Marrascas Erbe. Gerhard Schumacher. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerhard Schumacher
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847676546
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Person in Verbindung stand, traute sich indes aber nicht, mich danach zu fragen. So tauschten wir nur hin und wieder unverfängliche Floskeln und schwiegen uns ansonsten an. Bevor ich Álvaro auf die Person, in deren Begleitung ich ihn in Palma gesehen hatte, ansprach, wollte ich unter allen Umständen zuerst Rücksprache mit meinen beiden Verbündeten, Don Remigio und seinem Amtsbruder Basilio, halten, auch, wenn ich damit ihrem Verdacht, Álvaro sei der Verräter, der dem bisbe unsere Gespräche hintertrage, Vorschub oder gar Bestätigung leisten würde.

      Nachdem wir Artà erreicht hatten, es war inzwischen Abend geworden, begab ich mich ohne Umweg über mein Haus sofort in die Bar El Ultim zum Essen mit meinen beiden Gefährten, denn ich brannte darauf, ihnen von den Neuigkeiten der vergangenen Stunden zu berichten und ihre Meinungen einzuholen.

      Álvaro hingegen hantierte umständlich mit dem Pappkarton herum, den er erst im Haus verstaut haben wollte, ehe er auch in die Bar zu kommen versprach.

      Unter normalen Umständen hätte er nach den Stunden der Trennung von seiner Angebeteten den Karton das sein lassen, was er war, ein Karton, noch dazu auf dem Rücksitz seines cotxe und wäre unverzüglich auf seinen Stammplatz nahe der Küchentür in die Bar gestürmt, von dem er sich freiwillig erst dann wieder wegbewegt hätte, wenn Pablo ihn, ganz so wie jeden Abend, Tag für Tag, hinauswerfen mußte, damit er endlich in sein Bett fand. So kannte ich ihn, immerhin wohnten wir schon einige Wochen zusammen.

      Nachdenklich schaute ich ihm nach, als er die schwere Kiste zum Haus trug und nach einigen vergeblichen Versuchen, die Pforte zu öffnen, schließlich samt seiner Last darin verschwand. Es dauerte dann etwa die Hälfte einer Stunde, bis Álvaro in der Bar erschien und wie gewohnt seinen Platz nahe der Tür zu Bienvenidas Wirkungsstätte in Besitz nahm. Obwohl ich es mir zunächst nicht eingestehen wollte, muß ich zugeben, daß die leisen Zweifel an seiner Loyalität, die nach dem Verdacht der Gefährten in mir aufgekommen waren, inzwischen unüberhörbar in meiner Brust rumorten und mir echtes Kopfzerbrechen bereiteten. Doch wenn ich in diesem Land Spanien, speziell auf dieser Insel Mallorca und ganz besonders in diesem Ort Artà eines gelernt hatte, dann war das, nichts zu überstürzen. Mit diesem Grundsatz bin ich immer gut gefahren, ich habe ihn mir zu eigen gemacht und bis ins hohe Alter nicht bereut.

      Wie ich es erwartet hatte, saßen die beiden pares schon an dem Tisch, den Consuela nun ständig zu unserer Verfügung frei hielt und warteten ungeduldig auf mein Erscheinen. Sie wußten ja weder von der Nacht, die ich in der Bibliothek verbracht hatte, noch konnten sie wissen, warum ich mit Álvaro nach Palma gefahren, wie lange ich mich dort aufhalten und wann ich zurückkommen würde. Schon gar nichts wußten sie über den Grund der Fahrt, meine Enttäuschung über den geringen Erfolg oder die merkwürdige Erscheinung, die ich durchs Schaufenster der pastisseria beobachtet hatte.

      War es die Realität gewesen, die ich sah, oder eine unwirkliche Erscheinung? Projizierte ich die Vorstellungen, die sich in meinem Gehirn zusammenbrauten, ohne daß ich diesen Vorgängen willentlich Einhalt gebieten konnte, nun schon auf das Geschehen um mich herum? Sah ich eine Welt fern jeder Realität, nur, weil ich sie so sehen wollte? Hatte ich vielleicht den harmlosen capellà einer der unzähligen Kirchen Palmas in meinem Kopf zur Wiedergeburt einer Phantasie meiner Gedanken erklärt? Wollte ich all das? Mit Sicherheit nicht. Wenn ich es aber nicht wollte, wer oder was wollte es dann? Wenn es nicht mein eigener Wille war, dem ich unterlag, wem gehorchte ich dann? Ich befürchtete, langsam den Überblick zu verlieren und war froh, am Tisch die Freunde zu sehen, denen ich mich in meiner Verwirrung offenbaren, die ich um Rat und Beistand angehen konnte.

      Ein Glas Wein stand schon für mich bereit, ich kippte es, ganz gegen meine Gewohnheit und ohne Respekt vor der Kunst des Winzers, mit einem Zug in mich hinein, goß mir ein zweites Glas voll und tat es ihm gleich. Ich spürte, wie ich allmählich ruhiger wurde, das Zittern der Hände, das mich die ganze Fahrt von Palma herauf begleitet hatte, ließ nach, mein Herz schlug wieder in gleichmäßigem Takt. Schon als ich glaubte, die Schwäche überstanden zu haben, überkam es mich erneut und ich mußte meinen Kopf auf beide Hände stützen, damit er nicht auf die Tischplatte polterte. Eine derartige Situation hatte ich in meinen bisherigen zweiunddreißig Lebensjahren noch nicht durchstehen müssen. Meine beiden Tischgenossen schauten einigermaßen verunsichert drein, als wüßten sie nicht, wie sie sich verhalten sollten. Don Remigio faßte über den Tisch hinweg meine Schultern und sagte:

      „Was ist mit Ihnen widerfahren, Don Diego, Sie schauen so verzweifelt, als wäre Ihnen der Leibhaftige begegnet.“

      Er konnte nicht ahnen, wie nahe er der Wahrheit kam. Es war eine Situation entstanden, die nicht wenig Skurrilität in sich trug und als ich mir dessen bewußt wurde, mußte ich plötzlich so laut lachen, daß mir die Tränen über die Wangen liefen. Nun waren die Freunde endgültig desorientiert und schauten mich noch verwirrter an. Offensichtlich dachten sie, ich sei verrückt geworden und wiederum ahnten sie nicht, wie nahe sie damit meinem tatsächlichen Zustand kamen. Aber ich konnte ihnen ihr kritisches Urteil nicht verübeln, denn in der Tat mußte ein Außenstehender mein Verhalten mehr als merkwürdig bewerten.

      Nachdem ich mich wieder beruhigt hatte, erzählte ich den Gefährten meine Erlebnisse seit unserem letzten Zusammentreffen. Angefangen bei der vergangenen Nacht, die ich in der Bibliothek zugebracht hatte, meinen Fund von drei gebundenen Jahrgängen der deutschen Zeitung Die Gartenlaube und dem von Sinn her in diesem Zusammenhang unverständlichen Fischartikel, der dick mit dem Rotstift angestrichen war. Ich berichtete ihnen von meiner Fahrt nach Palma, den Nachforschungen nach Carl Vogt und Pierre Carbonnier in der Universitätsbibliothek, die Enttäuschung, außer einigen biographischen Anmerkungen nichts Wesentliches herausgefunden zu haben und dem anschließenden Besuch in der pastisseria.

      An dieser Stelle meines Berichts erschien Álvaro in der Bar, grüßte kurz zu unserem Tisch hinüber und begab sich dann an den seinen nahe der Küchentür. Es war nun schwierig für mich, weiterzuerzählen, denn von seinem Platz aus konnte Álvaro ohne allzu große Anstrengung alles mithören, was zwischen uns gesprochen wurde, wenn er es denn darauf anlegte. Das konnte ich nicht riskieren. Würden wir hingegen die Köpfe zusammenstecken und zu flüstern beginnen, wäre dieses Verhalten genauso auffällig, denn bisher hatten wir uns immer offen und ohne Rücksicht auf die Lautstärke miteinander unterhalten.

      Natürlich waren die Freunde gespannt, die Fortsetzung meiner Geschichte zu hören, zumal bis zu dieser Stelle noch nichts allzu Aufregendes passiert war, sieht man einmal von dem Fischartikel ab. Das bis dahin Geschehene rechtfertigte jedenfalls nicht meine Verwirrung und den desolaten nervlichen Zustand, den ich nach Eintritt in die Bar gezeigt hatte. Ich machte mit den Fingern Zeichen, bedeutete ihnen, den Bericht nach dem Essen in meinem Hause zu Ende zu bringen, doch sie verstanden die Kreise, Haken und Pfeile nicht, die ich auf die Tischplatte malte und hielten sie wohl für kryptische Zuckungen eines Nervenkranken. Um nun vor den beiden capellàs nicht als kompletter Idiot dazustehen, nestelte ich einen Stift aus meiner Jackentasche, kramte nach einem Stückchen Papier und schrieb eine kurze Nachricht über das, was ich mit meiner Hände Gestik nicht verständlich auszudrücken vermochte.

      Wir wechselten also in ein unverfängliches Gesprächsthema, Don Basilio, ein passionierter Blumenfreund, erzählte irgend etwas von seinen letzten Züchtungserfolgen, ich hörte nicht richtig zu oder erinnere mich wenigstens nicht mehr daran. Dann brachte Consuela das Essen, auch hieran fehlt mir jegliche Erinnerung, ich konnte schon eine Stunde später nicht mehr sagen, was ich zur Nacht gegessen hatte. Das kennzeichnet meinen Zustand wohl besser als es alles Beschreibende tun könnte. Endlich waren wir fertig, zahlten und gingen durch die nur schwach erleuchtete Carrer zu meinem Haus, wo wir uns in der Bibliothek zusammenfanden.

      Hier nun konnte ich zu guter Letzt meine Geschichte zu Ende erzählen und entnahm den Mienen meiner beiden Zuhörer die nachträgliche Bestätigung meiner eigenen Konfusion.

      Als ich geendet hatte, trat zunächst einmal Stille ein, die nur ab und an durch das Zischen eines Kerzendochts unterbrochen wurde.

      Dann fragte mich Don Remigio, ob ich mir meiner Sache ganz sicher sei oder doch eventuell die Möglichkeit in Erwägung zog, einer Verwechslung oder einer Sinnestäuschung aufgelaufen zu sein.

      „So etwas kommt häufiger vor, als