Himmelslandtourist. Henny Frank. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Henny Frank
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742756701
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warf mir durch die Luft eine Kusshand zu.

      “Ich muss jetzt zurück…” Damit wandte er sich ab, kletterte über den Zaun und verschwand im Dickicht des Schwarzerlenwaldes.

      Als ich erwachte, konnte ich mich mit solcher Deutlichkeit an den Traum erinnern, dass ich mir - wie bei dem Jesus-Traum - nicht sicher war,

      ob ich überhaupt bloß geträumt hatte.

       So real erschien mir alles…

      Mittlerweile ist es Nachmittag und es ist keinesfalls so, dass der Traum allmählich zu verblassen beginnt, wie Träume es doch sonst so oft tun. Nein, ich sehe noch immer alles klar und deutlich vor mir, und ich weiß noch genau, dass ich genickt hab, als Paul zu mir meinte, dass ich unbedingt mit der Geschichte weitermachen soll.

      Das werde ich auch tun.

      Morgen steht erst mal eine Knochenmarkpunktion an und bereits heute wurde mir Blut abgenommen.

      Da ich ja diesen Hickman- Katheter eingesetzt bekommen hab, bekomm ich so wenigstens nicht noch andauernd Spritzen.

      Ich gehe gerade durch den Krankenhauspark und während ich hier rumschlendere, muss ich die ganze Zeit daran denken, dass Paul morgen Geburtstag hat.

       Wie seine Freunde und seine Familie diesen Tag, wohl verbringen werden…

      Ich hab keine Ahnung, aber ich kann mir nur zu gut vorstellen, dass dies ein sehr trauriger Geburtstag für sie werden wird.

       Nein, mehr noch; ich weiß es. Und für mich selbst wird es das auch.

      Letzten Monat hatte ich selbst ja Geburtstag und da war mir auch nicht nach Feiern. Mit wem auch…

      Aus diesem Grund hab ich meinen Geburtstag schon seit Jahren nicht mehr gefeiert und nun ist es ja nicht so, dass sich meine Situation gebessert hätte.

      Meine Eltern haben alles versucht, um mir den Tag so schön wie möglich zu machen. Wir waren im Fasa-Park und außerdem hab ich total viel Musik geschenkt bekommen.

      Auch auf der Station waren alle sehr nett zu mir. Ich kam aber nicht umhin, die ganze Zeit daran zu denken, ob ich meinen nächsten Geburtstag wohl auch noch erleben werde - oder ob dies hier mein letzter ist. Wird es auf einmal so schlimm mit mir, dass die Krankheit explodiert, keine Chemotherapie mehr hilft, sie auch bei mir keinen Spender finden und alles innerhalb kurzer Zeit vorbei ist?

      Oder krieg ich meinen soundsovielten Zyklus, der mich zwar nicht krebsfrei macht, aber wenigstens die Verbreitung der Blasten eindämmt?

      Oder werde ich wieder gesund? (Sollte vermutlich Remission heißen.)

      Und interessiert mich das alles überhaupt (noch)?

      Oder ist es mir (jetzt schon) egal…

      Ich hab keine Ahnung, und jetzt, ohne Paul, stehe ich ohnehin dem Tod plötzlich reichlich reserviert gegenüber.

      Suspekt ist er mir zwar nach wie vor, doch ich will nicht länger solche Angst vor ihm haben.

      An manchen Tagen gelingt mir das auch, dann komm ich mir stark und gefasst vor. Manchmal hab ich sogar göttlichen Beistand.

      Zumindest wenn ich mich darauf einlassen kann und seit diesem Traum mit Jesus kann ich das jetzt hin und wieder sogar.

      O Mann, ohne ihn wäre das alles echt noch weniger zu ertragen…

      Meine Eltern glauben nicht an Gott, doch wenn ich jetzt damit anfange, widersprechen sie mir nie.

      Vermutlich denken sie, naja, wenn es ihm hilft, oder so, und es ist ja auch so, dass es mir tatsächlich hilft.

       Manchmal wenigstens…

      Aber wisst Ihr, ich zweifle auch nach wie vor.

      Ich hab jetzt meine Bank unter der Buche erreicht und zum Glück ist sie nicht besetzt.

      Heute ist der 17. März, doch der Winter dauert in diesem Jahr ziemlich lang. Die Luft ist eiskalt und der Himmel über mir mit dichten grauen Schleiern bedeckt - gleich wird es wieder schneien.

      Ich drücke die Mütze fester auf meinem Kopf. Darunter trage ich Pauls Tuch. Ich muss es ständig bei mir haben, denn dann hab ich das Gefühl, dass auch ein greifbarer Teil von ihm noch immer bei mir ist.

       Du kannst das doch verstehen, Carsten?

       Ja, das kannst du.

       Zwar hast du kein Tuch von deiner Mutter, dafür aber ein kleines Kreuz an einer silbernen Kette.

       Seit nun mehr zwölf Jahren trägst du es bei dir und du bist so froh, dass du es nicht verloren hast.

      Das ist nämlich keinesfalls so selbstverständlich, wie ich Euch jetzt erzählen werde.

      Carsten war damals acht Jahre alt und trug das Kreuz in seiner Hosentasche bei sich.

      Manchmal, wenn er sich unbeobachtet fühlte, zog er es hervor und sah es sich an. Dieser Anhänger an der Kette war alles, was ihm aus Ungarn und von seiner Mutter geblieben war.

      Bis auf ein paar Klamotten waren alle seine Sachen dort geblieben und als Carsten älter wurde, fragte er sich manchmal, was wohl aus ihnen geworden war.

      Nun aber stand er als Achtjähriger in einer einsamen Ecke des Grundstücks, dem so genannten Schulgarten, der ohne Begleitung der Lehrer von den Schülern eigentlich gar nicht betreten werden dufte.

      Carsten wollte aber allein sein und als er schließlich vor den Blumen-, Gemüsebeeten und dem kleinen Erdbeerfeldchen stand, zog er sein Kreuz aus der Tasche hervor.

      Er wähnte sich allein, doch plötzlich hörte er hinter sich ein Geräusch und im nächsten Moment versetzte ihm jemand einen Stoß, so dass er einen Schritt nach vorne stolperte. Erschrocken fuhr Carsten herum.

      Vor ihm standen Heiko und Thomas.

      Während seiner Grundschulzeit waren sie für Carsten in etwa das,

      was später dieser Marcel Sigel mit seiner Clique werden sollte.

      Lauernd sahen sie die Beiden ihn an.

      “Na - was haben wir denn da?”

      Carsten antwortete nicht. Stattdessen versuchte er, den Anhänger und die Kette wieder in seiner Hosentasche verschwinden zu lassen, doch

      die Beiden hatten ja bereits gesehen, dass er irgendwas in er Hand hielt.

      Heiko schnappte auch prompt danach und wollte ihm die Kette fortreißen. Carsten hielt den Anhänger fest; niemals würde er den freiwillig hergeben.

      “Nun rück schon raus!”, forderte Heiko und versuchte, Carstens Finger auseinander zu drücken.

      Carsten verkrampfte förmlich, doch dieser Heiko war viel stärker als er. Schließlich gelang es ihm, Carstens Griff zu lösen und bekam einen Teil der Kette zu fassen. Er zog kräftig daran und die Kette riss.

      Heiko warf einen oberflächlichen Blick auf die kleinen silbernen Ösen in seiner Hand. Dann warf er sie achtlos auf das Ranunkelbeet vor sich und packte anschließend mit harten Griff wieder nach Carstens Hand.

      Der starrte entgeistert auf die zerrissene Kette.

      Heiko presste Carstens Hand auseinander und der hatte diesem erneuten Anflug von grober Gewalt nichts mehr entgegenzusetzen.

      Seine schmerzenden Finger gaben nach und das Kreuz lag frei.

      Sofort riss Heiko es an sich.

      “Ach wie hübsch.” Verächtlich sah er Carsten, der wie versteinert stand, an. “Und wegen dem Ding machst du so viel Theater? Guck mal, Thomas, wie der jetzt aus der Wäsche guckt!“

      Die Beiden lachten. Dann