Plötzlich war er so ernst. So weit weg. Was war wirklich mit ihm geschehen? Wie war er hierhergekommen? Ich fand dafür immer noch keine plausible Erklärung.
„Glenbláth ist die Hauptstadt von Draaksfera“, sagte er plötzlich in die Stille hinein. „Aber es ist kein besonderer Ort. Ich hege keine Sympathie für die Menschen dort.“
„Und trotzdem willst du unbedingt zurück?“
„Ich muss“, war seine knappe Antwort.
„Darf ich fragen warum?“
„Es gibt dort… Leute, die ich beschützen muss.“
„Beschützen? Vor wem? Bist du irgendwie in einer Gang, die in Schwierigkeiten steckt? Ist das so ein Cliquenkrieg oder so?“
„Ein was? Nein. Ein Art Krieg vielleicht schon, ein Konflikt, aber kein… Wasauchimmer.“
Das musste ich erst mal sacken lassen. „Was für ein Konflikt ist das?“
Seine Lippen verschmälerten sich zu einem dünnen Strich. Sein Griff um die Wasserflasche verstärkte sich, sodass sie knisterte und er nahm einen großen Schluck. „Ich sollte dir nicht davon erzählen, denn ich bin hier nur ein Fremder und meine Welt ist fern von der deinen. Freue dich an der heilen Welt, in der du lebst.“
Ich wusste nicht, was ich darauf sagen sollte. Bisher hatte ich ihn einfach nur für einen Freak gehalten. Aber niedergeschlagen, wie er plötzlich war, weckte er allmählich mein Vertrauen. Ich wollte ihm glauben, so abgefahren das alles auch zu sein schien.
„Wie genau bist du hierhergekommen?“, wollte ich wissen.
„Ich werde dir nicht mehr erzählen. Bald bin ich fort und dann vergisst du besser, dass ich je da gewesen bin.“
„Bitte! Wir haben noch mehr als zwei Stunden Zugfahrt vor uns. Da können wir uns doch nicht nur schweigend gegenüber sitzen. Und ich denke, du hast wesentlich spannendere Geschichten zu erzählen als ich.“
„Sicher? Mir scheint deine Welt wesentlich spannender. Wie funktioniert das hier?“, fragte er und machte eine ausladende Handbewegung, mit der er quasi den ganzen Zug einfasste. „Es ist keine Magie. Wie macht ihr eure Maschinen? Und warum gibt es bei euch so viel Nahrung? Alle zwei Meter kann man etwas zu Essen erwerben. Könnt ihr das alles überhaupt essen? Haben die Menschen hier größere Mägen? Oder einfach einen anderen Energiebedarf?“
Ich lachte. Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu lachen. „Schön wär’s“, prustete ich. „Dann könnte ich alle Leckereien auf einmal essen, ohne dick zu werden. Aber ich befürchte, wir sind hier einfach nur verwöhnt. Und von Maschinenbau habe ich leider keine Ahnung.“ Ich atmete ein paarmal tief durch, um mich von meinem Lachanfall zu erholen. Dann sprach ich etwas an, was mich hellhörig gemacht hatte. „Was meinst du mit: Es ist keine Magie? Gibt es so etwas bei dir? Magie?“
Unwillkürlich zuckte er zusammen und biss sich auf die Unterlippe, als würde er sich innerlich selbst für seine Worte schelten. „Hier etwa nicht?“, fragte er mit einem wachsamen, grummelnden Unterton.
Aufgeregt hüpfte ich auf meinem Sitz auf und ab. „Nur in Märchen und Fantasybüchern. Also gibt es bei euch wirklich Magie? Das ist ja total abgefahren!“
Er kniff die Augen zusammen und schüttelte verständnislos den Kopf. „Abgefahren… Ich schätze, das ist gut? Macht dir Magie keine Angst?“
„Ja, das ist gut und nein, warum sollte sie mir Angst machen? Wenn Magie das ist, was ich aus Büchern und Filmen kenne, ist das doch total spannend und wundervoll! Kannst du zaubern?“
„Nein“, antwortete er. „Aber durch Magie bin ich hierhergekommen.“ Das Thema schien ihm nicht zu behagen und ich fragte mich warum. Meine Begeisterung dafür, dass es so etwas wie Magie wirklich gab, ebbte ein wenig ab.
„Habt ihr hier allgemein keine Angst vor Magie oder bist du eine Ausnahme?“
Ich überlegte. „Nun, viele stempeln Magie als Hokuspokus ab, den es eh nicht gibt. Also warum sollten sie Angst davor haben? Dann gibt es noch welche, die an übernatürliche Kräfte glauben und schon Angst davor haben. Für die ist es gefährliche Hexerei oder so. Und dann gibt es noch die Leute, so wie mich, die Geschichten über Magie lieben und faszinierend finden und hoffen, dass es sie wirklich gibt. Ich denke, das ist grade bei den jüngeren Generationen der Fall. Also wenn du zaubern könntest, würde dir wahrscheinlich jedes Mädchen zu Füßen liegen.“
Endlich brachte ich ihn zum Schmunzeln. Ein kleines Lächeln im Gesicht stand ihm viel besser als die ernste, verbitterte Miene.
„Haben die Menschen bei dir etwa Angst vor Magie?“
Er nickte. „Ausnahmslos.“
Den Rest der Fahrt verbrachten wir wortlos. Ich war mir unsicher, ob ich ihn weiter über sein Leben ausfragen sollte, ob er darüber reden wollte und ob ich wirklich mehr von dem Leid in seiner Heimat wissen wollte. Zudem war ich mittlerweile müde und fühlte mich immer weniger aufnahmefähig.
Nach über zwei Stunden Fahrt erreichten wir unsere Haltestelle. Auch Cuinn war mittlerweile vor Müdigkeit eingenickt. Ich rüttelte leicht an seiner Schulter, damit er aufwachte. Er gähnte, drückte sich aus dem Sitz und folgte mir träge durch den Gang nach draußen auf den Bahnsteig. Von der See wehte ein frischer Wind zu uns herüber. Ich zog meine Jacke etwas fester um meinen Körper.
„Nun dann. Ein kleiner Fußweg ist es noch.“ Ich hielt mich an die Straßenschilder, die den Weg zum Strand auswiesen. „Ist es völlig egal, wo wir am Meer sind?“, hakte ich vorsichtshalber noch einmal nach. Schließlich hatte ich immer noch keinen blassen Schimmer, wie er gedachte, nach Hause zu kommen.
„Ja“, bestätigte er. „Es sollte nur…“ In diesem Moment bekamen wir endlich Blick auf das Meer. Zumindest auf das, was der Nebel nicht verhüllte. „Perfekt!“
Mit einem Mal beschleunigte sich sein müder Schritt. Er überholte mich und begann zu laufen.
„He, warte!“ Ich zwang meinen Körper, ebenfalls zu laufen, obwohl ich eigentlich nur noch schlafen wollte.
Cuinn schlitterte den Abhang hinunter, der den Strand von der Kleinstadt trennte und ich stolperte ihm hinterher, bemüht, auf dem unebenen Grund nicht hinzufallen und mir an einem spitzen Stein ein Loch in den Kopf zu schlagen.
Vor dem in kleinen Wellen an den Strand schwappenden Wasser blieb er stehen. Keuchend kam ich bei ihm an. Ich ließ meine Handtasche zu Boden sinken. Jede noch so kleine Last auf meinen Schultern erschien mir zu viel. Ich war einfach nur noch kaputt.
„Chloe? Kannst du mich hören? Ich brauche deine Hilfe“, rief Cuinn in den Nebel hinein.
Ich blickte mich nach rechts und links um. Keine Menschenseele weit und breit, die beobachten konnte, wie Cuinn wie ein Geistesgestörter mit dem Nebel redete.
„Chloe, du kannst dich zeigen. Es ist sicher“, fügte Cuinn hinzu.
„Wer ist Chloe?“, raunte ich Cuinn zu, doch er hob zur Antwort nur eine Hand, die mir bedeutete zu schweigen und abzuwarten.
Ein erleichtertes Lächeln schlich sich auf seine Lippen, als sich der Nebel vor uns verdichtete, als würde im Zentrum ein Magnet schweben, der alle Nebelschwaden rundherum anzog. Ich schluckte und blinzelte ein paarmal. Doch der Nebel hörte nicht auf, sich zu bewegen. Allmählich nahm er die Form eines Menschen an. Ich rieb mir die Augen. Das konnte nicht sein. Das konnte verdammt noch mal nicht wahr sein. Ich musste träumen oder halluzinieren. Aber es brachte nichts, mir das einzureden. Die Konturen der Gestalt wurden immer filigraner. Schon bald erkannte ich die Figur einer zierlichen Frau, der trotz ihrer Schmächtigkeit nicht an Kurven fehlte, als wäre sie einem der mit Photoshop modifizierten Modelbilder aus einem Magazin entsprungen. Ihre langen glatten Haare wehten in der kühlen Meeresbrise und sie schien ein langes, eng anliegendes