Marrascas Erbe. Gerhard Schumacher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhard Schumacher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847676546
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Augenblicke, wie man sie im ganzen Leben nur ein-, höchstens zweimal erleben darf. Remigio, alter Spötter, weißt du, was ich hier in den Händen halte? Bevor du auf die ordinärste aller Antworten: ein Buch, zurückgreifst, will ich dir sagen, um welches Buch es sich handelt und du wirst vor Ehrfurcht das Knie beugen und dein Haupt senken.

      Ich sage nur: Vida y Hechos Del Ingenioso Cavallero Don Quixote de la Mancha des größten Dichters aller Zeiten, Miguel de Cervantes Saavedra, in einer Ausgabe von 1719, die bei Henrico y Cornelio Verdussen in Amberes, Amsterdam, erschienen ist. Was sagst du nun?“

      Stolz schwenkte er den braunen Lederband durch die Luft und hüpfte dabei abwechselnd mit den Füßen auf dem Boden herum als hätte er soeben eine Ader puren Goldes in seinem Garten entdeckt.

      Don Remigio aber schaute ungläubig und schien das gerade Gesagte erst verdauen zu müssen. Er war sichtlich beeindruckt von der Verkündung seines Kollegen, die Augen verfolgten das Buch durch die Luft, er mußte sich offensichtlich angestrengt konzentrieren, nicht danach zu greifen. Dann steckten die beiden ihre Köpfe zusammen, bestaunten das Buch und durchblätterten ehrfürchtig Seite um Seite. Ich kam in ihrer Wahrnehmung offensichtlich nicht mehr vor, der Ritter von der traurigen Gestalt hatte ihre Aufmerksamkeit vollständig in Beschlag genommen.

      In meinen Händen hielt ich immer noch das Mallorca-Buch des Santiago Rusinol, das ich just wieder an seinen Platz im Regal zurückstellen wollte, als ich auf dem Fußboden einen Zettel bemerkte, der wahrscheinlich nur aus dem Buch gefallen sein konnte, als ich beim Blättern vom Aufschrei Don Basilios gestört wurde. Ich hob das Papier auf, faltete es auseinander und las einige Zeilen, die eindeutig von der Hand Don Xaviers auf das Papier gebracht worden war:

      … per aquesta angoixa d’anar de pressai arribas allà on no tenim feina…

      Es handelte sich um die Einführung, die Rusinol zu seinem Buch geschrieben hatte und lautete übersetzt in die deutsche Sprache etwa:

      … wenn die rastlose Eile dich ermüdet, die uns ständig antreibt, noch schneller an Orte zu gelangen, an denen wir eigentlich nichts verloren haben…

      Der Rabe hatte diese Sequenz aus dem Buch auf einen Zettel geschrieben und dieses Papier dann wieder zurück in das Buch gelegt, ein Verhalten, das ich nicht verstand und ohne zu zögern sofort als durchaus merkwürdig empfand.

      Aus eigenem Erleben weiß ich, wie schwer es ist, seine Aufmerksamkeit von einem Buch abzuwenden, das ein Faszinosum ausübt, weil man lange davon geträumt hat, es einmal in der Hand zu halten, ganz besonders, wenn es sich um ein altes Buch handelt. Für einen Spanier trifft das verstärkt zu, wenn es sich bei dem Buch um eine alte Ausgabe des Don Quixote handelt, auch wenn es nicht die Erstausgabe von 1605 ist, denn Cervantes gilt seinen Landsleuten, nicht völlig zu Unrecht, als heilig, ist unantastbar und sein Ritter sakrosankt. So benötigte ich geraume Zeit, die Aufmerksamkeit der beiden capellàs auf dieses Papier zu lenken, das ich in einer Ausgabe gefunden hatte, die lediglich profane zehn Jahre alt war.

      Ich mußte sie erst daran erinnern, zu welchem Zweck wir die Bücher der Bibliothek untersuchten, ehe sie unwillig von dem Don Quixote abließen und sich meinem Papier zuwandten, das sie mehrmals lasen, hin und wieder her wendeten, als stünde in irgendeiner Ecke noch eine geheime Botschaft und dann auf das Tischchen legten. Zwar konnten sie den Text lesen, verstanden die Worte, aber genauso wenig, wie ich wußten, weder Don Remigio noch sein Kollege sie zu deuten.

      „Sind Sie sicher, daß der Zettel mit dem Text von Rusinol auch aus dem Buch von Rusinol gefallen ist? Das ergibt doch wenig Sinn, einige Zeilen abzuschreiben und dann dort wieder einzustecken, wo sie ohnehin schon gedruckt zu finden sind“, fragte mich Don Basilio nun schon zum zweiten Mal.

      „Selbst gesehen habe ich es nicht, wie er rausgefallen ist“, gestand ich ein, „als Sie aus vollem Hals die Entdeckung des Cervantes verkündeten, bin ich zu Ihnen herumgefahren, und als ich den Rusinol wieder ins Regal stellen wollte, lag der Zettel auf dem Boden. Da er vorher, da bin ich mir sicher, nicht dort gelegen hatte, kann er nur aus dem Buch gefallen sein. Woher sollte er sonst kommen?“

      „An der Logik ist was dran“, gestand Don Remigio mir zu, „aber zwingend ist sie auch nicht. Was, wenn der Zettel an der Stelle im Regal gelegen hat und Sie ihn beim Rausziehen des Buches mit rausgezogen haben?“

      „Nun schön, diese Möglichkeit besteht natürlich. Aber selbst wenn es so gewesen wäre, welche Erkenntnis hätten wir dadurch gewonnen?“, sagte ich.

      Don Remigio zuckte mit den Schultern, ging zu der Stelle wo das Buch Rusinols stand, nahm es aus dem Regal und spähte in die entstandene Lücke. Dann zog er noch weitere Bücher heraus, leuchtete mit einer Kerze in den freien Zwischenraum und räumte schließlich das komplette Regalfach leer. Seine Hände tasteten an der Rückwand entlang und auf einmal klappte mit dem leisen Klicken eines Federverschlusses der mittlere Teil der rückwärtigen Holzkassette auf und gab ein Fach von etwa 30 cm Breite und 15 cm Höhe frei.

      Don Remigio trat einen Schritt zurück, zeigte auf den versteckten Tresor und sagte:

      „Das haben wir gewonnen. Das Papier, wo immer es nun gesteckt haben mag, im Buch oder darunter, war lediglich ein Hinweis darauf am richtigen Ort zu suchen. Bitte sehr Don Diego, es ist Ihr Haus, Ihre Bibliothek, Ihr Geheimfach und auch was darinnen liegen mag gehört Ihnen. Nehmen Sie es in Besitz und, wenn ich diese bescheidene Bitte äußern darf, seien Sie so freundlich, die Kenntnis des Inhalts mit Ihren unwürdigen Helfern zu teilen. Sie haben es sich verdient. Besonders der, der den Schatz durch sein überlegtes Handeln erst zugänglich gemacht hat. Wohlan denn.“

      Sowohl Don Basilio als auch ich selbst mußten bei diesen spöttischen, aber nichtsdestotrotz im ernsthaften Tonfall vorgetragenen Worten lachen.

      Ich griff in das Fach und holte hervor, was sich darin befand. Es war eine in dunkelblaues Leder eingeschlagene Mappe, die seit was weiß ich wie vielen Jahren, Jahrzehnten vielleicht, zum ersten Mal wieder in vor Anspannung zittrigen Händen, den meinen nämlich, gehalten wurde. In der Mappe befanden sich mehrere Blätter (später, als die erste Aufregung abgeklungen war, zählte ich sieben Blätter), die auf beiden Seiten in der für Don Xavier typischen Handschrift eng beschrieben waren. Es war eine Auflistung oder auch eine Tabelle, pro Seite in drei Spalten unterteilt, die uns, wie sollte es auch anders sein, wiederum vor ein Rätsel stellte. Auf der linken Seite jeder Spalte standen einzelne Großbuchstaben, manchmal zwei, maximal drei zusammengefaßt. Nach einem angemessenen Zwischenraum kam eine Zahl und hinter dieser hatte der Rabe ein kleines q geschrieben, alles fein säuberlich untereinander. Diese Art der Spalte wiederholte sich dann, freilich mit anderem Inhalt, zweimal, so daß insgesamt drei Spalten mit den merkwürdigen Auflistungen auf jeder Seite notiert waren. Bei der ersten schnellen Durchsicht der Blätter meinte ich festzustellen, daß die niedrigste Zahl die 4, die höchste die 700 war. Einige der Zahlen waren unterstrichen, andere wiederum nicht. Das Ganze sah in etwa so aus:

      RBC 200 q AA 5 q DMF 20 q

      VB 50 q CDR 150 q KL 400 q

      NOB 350 q X 70 q RBC 75 q

      Und so weiter, ganze sieben Blätter, vierzehn Seiten lang, d.h. um genau zu sein, sollte ich anmerken, daß die letzte Seite nur zu einem guten Drittel beschrieben war.

      Don Basilio meinte, für eine derartige Auflistung bräuchte es kein Geheimfach, die könne man offen auf Pablos Theke herumliegen lassen, denn es würde sowieso niemand ihre Bedeutung verstehen.

      „Es könnte sich genauso gut um eine Geheimschrift handeln. In dem Fall sind wir so gut wie aufgeschmissen, denn ohne den Quellcode werden wir sie niemals auflösen“, meinte er weiter.

      „Vielleicht handelt es sich auch um die Auflistung der Einnahmen, die wir eigentlich suchen. Die Großbuchstaben könnten Abkürzungen von Namen oder Firmenbezeichnungen und die Zahlen Summen sein“, sagte ich, „doch warum sind dann einige Zahlen unterstrichen und einige nicht. Und was bedeutet das q?“

      Don Remigio räusperte sich.

      „Wenn diese Annahme richtig ist, könnte das q für quilo, kilo, griechisch für tausend, stehen. Wenn wir weiter annehmen,