Himmelslandtourist. Henny Frank. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Henny Frank
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742756701
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weg hier…

      Als ich mich endlich außer Sichtweite wähne, bleibe ich stehen und krame die Mütze aus meiner Jackentasche hervor. Hektisch ziehe ich die Kapuze runter, setze die Mütze auf und anschließend die Kapuze noch zusätzlich drüber. Ich bin völlig aufgelöst. Der Regen vorhin auf dem

      Kopf war so schön, dass ich fast vergessen hatte, warum ich überhaupt ständig Mütze, Tuch oder Kapuze trage.

      Ich achte sonst immer sehr darauf, dass mich bloß niemand mit diesem hässlichen kahlen Kopf sieht - noch nicht mal meine Eltern.

      Vielleicht übertreib ja ich ein wenig, aber ich finde mich wirklich extrem hässlich, viel schlimmer als je zuvor.

      Bis vor zwei Monaten hatte ich ja wenigstens noch Haare, doch als ich wegen dieser Leukämie mit der ersten Chemotherapie angefangen hab, sind sie mir nach ein paar Wochen alle ausgefallen.

      Na ja, das heißt, die ersten Büschel fielen von allein aus, doch nachher hab ich den Vorgang ein wenig beschleunigt.

      Von Freiwilligkeit kann aber trotzdem keine Rede sein.

      Viel mehr war es so, dass ich ja wusste, dass ich die Haare sowieso verlieren würde und ich konnte ihren immer dünner werdenden Anblick nicht ertragen. Das noch verbliebene Haar wirkte trocken und strohig; wie Zuckerwatte irgendwie, und allmählich schimmerte auch jenseits der kahlen Stellen überall die Kopfhaut durch. Im Ernst, ich hatte ausgesehen, wie die Leute in diesen Atomkriegsfilmen, nachdem die Strahlenkrankheit bei ihnen ausgebrochen ist. Hinzu kam noch so ein fieser Juckreiz.

      Meine Haare waren zwar nicht lang, aber kurze Haare oder gar keine, das ist doch noch ein ziemlicher Unterschied.

      Außerdem hatte ich gerade beschlossen die Haare endlich wachsen zu lassen.

      Dann aber kam die Leukämie und so sehe ich jetzt aus.

      Die Wimpern und Augenbrauen fehlen mir übrigens auch schon.

      Die fallen nämlich ebenso aus; also zuerst die Haare auf dem Kopf und dann nach und nach alle anderen. Meiner Erfahrung nach ist das jedenfalls so. Am Körper sind mir zwar noch nicht alle Haare ausgefallen, aber das wird wohl noch passieren.

      Vor einiger Zeit hab ich mal gelesen, dass es Leute gibt, denen die Haare bei ner Chemotherapie überhaupt nicht ausfallen. Weder auf dem Kopf, noch sonst wo, aber ich denk mal, die meisten haben da weniger Glück.

      “Bei mir ist alles ausgefallen”, hat Paul mir bestätigt,

      “aber das geht wohl fast allen so und ehrlich gesagt glaub ich noch nicht mal, dass das unser größtes Problem ist…“

      Paul hab ich auf der Station kennengelernt. Eines Tages gingen wir beide über den Gang und plötzlich standen wir uns gegenüber.

      Na?”, hat er mich gefragt. “Wo hast dus?”

      “Was?”, war meine dämliche Antwort - aber so bin ich nun mal.

      “Was wohl, Krebs”, meinte Paul.

      Er schien aber gar nicht ungeduldig zu werden, wegen meiner Begriffsstutzigkeit, sondern eher so angelustigt.

      “Ach so der”, murmelte ich und wurde rot. “Im Blut.”

      Paul nickte. “Ich auch. Akut oder chronisch?”

      “Akut.”

      Paul nickte wieder. “Klar”, hatte er gemeint, “chronisch kriegen ja auch meistens eher die Alten.”

      Er zupfte an seinem T-Shirt herum. “Lymphatisch oder myeloisch?”, fragte er dann weiter.

      “Myeloisch. Und du?”

      “Lymphatisch. Kinderkrebs also.” Paul grinste.

      Ich zuckte mit den Schultern. “Ja - aber was soll’s. Ätzend sind sie alle beide.”

      Da musste er mir Recht geben - und das hatte ich auch.

      Ich erklär Euch den Unterschied zwischen lymphatisch und myeloisch, später, okay? Mir ist das jetzt zu langweilig und ich wollte ja auch nur mal schnell erklären, wie ich Paul kennengelernt hab.

      Ich finde allerdings, dass ich ohne Haare noch mehr ausseh, als ob ich Krebs hätte und das will ich nicht. Zwar hab ich den ja wirklich - aber muss man mir das gleich so ansehen? Nahezu gedemütigt fühl ich mich und genau das hab ich eben bei der Begegnung mit diesem Mann besonders deutlich gespürt.

      Ganz bestimmt hat Paul aber Recht, wenn er sagt, dass der Haarausfall eins der geringeren Probleme ist. Verglichen mit dem Vernichtungsgefühl, der Ohnmacht und der Todesangst ist das nämlich tatsächlich nichts.

      Nein, dieser Haarausfall ist bloß ne Nebenwirkung der Chemotherapie - und bei weitem nicht die einzige.

      So hab ich zum Beispiel oft ganz furchtbare Magenschmerzen.

      Die Schleimhaut hat sich abgelöst und ich bekomm nur noch Schonkost. Im Moment ist das allerdings nicht so schlimm. Ich kann sowieso nichts schmecken und das ist auch wieder so ne Nebenwirkung von dieser Chemokeule.

       Chemokeule - na ja, die Dosierung war eher mittelstark.

      Ich ziehe die Kapuze fester.

      Wisst Ihr, wenn ich sterben sollte, dann will ich aber trotzdem,

      dass meine Haare wenigstens wieder etwas nachgewachsen sind…

      Ein paar Zenitmeter bloß.

      Tut uns leid, werden die Ärzte eines Tages vielleicht zu mir sagen,

       wir können nichts mehr für dich tun. Die Therapie schlägt nicht mehr an, einen Knochenmarkspender haben wir auch nicht und wir wissen derzeit nicht, was den Krebs jetzt noch unter Kontrolle bringen könnte…

      Der Leukozytenwert steigt ins Unermessliche…

      70, 80, 100, 150, 200...

      Und ich bin tot.

      In der Zeit davor gibt’s keine Behandlung mehr und meine Haare können wieder wachsen. Was für ein Glück, denn auf keinen Fall will ich mit diesem kahlen Kopf von der Welt gehen.

      Vielleicht ist so was egal - ich will das aber nicht.

      Keine Ahnung, warum nicht, es ist ein rein persönliches Empfinden.

      Ich starre auf den Auengrund vor mir.

      Diese verdammte Leukämie… Wie satt ich das alles hab.

      Ich seufze und da auf der Wiese noch immer kein Rotwild zu sehen ist, beschließe ich, mich nun auf den Rückweg zu machen.

      Es regnet nicht mehr, doch das ist mir egal. Ich fühle mich nur noch schlapp und außerdem fand ich den Regen vorhin ja so schön.

      Ich mache kehrt und gehe zurück zum Parkcafe, wo meine Eltern auf mich warten.

      I. 2.

      Ich muss Euch jetzt noch erzählen, dass Ihr mich eben im Park ohne meinen MP3-Player, also ohne Musik, angetroffen habt.

      Das ist wirklich ne Erwähnung wert, denn sonst gehe ich nie ohne dieses Teil aus dem Haus.

      Heut aber hab ich Trottel ihn liegen lassen…

      Wisst Ihr, ich kann höchstens drei Stunden hintereinander ohne Musik sein. Sonst bekomm ich Entzugserscheinungen und mein seelischer Zustand verschlechtert sich dramatisch.

      Leider bin ich selbst überhaupt nicht musikalisch.

      Ich hab kein Taktgefühl, kann kein Instrument spielen oder singen und zum Komponieren taug ich auch nicht.

      Dieses Unvermögen hält mich aber nicht davon ab, Musik über alles zu lieben.

      Bei