Schaaf ermittelt. R.J. Simon. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: R.J. Simon
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738028898
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zu sehr für seinen Beruf, in dem er leider zu oft die negativen Auswirkungen von Alkoholgenuss, als bedauerlichen Fall auf den Schreibtisch bekam.

      Natürlich zeigte der Schnaps seine Wirkung bei ihm. Bernaude, der das Destillat sicherlich gewohnt war, vertrug ihn besser. Aber auch er lachte mehr und ausgelassener mit jeder Runde, die sie tranken.

      Plötzlich schlug Bernaude aus einem Lachanfall heraus vor: "Soll ich dir zeigen wo die schönen Frauen sind? Junge sehr hübsche französische Damen!"

      "Oh nein, das muss nicht sein."

      "Ahh komm`, du bist doch auch ein Mann. Und sehr weit weg von zu Hause. Na?" schlug Bernaude Schäfchen kumpelhaft gegen den Bauch.

      "Nein, glaube mir. Das ist nicht meine Sache. Ich bin glücklich verheiratet. Aber ich danke dir trotzdem für das Angebot!"

      "Oui dann will ich dich nicht geführen."

      "Verführen, wäre das richtige Wort" und sie lachten beide wieder ausgiebig. Dupassier sah ihnen, wie meist, schier unbeteiligt zu. Er mischte sich weder ein, noch lachte er mit den beiden Kommissaren. Dupassier blieb still, aß sein Essen und tat so, als hörte er nichts und sei gar nicht da. Wie ein stummer Statist dessen einzige Aufgabe es war anwesend zu sein.

      "Und das dann auch noch auf Spaß?" ulkte Schaaf weiter.

      "Oi oi oi, ob ich das als 'Spesen' geltend machen kann weiß ich nicht. Habe ich noch nie gesucht. Mein Chef würde bestimmt dumm aus der Jacke schauen", versuchte sich Bernaude in einer deutschen Redewendung. "Spesen war jetzt aber richtig?"

      "Ja, hervorragend! Du lernst schnell."

      "Danke."

      Und darauf wieder einen Anisschnaps!

      "Ich sage dir was: Wir bleiben einfach noch hier und schütten uns noch ein paar von diesem flüssigen Anis rein", schlug Bernaude vor.

      "Ja, aber nicht mehr so viele."

      "Ach was. Wir müssen doch keines Auto mehr fahren. Wir haben doch Jean-Claude dabei. Und du bist ein lieber Assistent und bringst uns nach Hause nicht wahr?"

      "Bien sûr ", bestätigte Dupassier 'selbstverständlich' wortkarg.

      "Siehst du. Keine Problem."

      "Aber morgen müssen wir doch arbeiten. Wir haben schon einiges intus!"

      "Hach ihr Deutschen denkt immer nur an die Arbeit, Arbeit, Arbeit." Dabei beschrieb Bernaude Bewegungen mit den Händen, als ob er schwere Kisten umstellen würde. "Ihr seid immer so diszipliniert und vernünftig und vergesst dabei zu leben. Jetzt ist heute Abend und wir haben Freude. Arbeit ist morgen!"

      Eigentlich hatte Bernaude Recht mit dem, was er sagte und hielt Schaaf den Spiegel vor. In Deutschland hat immer die Vernunft und die Pflichterfüllung Vorrang. Schaaf brach gewöhnlich auch einen gemütlichen und lustigen Abend frühzeitig ab, nur weil er daran dachte, am nächsten Tag voll leistungsfähig sein zu wollen. Immer den Job und die Dienstbarkeit im Vordergrund und der Spaß hinten angestellt. Die Disziplin fraß die Lebensfreude auf und färbte das Leben grau.

      Da hatten die Menschen in den meisten anderen Ländern um Deutschland herum die bessere Einstellung. Die Leute dort feierten, wann es sich ergab, und wenn das mitten in der Woche war. Nicht wie die Deutschen nur zu Hochzeiten, runden Geburtstagen und Jubiläen, die dann extra auch auf das Wochenende gelegt wurden, um die Arbeit darunter nicht leiden zu lassen. Wenn es in den anderen Kulturen einen Anlass gab, wurde nicht lange überlegt, sondern gefeiert. In den meisten anderen Ländern lebten die Menschen das deutsche Sprichwort 'Feste muss man feiern, wie sie fallen' tatsächlich. Und Schaaf wollte an diesem Abend die deutschen Tugenden auch einmal verdrängen. Er stellte sich vor, diese einfach an der Grenze auf der deutschen Seite, zurückgelassen zu haben. Einfuhrverbot! Einmal ohne schlechtes Gewissen tun, was einem gefiel, die Vernunft vergessen und nicht an Morgen denken.

      "Noch eine Runde," bestellte Schäfchen nach dieser Erkenntnis lauthals. Wenn seine Frau, oder gar seine Männer, ihn an diesem Abend gesehen hätten, wäre es ihnen schwer gefallen zu glauben, dass das ihr Schäfchen war, den sie kannten. Schaaf mit einen leeren Schnapsglas in der Hand, der merklich angeheitert Nachschub orderte, passte nicht in das Bild, das sie von ihm hatten.

      "Ja, so gefällst du mir mein Freund. Santé!"

      Dieser folgten noch einige weitere Runden. Der Promillepegel stieg an und die Hemmungen fielen. Schaaf und Bernaude alberten weiter, wurden lustiger und vergnügter, und hatten ausgelassenen Spaß. Die Sprachbarriere, die ohnehin schon recht niedrig war, verschwand komplett. In einem Mix aus Französisch und Deutsch rissen sie ihre Witze und verulkten sich gerne gegenseitig. Auch Jean-Claude wurde oft ein Opfer ihres Übermuts und musste so einiges einstecken. Die Bemerkungen lächelte der aber mit einem unechten Grinsen weg. Und immer wieder gab es dazwischen einen Anisée.

      Bernaude lernte Schaaf dann weit nach Mitternacht ein französisches Stimmungslied, Aux Champs Elysées, das sie mit steigendem Alkoholpegel gemeinsam grölend sangen. Sogar Jean-Claude sang am Anfang verhalten mit und so lagen sie sich zu dritt dabei in den Armen. Dupassier ging für eine kurze Zeit aus sich heraus, zog aber dann gleich wieder die Spaßbremse an.

      Schon das Einstudieren des Songs brachte allerlei Gelächter mit sich, denn angeheitert und mit bleierner Zunge ist es doppelt schwer einen Text in einer fremde Sprache zu erlernen; ihn richtig auszusprechen und zu betonen. Die korrekte Aussprache der gesungenen Worte verlangte Schäfchen allerhand ab. Bernaude übersetze Schäfchen in den Pausen, wenn die beiden sich orientierten und durchatmeten, die Abschnitte des Liedes, die er nicht richtig verstand.

      Die anderen Gäste in dem Lokal interessierten Bernaude und Schaaf dabei nicht. Ihre Stimmung war zu ausgelassen, als dass sie sich um die Gäste um sich herum gekümmert hätten. Das jahrelange Ausüben des Kommissarenjobs gewöhnte beiden längst ab darauf zu achten, was andere von ihnen dachten. Und das nahmen sie auch in ihre Freizeit mit. Die meisten der Gäste lachten allerdings sogar, angesichts des Frohsinns, den die beiden verbreiteten. Mit zunehmender Stunde waren sie dann auch fast mit Dupassier die einzigen Gäste in dem Lokal, sodass sich dieses Problem erledigte.

      Erst spät in der Nacht, viel zu spät, brachten Bernaude und Dupassier ihren deutschen Gast in sein Hotel. Schaaf war dann für seine Verhältnisse total betrunken, aber glücklich. Das Lied Aux Champs Elysées grölten Bernaude und Schaaf zum Verdruss von Dupassier, auch im Wagen ausgelassen weiter.

      Schaaf war allerdings noch so weit klar im Kopf, dass er wusste was er tat, und auch gehen konnte er noch selbst. Er torkelte zwar erheblich, kam aber überwiegend ohne die stützenden Arme von Dupassier zurecht und in sein Hotel.

      So etwas hatte Schäfchen schon seit Jahren nicht mehr getan. Einfach gefeiert, gelebt und nicht an die Verantwortung, Moral und Etikette gedacht. Stattdessen nur an sich und was ihm Freude bereitet. Alle Zwänge, die er sich ansonsten selbst auferlegte, sprengte Schaaf, spülte sie mit Pastis weg und vergaß sie. An diesem ersten Abend in Nizza warf Schaaf all die Tugenden über Bord, die er in seinem Leben in Deutschland hoch hielt, und genoss die Leichtigkeit des Seins.

      "Dupassier holt dich nachher um 8.00 Uhr dann hier ab", sprach Bernaude nicht weniger betrunken als Schaaf. Diesen Satz wiederholte Bernaude allerdings mehrfach. Ob er das tat, weil er selbst nicht mehr wusste, dass er es bereits sagte, oder um sicher zu gehen, dass Schaaf ihn auch verstanden hatte, konnte man nicht wissen.

      Nachher war dabei das absolut richtige Wort, denn sie standen gegen Morgen vor dem Hotel. Nach einer Umarmung, als wenn es ein Abschied für immer wäre, schleppte Schaaf sich in sein Zimmer. Mit den Knöpfen im Fahrstuhl führte er einen kurzen Wettstreit, weil diese immer, kurz bevor er sie drücken konnte, wegsprangen. Ihm wurde allerdings auch bewusst, dass er froh sein konnte, nicht die schwankende Treppe benützen zu müssen.

      In seinem Bett liegend, nach dem gewonnenen Kampf mit den Kleidern, den Socken, die irgendwie nicht von den Füßen wollten, und den unzähligen anderen Widrigkeiten, dachte Schaaf noch kurz vor dem Einschlafen: 'Das war wirklich ein schöner Abend. Ich sollte öfter einfach lockerer sein und mehr das Leben genießen, wie die Franzosen das auch tun'.

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