„Mein gnädiges Fräulein -"
Berchta wendete sich schon ab. „Bring den Fuchs in den Hof, Claus," rief sie dem Jäger zu, „nach Tisch wollen wir dann die jungen Teckel daran lassen und sehen, wie sie sich benehmen," und mit freundlichem Gruß gegen den fremden Geistlichen eilte sie leichten Schrittes durch den Garten hin, dem Schlosse zu.
Berchta hatte in der That nicht zu viel versprochen, wenn sie gesagt, daß sie zu ihrer Toilette nicht übermäßig lange Zeit brauche, denn kaum war eine halbe Stunde vergangen, als schon ein Diener in den Garten kam, um den Gast in das Speisezimmer einzuladen.
Der Freiherr war übrigens, wie er stets ging, in der Joppe, Diakonus Kästner aber, nach dem er rasch hinunter in's Städtchen geschickt, um mit ihnen zu speisen, im schwarzen Frack und weißer Halsbinde. Berchta's Blick, als sie den Speisesaal betrat, flog unwillkürlich von einem zum andern der beiden Geistlichen, denn obgleich einem Berufe angehörend, schien es doch kaum möglich, sich zwei verschiedenere Menschen zu denken.
Kästner war wirklich ein schöner Mann, kaum in den Dreißigen, mit offenem und ehrlichem Gesicht und vollem, lockigem Haar. Er trug ein glattrasirtes Kinn, das allerdings einen Ansatz zur Fülle zeigte, und einen starken, sorgfältig gepflegten Backenbart; nur hatte er etwas Zartes, Weichliches in seinen Zügen und eine Angewohnheit, die Unterlippe leicht mit den oberen Zähnen zu fassen, was ihm, besonders /17/ wenn er manchmal die Augen niederschlug, ein fast verlegenes Aussehen gab. Auch die weiße Halsbinde machte ihn vielleicht förmlicher erscheinen, als er wirklich war. Er hatte dabei außerordentlich weiße und zarte, fast frauenhafte Hände und ebensolche Füße, und trug bei festlichen Gelegenheiten, z. B. heute, auch glanzlederne, sehr eng anschließende Stiefel.
Der Missionsprediger war das gerade Gegentheil von ihm. Er ging allerdings auch schwarz gekleidet, aber in einen zugeknöpften Rock mit Stehkragen, aus dem nur ein schmaler Streifen weißer Wäsche hervorsah. Er trug dabei derbe, rindslederne Stiefel, und seine Hände wie auch sein Antlitz waren sonngebräunt und knochig. Kästner's hellbraunes Auge war schwimmend und weich; seine kleinen grauen Augen blitzten lebhaft, oft fast stechend, umher, wenn er Jemanden scharf ansah. Seine hohe, gewölbte Stirn, von spärlichen, schon graugemischten Haaren eingefaßt, fing an, eine Glatze zu bilden, und zeigte deutlich an der linken Seite eine breite, etwas röther gefärbte und lange Narbe. Sein Gesicht war vollkommen glatt rasirt, selbst ohne den geringsten Backenbart, und die buschigen Augenbrauen gaben ihm manchmal, wenn er sinnend vor sich niedersah, etwas Finsteres. Aber im Ganzen schien das seine Natur gar nicht zu sein; er war, wie sich bald im Gespräch zeigte, lebhaft und mittheilend, und nur um seine Lippen zog es sich manchmal wie ein tiefer Schmerz, der aber in seinen übrigen Zügen nie zum Ausdruck kam.
Der Diakonus hatte Johnson schon unten im Städtchen, wenn auch nur flüchtig, begrüßt, und die beiden Männer kannten sich also. Mit innigem Wohlgefallen ruhte aber des Missionspredigers Blick auf der reizenden Gestalt Berchta's, als sie im Saale erschien. Die Amazone von vorhin war verschwunden und an ihrer Statt ein ächt weibliches, züchtig ehrbares Wesen erschienen, das mit wahrhaft bezaubernder Liebenswürdigkeit den Platz der Hausfrau an der Tafel versah und dabei nur Auge für das Wohlbefinden ihrer Gäste zu haben schien.
Anfangs wollte das Gespräch nicht so recht in Fluß kommen; es waren zu heterogene Elemente hier zusammen-/18/gewürfelt, und es mußte erst ein gemeinsamer Anknüpfungspunkt gefunden werden, ehe man sich darüber hinwegsetzen konnte. Aber Johnson selber lieferte ihn durch die Mission, die ihn hierher geführt, durch seine vielen Reisen, die er gemacht, das Wunderbare, Fremdartige, das er dort gesehen, und der Baron begann endlich das, was er hauptsächlich zu wissen wünschte, mit einigen allgemeinen Fragen einzuleiten.
Wo Johnson hauptsächlich seinen Aufenthalt gehabt?
Der Missionsprediger zuckte mit den Achseln. „Mein werther Herr" sagte er, „ich bin in meiner ganzen Lebenszeit wie ein vom Winde umhergewehtes und getragenes Blatt gewesen, - ohne Ruhe, ohne Rast. Von jenem Augenblick an, wo ich meine Studien in einem englischen Missionscollegium beendete, - und das sind jetzt volle dreißig Jahre - bis zu diesem, der einen Lichtblick in meinem Leben bildet," setzte er hinzu, und fast unwillkürlich, ja vielleicht unbewußt, streifte sein Auge Berchta's Gestalt, „war es mir selten, sehr selten vergönnt, von mühevollen Wanderungen und Beschwerden auszuruhen. Bald sah ich mich der heißen Sonne der Tropen, bald dem Eis und den Schneestürmen der kalten Zone ausgesetzt, aber immer nur mit dem einen Ziel vor Augen: die Lehre des Heilands zu verbreiten."
„Und waren Sie vielen Gefahren dabei ausgesetzt?" sagte Berchta theilnahmsvoll, indem ihr Auge unwillkürlich nach der Narbe auf seiner Stirn flog.
„Gott hat seine Hand wunderbar über mir gehalten," erwiderte der Missionär.
„Das muß ein tüchtiger Hieb über den Kopf gewesen sein," bemerkte der alte Freiherr, der dem nämlichen Gedankengang der Tochter folgte, „und ist damals gewiß hart am Leben vorbeigegangen."
„Es war ein blutiger Tag," sagte der Missionär, wie in sich selbst zusammenschaudernd. „Ich erhielt den Schlag von einem Wilden in Neuseeland mit einer Kriegskeule. Aber nicht solche trübe Bilder möchte ich an so freundlichem Tage vor Ihnen heraufbeschwören," brach er kurz ab; „es sind die Schattenseiten unseres Lebens, das aber doch auch wieder viel, viel des Freudigen und Erhebenden dafür bietet." /l9/
Sie haben gewiß so schöne Länder gesehen," sagte Berchta, die kein Thema länger berühren wollte, das dem Gaste selber peinlich schien, „jene wunderherrliche Inselwelt. Oh, welch ein Zauber muß darüber liegen!"
„Allerdings ein Zauber," nickte der Missionär, dessen Züge sich bei diesen Worten wieder aufhellten. „Oh, mein gnädiges Fräulein, wenn es Ihnen je vom Himmel beschieden wäre, jenes wunderbare, herrliche Land zu sehen! Worte sind da nicht im Stande, das auszudrücken, was man empfindet; aber noch weiß ich mich der Zeit zu erinnern, wenn auch viele, viele Jahre seitdem verrannen, wo ich zum ersten Mal jenes Paradies erblickte und keinen andern Ausdruck dafür hatte, als Thränen, Thränen des innigsten Dankes, daß mich Gott vor Tausenden so bevorzugt, seine schönsten und herrlichsten Wunder anzustaunen."
„Und sind jene Länder wirklich so herrlich in ihrer Scenerie, wie wir es so oft in Reisebeschreibungen lesen?" sagte der Freiherr. „Ich habe immer geglaubt, daß die guten Leute, unter dem Eindruck von etwas ganz Fremdem und Ungewohntem, da ein wenig übertreiben oder doch ihren eigenen Gefühlen zu viel Rechnung tragen."
„Ich weiß nicht, sagte der Missionsprediger, „auf welche Reisebeschreibungen Sie sich beziehen, aber ich bezweifle von ganzer Seele, daß irgend eine Feder der Welt im Stande wär das wiederzugeben, was dort Gottes Hand verschwenderisch ausgebreitet. Es ist nicht möglich! Ein Mensch kann die palmengekrönten Küsten, die donnernde Brandung der Riffe, die kühn geschnittenen Bergkuppen, den grünen Wald und den blauen Himmel, die lauschigen Wohnungen, die Fruchthaine und tausend andere Dinge aus das Genaueste und Gewissen- hafteste schildern; aber den Duft, der über dem Ganzen liegt, die blitzenden Farben, das Aroma, von dem die Lüfte durchdrungen sind, vermag er nicht wiederzugeben. Es ist gerade so, als ob ich auf einem Stück Leinwand einen Chimborazo oder Himalaj malen wollte; ich bin vielleicht im Stande, / dem Beschauer einen annähernden Begriff von der riesenhaften Größe jener Bergkolosse zu geben, aber ein richtiges Bild? – nie im Leben.“ /20/
„In der That," nickte der Herr von Schölfe - „und wenn Sie das sagen, der Sie doch ein ruhiger, nicht eben excentrischer Mann scheinen, muß das wirklich etwas Absonderliches sein. Aber wie ist es auf jenen Inseln mit der Jagd?"
Der Missionsprediger lächelte. „Ich muß wirklich gestehen, verehrter Herr," sagte er, „daß ich selber kein Jäger bin und mich also auch nie der Jagd in jenen Bergen zugewendet habe; doch weiß ich bestimmt, daß es auf sehr vielen wilde Rinder, Ziegen und Schweine giebt, die von früheren Seefahrern dort ausgesetzt wurden und dann, was ihre Wildheit betrifft, allerdings