Tahiti. Gerstäcker Friedrich. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gerstäcker Friedrich
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783754103715
Скачать книгу
ion>

      Gesammelte Schriften

      von

      Friedrich Gerstäcker.

      Neunzehnter Band.

      Volks- und Familien-Ausgabe.

      T a h i t i.

      Jena,

      Hermann Costenoble.

      Ausgabe letzter Hand, ungekürzt, mit den Seitenzahlen der Vorlage

      Gefördert durch die Richard-Borek-Stiftung und Stiftung Braunschweigischer Kuilturbesitz

      Friedrich-Gerstäcker-Gesellschaft e.V. und Edition Corsar, Braunschweig, 2020

      Herausgegeben von Thomas Ostwald nach der von Friedrich Gerstäcker

      eingerichteten Textausgabe für H. Costenoble

      Geschäftsstelle: Am Uhlenbusch 17, 38108 Braunschweig

      Alle Rechte vorbehalten! © 2016 / © 2021

      1.

      Der Walfischfänger.

      Von einem leichten Ostpassat getrieben, dazu die Obersegel fest, ja sogar noch mit einem Reef im Kreuzsegel, der vor einigen Abenden hineingenommen, und den man sich gar nicht die Mühe gegeben hatte wieder auszustechen, kam ein schwerfälliges, schmutzig aussehendes Schiff langsam bei dem Winde nach Süden herunter und näherte sich einer in der Ferne eben sichtbar werdenden kleinen hohen Insel der Cooksgruppe.

      Schon die großen fettigen Stellen in den Segeln, auf denen die Leute, nach dem Thranauskochen, beim Reefen allabendlich gelegen, verriethen den Walfischfänger, hätten ihn nicht auch die an besonderen Krahnen zu beiden Borden aufgehangenen und noch auf Querstützen über Deck besonders gehaltenen Boote als solchen dargethan. Andere Fahrzeuge besuchten auch selten diese Gewässer, und selbst die Walfischfänger nur in diesen Monaten Januar und Februar, ehe sie wieder mit anbrechendem Frühling nach Norden aufgingen, die einträglichere, wenigstens ergiebigere Jagd der „rechten Walfische" der der Spermacetis vorzuziehen. Es war diesmal aber noch ziemlich früh in der Jahreszeit, und der Delaware, wie der Walfischfänger getauft worden, hatte im Anfang beabsichtigt Tahiti anzulaufen. Durch den starken Ostpassat aber und die klein geführten Segel, wie mit der /6/ starken Aequatorialströmung gegen sich, zu viel nach Westen versetzt, mußte er erst wieder nach Süden hinunter, etwas mehr in die Region der veränderlichen Winde zu kommen, oder auch vielleicht einen der dann und wann einsetzenden Westwinde zu benutzen, und beschloß jetzt nur die erste in Sicht befindliche Insel anzulaufen, um einige Erfrischungen und vielleicht etwas Holz einzunehmen.

      Das Wasser zwischen diesen Inseln ist übrigens, häufiger Riffe wegen, den Schiffen oft gefährlich, und die mit den Localitäten nicht sehr gut vertrauten Fahrzeuge machen, wenn sie in solchen Gruppen nichts zu thun haben, lieber einen ziemlich bedeutenden Umweg, sie zu umgehen, als daß sie sich leichtsinniger Weise hineinwagen. Mit einem Walfischfänger ist das aber ganz etwas Anderes; er versäumt, sobald er sich erst einmal auf seinem Jagdgrund befindet, keine Zeit mehr, denn wenn er segelt, hat er die Möglichkeit ebenso auf seiner Seite, daß er von den Fischen weg, als ihnen gerade entgegenläuft, und wenn er still liegt, kann er eben so gut eine ganze „school" versäumen, die vielleicht dort vorübergeht, wo er hätte sein können, als die auf ihn zukommenden, gerade wie auf der Lauer, abfangen. Das Ganze ist Glückssache und dem Bürschen auf Rothwild in einem fremden Walde nicht unähnlich. Kommen diese Walfischfänger also an solche Stellen, so suchen sie, ehe es dunkel wird, hinter irgend eine kleinere Insel oder Riffbank zu laufen, wo sie entweder Ankergrund oder Raum zum Kreuzen haben, und treiben dort die Nacht herum, bis ihnen die aufsteigende Sonne wieder ihre Bahn beleuchtet.

      Gerade mit Sonnenuntergang war denn auch der Delaware bis westlich von Atiu, einer nicht ganz unbedeutenden Insel, gekommen, und der Capitain wäre gern die Nacht vor Anker gegangen. Die Stellen aber, die er untersuchte, waren überall, bis fast dicht an die schäumenden Riffbänke, so tief, daß er sich nicht der Gefahr aussetzen mochte, so nahe unter dem bösartigen Ufer von einem der hier oft sehr rasch eintretenden Weststürme überrascht zu werden. Er ließ also die Segel dicht reefen und kreuzte (eben nicht zum Vergnügen /7/ der Mannschaft, die sechs- bis achtmal in der Nacht mit dem Schiff herum mußte) in Lee der Insel auf und nieder.

      Capitain Lewis kümmerte sich übrigens den Henker darum, ob er seinen Leuten damit einen Gefallen that oder nicht. Er und sie standen, wie man's am Lande nennen würde - „auf Hofton" mit einander - d. h. er sprach, seit einigen auf den Sandwichsinseln stattgehabten Auftritten, nur sehr höflich mit ihnen und nannte sie, wenn er sie zu einer Arbeit im Einzelnen aufforderte, gewöhnlich Mister, und if you please, mit starker Betonunng des letzten Wortes, aber mit einem Blick dabei, der deutsch genug sagte: „Wenn Du nicht springst, Canaille, zu thun, was ich Dir sage, so laß ich Dich bei den Beinen aufhängen".

      Er, zum Dank dafür, hieß bei den Leuten, statt wie sonst gewöhnlich „der Alte" (the old man), nur „the old devil" (der alte Teufel), und wußte das auch recht gut. Ja es schien ihm ordentlich Spaß zu machen, daß er so genannt wurde, und er hatte seiner Mannschaft schon mehrmals versichert, er wolle sich bemühen, seinem Namen keine Schande zu machen; welches Versprechen er auch bis jetzt redlich gehalten.

      Die Mannschaft eines Schiffes ist in solchen Fällen übel dran. -Widersetzt sie sich, so ist es Meuterei, und sie wird darnach bestraft, mögen die Leute Recht haben oder nicht, und halten sie auf der andern Seite aus bis zu Letzten und verklagen nachher den Capitain, so ist Zehn gegen Eins zu wetten, daß dieser dennoch Recht bekommt. In sehr vielen Fällen hat er's aber auch, und es giebt wohl auf keinen Fahrzeugen der Welt, Kriegsschiffe vielleicht ausgenommen, toller zusammengewürfeltes Volk, als auf diesen Walfischfängern. Ein ordentlicher Matrose geht selten oder nie darauf, es ist meist lauter aufgelesenes Ufervolk, die faul genug sind ihre eigene Arbeit bei Seite zu werfen, und Romantik genug im Kopfe haben, sich von einem „Walfischzug" ein ganz besonderes Vergnügen und außerdem einen bedeutenden Nutzen zu versprechen. Die guten Leute sehen dann gewöhnlich immer etwas zu spät ein, daß sie sich in der ersten Erwartung jedesmal, und nur zu häufig in der andern ge-/8/täuscht haben, und sie sind dann eben einmal und nicht wieder Walfischfängcr gewesen. Fast jedes neu ausgehende Schiff hat deshalb, die Officiere ausgenommen, auch eine durchaus neue Besatzung.

      Schuster und Schneider, besonders die letzteren, sieht man sehr häufig dabei; Tischler und Maurer, Schmiede und Böttcher, Gerber und Cigarrenmacher - alles wird Walfischfänger, und der Capitain eines solchen Fahrzeugs hat dann oft, wie sich nicht leugnen läßt, eine entsetzliche Zeit, dies Volk, von dem er vorher weiß, daß es doch nur eine Reise bei ihm aushält - ja schon an den nächsten Plätzen, wo er anlegt, fortläuft, wenn er ihnen nur Gelegenheit dazu gäbe, so weit einzurichten, daß sie wenigstens erst einmal verstehen lernen, was sie nur überhaupt zu thun haben. Dies sie nachher wirklich thun zu machen, hat schon weniger Schwierigkeiten. Kommen nun ordentliche, ruhige Menschen manchmal zwischen diese hinein - d. h. die Mannschaft, denn die Officiere, vom Bootsteurer aufwärts, bilden ein ganz besonderes, abgeschlossenes Corps - so fühlen sich diese gewöhnlich höchst unglücklich und verwünschen den Augenblick, wo sie sich von der Romantik der Sache bethören ließen - aber leider zu spät, und die viertehalb Jahre, die eine solche Fahrt sehr häufig dauert, werden ihnen zur Hölle.

      Doch zurück an Bord unseres Fahrzeugs. Zum Ausschauen auf der Back vorn stand ein junger Mann, dessen edle, fast schöne Gesichtszüge wie der schlanke, schmächtig gebaute Körper wohl passender für einen Salon als das Vorcastle eines Walfischfängers geschienen hätten. Das volle braune Haar quoll ihm in dichten Massen unter der breiten schottischen, dunkelblauen Mütze vor, und seine reinliche Kleidung selber unterschied ihn auffällig von der übrigen, besonders in diesem Punkt höchst nachlässigen Schaar. Es war ein junger Franzose aus sehr guter Familie, der sich in Boston, mehr einer tollen Laune oder ziellosen Reiselust zu Liebe als aus irgend einer andern Ursache, hatte verleiten lassen, an Bord des Delaware eine Reise nach der Südsee mitzumachen, und der jetzt still und brütend nach dem nahen /9/ Lande hinüberschaute, das mit dem dunkeln Schatten seiner Palmen in träumerischer Ruhe vor ihm lag.

      „Nun, René, so in Gedanken?" sagte plötzlich neben ihm eine freundliche Stimme, und eine Hand berührte leise seine Schulter - „an was denkst Du?"

      Der