Nun setzte der Jubel ein. In unheimlicher Lautstärke nach der ängstlichen Stille zuvor. Auch die anderen drei Kampfrichter spendeten Applaus. Freunde und Bekannte von Fanir, der immer noch nicht wieder sehen konnte, strömten in die Arena, um ihn zu beglückwünschen und – wie üblich – auf Händen aus der Arena zu tragen. „Komm‘ nach der Siegesfeier in mein Zelt – ich muss mit Dir reden!“, sagte der Magae zu Fanir mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldete, bevor seine Freunde ihn erreichen konnten.
Am nächsten Morgen betrat Fanir das Zelt des Magae in aller Frühe. Auch wenn er erst am Nachmittag mit der Vorbereitung des nächsten Kampfes beginnen wollte, hatte er bis dorthin noch einiges zu erledigen. Der Magae saß an einem breiten Tisch aus einem sehr dunklen Holz, der einen guten Teil des großen Zeltes in Anspruch nahm. Er frühstückte gerade, wobei die Speisen, die auf dem Tisch standen, für ein Frühstück in den Bergen sehr ungewöhnlich waren. Fanir konnte nur Brot, Käse und buntes Obst entdecken. Das übliche Fleisch und Bier gab es nicht. Dafür stand eine große gläserne Karaffe mit einer schwarzen, dampfenden Flüssigkeit auf dem Tisch. „Herzlich Willkommen, Fanir. Ich freue mich, dass Du so schnell zu mir kommen konntest. Setz Dich doch bitte!“, sagte der Magae. Fanir trat langsam an den Tisch und setzte sich auf den freien Stuhl gegenüber dem Magae. Er hatte nach wie vor ein ungutes Gefühl, weil er während des Kampfes am Vortag – wenn auch nicht mit Absicht – Magie eingesetzt hatte. Er betrachtete den Magae zum ersten Mal genauer. Er war mit dem für Magae üblichen grauen Mantel bekleidet, der jedoch fast neu aussah und außergewöhnlich sauber war. Die Kapuze hatte er nicht über den Kopf gestülpt, so dass Fanir sein Gesicht unter den pechschwarzen Locken betrachten konnte. Es war von langen Aufenthalten im Freien dunkel gebräunt und dieses Braun stand in einem starken Kontrast zu den hellblauen, klaren, aber auch kalten Augen, deren Farbe an einen Bergsee in hellem Sonnenlicht erinnerte. Seine Züge waren trotz der vielen Falten sehr fein geschnitten und vermittelten einen intelligenten und äußerst wachen Eindruck. Wegen der Falten, die sich durch häufiges Lachen in sein Gesicht gegraben hatten, wirkte er trotz der eher kalten Augen überaus freundlich auf Fanir. Um seinen Hals trug er über dem Mantel eine einfache, aber fein gearbeitete Halskette, an deren Ende ein blauer Kristall angebracht war, der hervorragend zu der Farbe seiner Augen passte. Fanir wusste nicht, wer dieser Magae war und wo er her kam. „Guten Morgen“, eröffnete Fanir das Gespräch. „Ich bin Euch äußerst verbunden, wenn Ihr mir Euren Namen nennt! Ich möchte gerne erfahren, mit wem ich mich nun unterhalten werde.“ Der Magae lächelte freundlich. „Du bist forsch für einen dreizehnjährigen Jungen. Nicht viele Deines Alters haben den Mut, einen Magae anzusprechen und darüber hinaus auch nach seinem Namen zu fragen. Um Deine Frage zu beantworten: Mein Name ist Gandaros. Und ich werde Dir nun einiges mehr über mich, aber auch einiges über Dich selbst erzählen.“ Fanirs Gedanken rasten. Der Name Gandaros war auf ganz Tarris bekannt. Er galt als einer der ältesten Homuae, die noch lebten, und vereinte angeblich das Wissen der alten mit dem der neuen Zeit. Er war derjenige, der den Geschichten nach zu Zeiten seines bekannten Vorfahren Farnos den Bund der Magier von Tarris ins Leben gerufen haben soll.
„Du schaust verblüfft. Daher nehme ich an, dass Du meinen Namen schon einmal gehört hast“, sagte Gandaros. Fanir antwortete nicht, sondern blickte weiterhin erstaunt den Magae an. „Nun, dies wird ein sehr einseitiges Gespräch, wenn Du Dich entschließt, meine Fragen nicht zu beantworten und nichts mehr sagen möchtest. Erzähle mir doch bitte, was Du über Deinen Vorfahren Farnos und über die Geschichte Deiner Familie, das Vandor-Geschlecht, bisher erfahren hast.“ Fanir war verblüfft. Er wusste zwar, dass er aus einer Familie stammte, die vor langer Zeit über viel Einfluss verfügte und dass einer seiner Vorfahren ein König gewesen sein soll, dass er jedoch von Farnos abstammen sollte, hatte er noch nie gehört. Auch sein Vater hatte hierüber kein Wort verloren. „Wie kommt Ihr darauf, dass Farnos ein Vorfahre von mir sei? Selbst mein Vater hat dies nie erwähnt.“ „Nun, dies ist einfach zu erklären. Farnos war ein sehr guter Freund von mir und wir wechselten gemeinsam von der alten in die neue Zeit. Wir verbrachten gemeinsam einen sehr, sehr langen Zeitraum als enge Gefährten und Verbündete. Während er sich um Politik und Krieg bemühte, befasste ich mich mit den neuen Künsten, die es seit dem Übergang vom alten in das neue Zeitalter gibt.“ Gandaros blickt sehr traurig. „Wenn er nicht heimtückisch ermordet worden wäre, wären wir wahrscheinlich heute noch Gefährten.“ „Ihr, Ihr … Ihr müsst unglaublich alt sein – wie ist das möglich?“ Gandaros blickte Fanir lange in die Augen und sagte: „Es liegt an der Magie. Wenn man sich sehr, sehr eng mit ihr einlässt, die nötige Befähigung hat und eine gute magische Ausbildung erhält, altert man kaum noch. Aber man hat einen Preis dafür zu zahlen. Aber darüber berichte ich Dir vielleicht ein andermal.“ „… und wie kommt es, dass Ihr mich kennt? Ich habe Euch gestern beim Wettkampf das erst mal gesehen!“ Gandaros blickte nachdenklich. „Als Farnos in meinen Armen starb, bat er mich, auf seine Nachkommen zu achten, solange ich lebe. Selbstverständlich erfüllte und erfülle ich diesen, seinen letzten Wunsch. Seit fast 2.000 Jahren versuche ich, Deine Familie zu schützen. Leider kann ich nicht immer bei Euch sein, da ich auch viele andere Aufgaben habe. Ich war sehr unglücklich, als ich erfuhr, dass Dein Vater gestorben ist. Ich kannte ihn sehr gut. Was genau ist passiert? Warum starb er?“
Fanir unterdrückte die Tränen, als er an die letzten Momente dachte, die er mit seinem Vater verbringen konnte. Sie waren gemeinsam in den Wäldern unterwegs gewesen; es war früher Morgen. „Wir waren auf der Jagd. Es war erst mein zweiter Jagdausflug und Vater brachte mit das Bogenschießen bei. Wir hatten noch keine Rehe gesehen und ich versuchte, auf einen weit entfernten Strohballen zu schießen, der noch von der letzten Ernte übrig geblieben und vergessen worden war. Obwohl es schon Herbst war und die Bäume bunte Blätter hatten, war es ein warmer Morgen. Vater machte sich über mich lustig, weil ich kaum bis zu dem Strohballen schießen konnte. Er war zu weit entfernt für mich. Da hörten wir auf einmal dieses Schnattern und Klappern.“ Die Augenbrauen von Gandaros zogen sich in die Höhe, als wisse er, was nun passieren würde. „Sie kamen von allen Seiten, es waren mehr als zehn. Vater zog sofort sein Schwert. Sie sahen aus wie riesige Termiten, fast so groß wie ein großer Hund, und griffen meinen Vater von allen Seiten gleichzeitig und ohne zu zögern an. Er kämpfte wie ein Wilder, aber er hatte keine Chance. Auch wenn er sehr stark und ein hervorragender Schwertkämpfer war, konnte er kaum eines dieser Tiere verletzten. Ihre Panzer waren zu hart. Er schrie mir zu, ich solle um mein Leben laufen – so schnell und solange ich nur könne. Ich zögerte erst und sah ihn blutüberströmt zusammenbrechen. Die Tiere hatten sichelförmige Kiefer und bissen immer weiter auf ihn ein. Da rannte ich los. Nach einigen hundert Schritten blieb ich stehen und sah mich um, um zu schauen, ob Vater es doch noch geschafft hätte. Dies war ein Fehler. Zwei Termiten hatten mich verfolgt und waren kurz hinter mir. Sofort rannte ich weiter und spürte kurz darauf einen heftigen Schmerz im Bein. Eines der Tiere hatte mich erwischt und hing an meinem Bein. Da geschah es das erste Mal …...“
Wieder zuckten die Augenbrauen von Gandaros in die Höhe. „Was ist passiert? Wie bist Du entkommen? Fanir zögerte. Er hatte noch nie zu jemandem darüber gesprochen. Und Gandaros war eigentlich ein Fremder, den er erst gestern das erste Mal gesehen hatte. „Was ist passiert?“, wiederholte Gandaros; er klang fast schon ungeduldig. „Auf einmal spürte ich diese Wärme. Sie strömte aus meinem Brustkorb in meinen ganzen Körper. Die Schmerzen, die durch den Biss verursacht worden waren, verschwanden fast augenblicklich und ich fühlte mich so gesund und stark wie nie zuvor in meinem Leben. Ich riss an den Zangen des Tieres, mit denen es mich gepackt hatte und brach sie aus dem Kopf heraus. Sofort rannte ich weiter. Ich rannte so schnell und so lange wie nie zuvor in meinem Leben und hielt erst an, als ich eine Straße erreichte, auf der ein Planwagen fuhr. Sie brachten mich zurück nach Hornstadt. Vater kam