Ich habe Glück und werde nicht sofort, wie die anderen Touristen, auf dem Prado, der Treffpunkt der Busse, Oldtimertaxen und Cocos ist, von einer Traube Kindern und Erwachsener umringt und bedrängt.
Aus einigen Metern Abstand verfolge ich das Schauspiel und beobachte, wie Dinge wie Kugelschreiber, Kosmetikprodukte und andere Kleinigkeiten den Besitzer wechseln.
Dass die Leute diese Dinge nicht für sich persönlich wollen, sondern damit ihren Lebensunterhalt aufbessern, indem sie die Sachen weiterverkaufen, ist hier nichts Anstößiges. Schließlich musste jeder sehen, wo er bleibt.
Letztendlich werde auch ich umringt, als ich am späten Nachmittag von meiner Besichtigung aus dem Gran Teatro komme. Vorsorglich habe ich Dinge wie Kugelschreiber, eine größere Mengen an Proben in Form von Cremes, Shampoos und Duschgels, Zahncreme, Parfüm sowie kleine Tütchen Haribo und Mambo eingesteckt, die ich jetzt weiterreiche.
Ich gehe an einem Verkaufsstand vorbei, der nur aus einem einfachen Holztisch besteht und auf dem drei Bananenstauden ausgebreitet sind. Wieder wird mir bewusst, dass auch dies ein Zeichen von Armut ist und von Improvision.
An einem Souvenirladen bleibe ich stehen und besehe mir das Angebot: Panamahüte, Trommeln, Sonnenbrillen, Rasseln, Ketten, Autokennzeichen, Poster und Bilder von Ernesto „Che“ Guevara und Fidel Castro, Fahnen, Puppen.
Ich gehe weiter, ohne etwas gekauft zu haben.
-----
Es ist inzwischen früher Abend geworden.
Ich schlendere durch die engen Gassen und setze mich in die Bar „El Floridita“, wo einst schon Ernest Hemingway gerne einkehrte.
Ich wähle vorerst das hauseigene Restaurant, um meinen Magen zu füllen, bevor ich mich für einen Drink in die Bar begebe.
Obwohl Cuba Libre mein Favorit bei den Cocktails ist, bestelle ich mir einen Daiquiri und später noch einen Mojito, der ja schließlich als das Nationalgetränk Kubas gilt.
In die Raucherlounge werfe ich nur kurz einen Blick. Zigarren sind nicht so mein Geschmack.
5
Am nächsten Morgen mache ich mich abermals auf den Weg zu Carlos.
Meine Hände schwitzen.
In meinem Magen rumort es. Mir ist richtig gehend schlecht.
Was, wenn seine Mutter ihn wieder verleugnet und mich wegschickt? Was würde ich dann tun?
Ich steige die Treppe bis in den dritten Stock hoch, klingle und harre der Dinge, die da kommen.
Doch es kommt nichts.
Ein Blick durch den Türspion hatte meine Wiederkehr sicher schon verraten.
Ich lege meinen Kopf an die schwere Holztür.
Doch dieses Mal dringt kein einziges Geräusch von innen zu mir.
Wohl oder übel habe ich heute wieder kein Glück.
Es scheint niemand zu Hause zu sein.
Ich überlege kurz und krame in meiner Handtasche, suche nach einem Stift. Doch ich kann ihn nicht finden. Dann erinnere ich mich, den hatte ich am Vortag den Bettelnden am Capitolio gegeben.
Mein Unterfangen, Carlos eine Nachricht zu hinterlassen, kann ich somit aufgeben.
Enttäuscht kehre ich zum Hotel zurück.
-----
Ich kann keinesfalls den Tag über in meinem Hotelzimmer bleiben, das ist mir klar.
Da würde ich verrückt werden.
Aber Lust auf Sightseeing verspüre ich nicht. Und am Strand liegen möchte ich ebenfalls nicht.
Eigentlich habe ich Lust auf gar nichts und so viel Zeit. Und diese musste ich irgendwie rumkriegen.
Daher lasse ich mich mit einem der Oldtimertaxen aus Havanna herausbringen.
Mein Fahrer heißt Ernesto Ramos und ist mir sofort sympathisch. Deswegen duzen wir uns auch. Das macht es für jeden von uns einfacher und angenehmer, den Tag zusammen zu verbringen.
Das Radio dudelt. Und er ist pausenlos am Zigarrerauchen. Das ist das einzige, was mich an ihm stört.
Es geht die Küstenstraße am Meer entlang nach Matanzas und weiter nach Varadero. Dort möchte ich gern das Delfinario besuchen.
Während der Fahrt erfahre ich vieles vom Leben der Einheimischen, dennoch muss ich manchmal nachfragen, da auch Ernesto kein reines Spanisch spricht, sondern kubanischen Dialekt. Daran muss ich mich noch gewöhnen. Aber, wenn er langsam spricht, geht es einigermaßen.
So erzählt er mir unter anderem, dass viele seiner Landsleute umgerechnet nur etwa fünfzehn Euro Durchschnittseinkommen im Monat zur Verfügung haben. Das ist echt wenig.
Das habe ich nicht erwartet.
Ich bin ehrlich betroffen, und weiß gar nicht, was ich sagen soll.
Doch Ernesto will kein Mitleid.
Weiterhin erfahre ich, dass es ein Bezugsscheinsystem gibt, subventionierte Waren rationiert werden. Und diese Lebensmittel jedoch meist nur zehn bis vierzehn Tage reichten. Den Rest müssten sich die Einheimischen auf dem freien Markt besorgen.
Es gäbe jedoch noch eine weitere Möglichkeit, sich Waren in Devisenläden zu besorgen, und das für Peso Cubano, die jedoch vorher in Peso Convertible, die an den Dollar angelehnt sind, umgetauscht werden müssten. Dies könnten wiederum nur die Besserverdienenden. Für 24 Pesos Cubano bekäme man gerade mal einen Peso Convertible.
Ich staune ohnehin, wie gelassen die Kubaner mit diesen Unzulänglichkeiten umgehen, wie sie mit den täglichen Problemen klarkommen.
„Erst stehen nur ein paar einzelne Leute auf der Straße, plötzlich entsteht daraus eine Schlange. Du stellst dich einfach mit dazu, obwohl du da noch gar nicht weißt, was es zu kaufen gibt. So ist das hier.“, lacht Ernesto und zieht an der Zigarre. „Und denk bloß nicht, dass alle Zigarren, die sie dir anbieten, auch echt sind!“, grinst er mich an. „Am Preis wirst du es nämlich nicht merken…“
„Danke für den Tipp.“, sage ich, „ihr Kubaner kennt ja vielleicht Tricks, die Leute über den Tisch zu ziehen!“
„Ho, ho!“, brummt Ernesto gespielt grimmig und lacht dann.
„Die Leute sind daran gewohnt. Was es nicht gibt, gibt es eben nicht. Und mit dem, was da ist, wird gearbeitet.
Hier kann man nicht planen. Hier muss man kreativ sein, improvisieren…
Und falls man mal etwas erstanden hat, was man nicht braucht, verkauft man es einfach weiter oder handelt damit.
Dennoch kannst du alles bekommen, was du willst. Es ist nur etwas aufwendiger, dies zu besorgen. Mit dem richtigen Geld ist es natürlich leichter.“
Ich verstehe, dass dies wieder eine Anspielung auf die Devisenläden ist, und sehe zu ihm hinüber.
Ich versuche, in seinem Gesicht zu lesen, ob er darüber erbost ist, dass er da nicht einkaufen kann.
Aber er spricht schon weiter: „Es kann schon mal vorkommen, dass es auf einmal keine Eier gibt oder keine Zigaretten. Und dann, auf einmal bekommt man sie wieder, und keiner weiß, warum das so ist.
Sicher ist dir schon aufgefallen, dass das Speisenangebot in fast allen Restaurants nur eine kleine Auswahl offeriert. Der Grund dafür liegt auf der Hand. Auch das liegt an der schlechten Versorgungslage. Manche Dinge bekommt man immer, bei anderen weiß man nicht, wann man sie bekommt.
Außerdem wird fast alles aus Amerika importiert.
Vieles ist teuer. Auch Benzin.
Privat