Gesammelte Schriften
von
Friedrich Gerstäcker.
Zweite Serie, Fünfter Band.
Volks- und Familien-Ausgabe
Die Missionäre.
Roman aus der Südsee
Jena,
Hermann Costenoble Verlagsbuchhandlung.
Ausgabe letzter Hand, ungekürzt, mit den Seitenzahlen der Vorlage
Gefördert durch die Richard-Borek-Stiftung und Stiftung Braunschweigischer Kuilturbesitz
Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. und Edition Corsar, Braunschweig, 2021
Herausgegeben von Thomas Ostwald nach der von Friedrich Gerstäcker
eingerichteten Textausgabe für H. Costenoble
Geschäftsstelle: Am Uhlenbusch 17, 38108 Braunschweig
Alle Rechte vorbehalten! © 2016 / © 2021
Vorwort.
In den vorliegenden Blättern habe ich versucht, dem Leser die Missionäre und Missionen zu schildern, wie ich sie gefunden, wie sie von tausend Anderen gefunden wurden.
Ich will gern zugestehen, daß viele dieser Geistlichen aus innerer Ueberzeugung in ferne Welten gingen, daß sie dort nach ihrem Glauben und besten Kräften wirkten, und wenn das nicht immer in der rechten Weise geschah, wenigstens den guten Willen dabei hatten. Aber machten sie jene Völker wirklich glücklich, denen sie einen andern Glauben, andere Sitten brachten? - Der Erfolg zeigt, daß überall die Verbindung mit den Weißen allen wilden Völkern zum Verderben gereichte und sie ausrottete, und ich fürchte, ohne sie wirklich gebessert zu haben.
Ein wahrer Glaube kann nicht gewechselt werden, nur die Form wurde verändert, und wie noch heutigen Tages die mexikanischen Indianer alte kleine Götzenbilder hinter den christlichen Altären zu verbergen suchen und darin streng überwacht werden müssen, damit sie nicht in Gedanken zu ihren Bildern beten, so sehen auch fast alle wilden Völker nur in der Form den neuen Gottesdienst, und leider wird auch selten mehr von ihnen verlangt.
Ich habe in meinem Buche fast Nichts erfunden, sondern nur eine Kette von Thatsachen hingestellt, und diese zwar mit den verschiedenen Missionsschriften selber belegt. Ich wollte nicht Autoren citiren, die scharf und entschieden über das ganze Missionswesen abgeurtheilt haben.
Es ist naturgemäß, daß wenn wir wirklich glauben, nur unsere Religion könne zum ewigen Heil führen - Männer, die sich dazu ihren Lebensberuf gestellt, andere, ihrer Meinung nach im Irrthum befangene und dadurch in schlimme Gefahr gebrachte Völkerstämme zu retten suchen. - Aber die Sache wurde übertrieben und das, was nur aus reiner innerer Ueberzeugung hervorgehen kann: eine wirkliche Aenderung des Glaubens, zu einem Geschäft herabgewürdigt.
Was für Summen sind nicht allein aus Europa, besonders aus England herausgezogen worden, um Chinesen zu bekehren, und mit wie fabelhaft geringem Erfolg in jenes Land getragen, und haben wir selber in Europa so wenig Bedürftige, um solche ewige Collecten zu rechtfertigen?
Elend überall hier, wohin wir blicken, und doch werden Hunderttausende von Thalern jährlich auf solche romantische Zwecke vergeudet und unseren Armen hier entzogen.
Ich bin vollkommen gegen diese Sammlungen, über welche dem Publikum später nicht die geringste Controle zusteht.
Wie sie zum großen Theil verwandt werden, habe ich aus eigener Anschauung gesehen, und dabei in vielen fremden Ländern beobachten können, in welcher Weise das Christenthum verbreitet und von den verschiedenen Stämmen aufgefaßt wurde.
Ich will den Geistlichen selber mit diesem Buch nicht zu nahe treten und ihnen wissentlich nicht Unrecht thun, aber ich schildere auch treu ihre Wirksamkeit, wie sie in der That noch heutigen Tages, ja oft in weit verschärftem Maße besteht.*)
Nichts habe ich von den Verfolgungen der verschiedenen Seelen untereinander erzählt, die viel, viel Blut, besonders auf Tahiti gekostet haben und sogar, wie z. B. aus Neuseeland, nicht allein zwischen Protestanten und Katholiken, nein sogar unter protestantischen Secten selber stattfanden.
Ich habe treu und wahr zu schildern gesucht, was wirklich geschehen ist und noch bis auf den heutigen Tag geschieht, und übergebe dem Leser das Buch in der festen Ueberzeugung, recht gehandelt zu haben.
August 1868.
Der Verfasser.
*) Eine höchst interessante Zusammenstellung über die Wirksamkeit der Missionäre in Indien, China -etc. giebt Ernst Friedrich Langhans, Pfarrer in Waldau bei Berlin, in seinem bei Otto Wigand (Leipzig) erschienenen Buch: „Pietismus und Christenthum im Spiegel der äußern Mission."
1.
Schloß Schölfenstein.
An den Ausläufern des Erzgebirges, unmittelbar über einem breiten, prächtigen Bergwasser, das sprudelnd von den bewaldeten Höhen herunterkam und lustig über die bräunlich blitzenden Kiesel hinwegsprang, lag ein altes Waldschloß, der Schölfenstein genannt, das man von Weitem und das Thal heraufkommend recht gut hätte für eine Ruine vergangener Zeiten halten können. Ein halbverfallener Thurm überragte nämlich das Ganze, und links davon lag eine ebenfalls eingestürzte Kapelle, die, von Epheu überwuchert, einen höchst malerischen Anblick bot. Das Schloß selber aber, aus dicken, gewaltigen Mauern aufgeführt, war im Innern noch vollkommen gut erhalten, ja sogar wohnlich eingerichtet, und dabei der Lieblingsaufenthalt des alten Barons von Schölfe, der hier wenigstens acht Monate vom Jahre mit seiner einzigen Tochter verbrachte.
Der alte Baron war eigentlich noch ein ächtes Stück aus der alten Zeit und mit so wunderlich gemischtem Charakter, wie man sie jetzt wohl nur selten findet; allerdings ein Edelmann von „altem Schrot und Korn", grundehrlich, schlicht und recht, ein vortrefflicher Reiter und ausgezeichneter Schütze wie leidenschaftlicher Jäger, und dabei derb und geradeaus, aber auch zugleich einer entschieden frommen, ja fast bigotten /2/ Richtung angehörend, die sich, da ihm kein besonderer Einfluß nach außen zu Gebote stand, mit desto größerem Eifer auf seine eigenen Unterthanen und Bauern warf.
In seiner Jugend sollte er anders gewesen sein, und aus dieser rührte noch einer seiner Jäger, der alte Claus, her; aber er heirathete in eine sehr fromme Familie, und mit jener doch schon in ihm schlummernden Neigung zur Schwärmerei, mit der er sich z. B. besonders für die Kreuzfahrer begeistert hatte und stolz war, einen seiner Ahnen zu ihnen zu zählen, wuchs dies Gefühl von Jahr zu Jahr.
Seine sämmtliche Dienerschaft mußte jeden Sonntag regelmäßig den Gottesdienst besuchen, und zwar abwechselnd, an einem Sonntag ein Theil den Morgen-, ein anderer den Nachmittags-Gottesdienst, und wer sich da säumig zeigte, konnte nur gleich sein Bündel schnüren. Ja, als die gnädige Frau noch lebte, las diese nach ächt patriarchalischer Sitte den Leuten Abends selber fast eine Stunde lang aus der Bibel vor, und konnte ernstlich böse werden, wenn Einer oder der Andere dabei einmal aus Versehen einnickte.
Den Leuten war damit natürlich nicht gedient, und sie hätten sich lieber in einer andern Weise unterhalten; einige kündigten sogar, aber die meisten fügten sich doch, denn der Dienst war ein vorzüglicher und der Herr besonders so gut mit den Leuten, daß sie sich keinen besseren wünschen konnten.
Der Baron hatte eine einzige Tochter, die er, der alten deutschen Zeit anhängend, Berchta genannt. Das Kind bekam eine wunderlich gemischte Erziehung, der ähnlich, wie sie der Charakter des Vaters abstrahlte, halb ritterlich, halb religiös, und als die Mutter, da Berchta kaum vierzehn Jahre zählen mochte, starb und der Vater jetzt den größten Theil seiner Zeit auf dem Schölfenstein verbrachte, fast mehr das erstere als das letztere. Sie mußte vor allen Dingen reiten lernen, um ihn auf seinen Spazierritten zu begleiten, und wie sie kaum sechzehn Jahre alt war, übte er sie sogar im Pistolen- und Gewehrschießen, und nahm sie dann mit hinaus auf die Jagd.
Berchta wuchs heran, und ein lieblicheres Wesen ließ sich kaum auf der Welt denken. Von schlanker, fast zarter, an-/3/muthiqer Gestalt, ganz das Ebenbild ihrer seligen Mutter, konnten ihre Züge wirklich schön genannt