nicht in ihr Wirken eingreifen, sag ich, merk es dir.«

      Der Junge nickte eifrig, griff nach einer Fiedel und begann zu spielen. Malfoss sah zufrieden zu und trieb gelegentlich die Pferde an.

      Des Spielmanns Instrument

      Der Hagel ließ nicht einfach nach, er stoppte so plötzlich, wie er eingesetzt hatte. Eben noch rauschten die erbsengroßen Körner einem Gazevorhang gleich von oben herab und das Prasseln auf den Blättern der Kastanien schwoll an zu einem ohrenbetäubenden Dröhnen, jetzt herrschte plötzlich Stille.

      Hier und da tropfte es von den Ästen, knarrte ein Baum, knackten Zweige. Selbst die Vögel schienen betäubt vom Lärm zu überlegen, ob es sich wieder lohnte, den Schnabel zu öffnen. Die Dunkelheit im Wald wurde zu einem hellen Grau. Lichter wurde es nicht, schon seit Wochen war die Sonne nur sporadisch zu sehen gewesen.

      Tim streckte den Kopf unter einer Fichte hervor. Vorsichtig machte Tim erste Schritte zwischen kleinen Hagelhaufen, lief um Pfützen herum und hüpfte schließlich vor Vergnügen.

      Das Leben hatte vor drei Tagen wieder einen Sinn bekommen.

      Seitdem er von einem Jahr beschlossen hatte, Spielmann zu werden und mit der Musik seinen Lebensunterhalt zu verdienen, war es mit ihm bergab gegangen. Sein Vater hatte ihn vor die Tür gesetzt und die Schmiede an Tims jüngeren Bruder übergeben, seine Mutter hatte es vor Kummer die Sprache verschlagen, und seine Großmutter hatte ihm lediglich den spöttischen Rat mit auf den Weg gegeben, sich vor den Wölfen in Acht zu nehmen.

      Wölfe. Das Bild im Kopf war fertig, brauchte keine weiteren Details. Spitze Zähne, gelbe Augen, drohendes Knurren und unbändiger Hunger. Immer drehte es sich darum, wie viele Geißlein der Wolf gefressen, welche Mädchen im Wald er verschlungen und warum er den Spielmann zerrissen hatte.

      Niemand jedoch hatte sich ein Bild davon gemacht, was es für Tim bedeutete, Musik zu machen. Was Martin Luther für Reformierte, war Josquin Desprez, der Fürst der Musik, für Tim geworden. Seine Motetten, Messen und Chansons waren der Blitzschlag auf freiem Felde gewesen, die Erleuchtung des Unwissenden, die Aufklärung des Unmündigen.

      Dessen ungeachtet hatte sich Tim das Leben des Musikers einfacher vorgestellt. Zwei gravierende Probleme stellten sich heraus. Zum einen nannte er bis vor kurzem lediglich eine Triangel sein Eigen und zum anderen konnte er nicht einmal sie spielen.

      Wenn er sich auf den Marktplatz stellte und versuchte, mit seiner Triangel eine Melodie zu spielen, straften ihn die Passanten mit Missachtung oder, schlimmer noch bewarfen sie ihn mit faulem Obst und trieben ihn aus dem Ort.

      Dann aber traf er mit knurrendem Magen zwischen Osterleben und Haldeberg ein altes Mütterchen im Wald, trug ihr in der Hoffnung, sie würde ihm etwas zu Essen dafür geben, einen Klafter Holz in die Hütte. Doch statt ihm Wurst und Käse zu geben, verschwand die Alte mit knackenden Gelenken durch eine schmale Tür. Gerade wollte er enttäuscht wieder gehen, das trat eine wunderhübsche junge Frau in die Hütte.

      Sie war splitterfasernackt, mit riesigen, wippenden Brüsten, einem breiten Becken und üppigen Schenkel, zwischen denen kein Haar den Blick auf die Möse verbarg. Ohne Umschweife kniete sie sich vor ihn, öffnete seine Hose und holte seinen Schwanz heraus. Sie ließ wortlos sein kleines Männchen in ihrem Mund verschwinden und weckte Gefühle, die vor lauter Musik bereits vergessen schienen.

      Von so etwas hatte er seit Wochen nur träumen können in feuchten Nächten, während er sich unruhig im Stroh, im Gras oder im dreckigen Lager einer Elendenherberge herumgewälzt hatte.

      Während Tim von oben und mit zitternden Knien betrachtete, wie sich der Kopf der blonden, wunderhübschen Frau auf seinem blitzschnell erwachsen gewordenen Mann vor und zurück bewegte, beschloss er, in Zukunft netter zu alten Frauen zu sein.

      Wer wusste schon, ob nicht alle eine schöne Tochter hatten, die ihn für seine Hilfsbereitschaft belohnen wollten? Kaum hatte er die Ersparnisse der letzten Wochen bis auf den letzten Tropfen aus dem mit Fingern und Zunge verhätschelten runzligen Beutel zwischen seinen Beinen geholt und war ermattet auf einen wackligen Hocker gesunken, verschwand die nackte, blonde Frau wortlos mit schwingenden Hüften durch die Tür.

      In beiden Mundwinkel glitzerten milchigweiße Tropfen. Glücklich aber mit knurrendem Magen verließ er die Hütte. Die trockenen Reste aus seinem Brotbeutel und ein paar Beeren waren das klägliche Mahl des Tages, ein Bett aus Moos unter einer Tanne sein Nachtlager.

      Der nächste Tag begann so traurig wie der vorherige. Hungrig stellte er sich in der nächsten Ortschaft auf den Marktplatz und spielte wieder vergebens auf seiner Triangel, bis ihm der Magen in den Kniekehlen hing und er kurz vor dem Entschluss stand, Mundraub zu begehen und enttäuscht nach Rostock zurückzukehren. In diesem Moment humpelte ihm eine runzlige alte Frau mit einem schweren Sack auf der Schulter über den Weg. Buckel, Warzen, strähnigen grauen Haaren und eingefallenen Lippen.

      Anfangs begegnete sie seinem Wunsch, ihr den Sack abzunehmen, mit ungerechtfertigtem Misstrauen, aber schließlich überzeugte Tim sie mit leichter Gewalt und trug ihr den Sack nach Hause. Seine Frage nach der Tochter, Enkelin oder Nichte hingegen schien sie nicht zu verstehen, und die Bitte um Belohnung erfüllte sie schließlich mit einem trockenen Kanten Brot und einer Ecke Käse.

      Gerade jedoch hatte Tim die Hütte verlassen und sich auf die Suche nach einem Quartier für die Nacht gemacht, liefen ihm zwei junge