„Brauchst du Hilfe?“
Ich schüttele mit dem Kopf.
Das hätte ich nicht tun sollen. Das macht den Schwindel noch schlimmer.
Ich muss mich mit der Hand abstützen, um nicht seitwärts wegzurutschen.
Ich sehe sein Gesicht.
Jung, hübsch.
Und sein Lachen.
Lacht er mich aus?
Ich merke, dass ich wieder sauer werde.
„Oh, oh“, höre ich ihn sagen, „bleib am besten ganz ruhig sitzen.“
Dann ruft er dem Typen hinter der Bar etwas zu.
Dieser bringt ungefähr drei Minuten später etwas an unseren Tisch.
Der junge Mann an meiner Seite, schüttet etwas in ein Tuch, windet es zusammen und drückt es mir in den Nacken.
Ich will aufbegehren, doch er stoppt mich.
„Sch, sch, immer mit der Ruhe.
Atmen.
Das ist nur die Hitze…“
Sein Blick erfasst die leeren Gläser auf dem Tisch.
Grinsend fährt er fort: „Obwohl ich mir da jetzt nicht mehr so sicher bin…“
Ich habe mit mir zu tun und sage erstmal gar nichts.
Sein Lachen ist verschwunden.
„Und, besser?“ fragt er mich ernst.
Ich nicke.
„Das ist gut.“
Er blickt mich immer noch an.
„In welchem Hotel wohnst du denn?“ fragt er mich.
Ich sehe ihn, seiner Frage wegen, erstaunt an.
Mein Gehirn arbeitet extrem langsam.
Natürlich, denke ich so bei mir, ihm muss klar sein, dass ich in einem der Hotels in der Nähe abgestiegen bin. Dass ich hier bin, um Urlaub zu machen.
Also will er mich abschleppen.
Er scheint der richtige Typ für dieses Vorhaben zu sein…
Wie viele Frauen wird er mit dieser Masche wohl schon rumgekriegt haben?
Vielleicht nahm er ja sogar Geld von ihnen für seine Liebesdienste?
Oder gaukelte er ihnen Liebe vor, um über sie nach Deutschland zu kommen?
Um sie auszunehmen?
Schließlich würde er ja für sie seine ganze Familie in Kuba im Stich lassen und ihnen den Ernährer nehmen…
Abweisend wende ich mich ab.
Ihm entgeht das nicht.
„Was ist?“ fragt er.
Als ich ihm nicht antworte, sagt er: „Ich würde gerne wissen, was da gerade in deinem Kopf vor sich geht.“
Aber in meinem Kopf tut sich nichts mehr.
Ich will nur noch zurück in mein Hotel.
In mein Bett.
Den heutigen Misserfolg einfach vergessen.
Mein Blick huscht über seinen Körper.
Er ist groß, schlank, muskulös.
Irgendwie hat er etwas Geheimnisvolles an sich, etwas Verwegenes.
Ich glaube nicht, dass er ein typischer Kubaner ist.
Dafür ist er nicht dunkel genug.
Aber was heißt das hier schon?
Immerhin ist Kuba eine Insel. Die Einen kamen und blieben. Andere fuhren weiter. Von den einstigen Sklaven mal ganz abgesehen.
Das, was mir jedoch sofort an ihm auffällt, weil es total ungewöhnlich ist, sind seine blauen Augen.
Seine Haare trägt er als Rastas, im Nacken zusammengebunden.
Er sieht aus wie ein Pirat, denke ich, fehlt nur noch der Ohrring.
Doch als er mir seine andere Seite zudreht, sehe ich, wie etwas an seinem Ohr blitzt.
Ich mache erste Anstalten, mich zu erheben.
Er hilft mir hoch.
„Danke, geht schon.“, stammle ich.
Er lässt von mir ab.
Ich bezahle meine Rechnung, jedoch nicht, ohne ihm einen Drink seiner Wahl zu spendieren, damit er nicht ganz leer ausgeht, denke ich und grinse in mich hinein.
Doch das vergeht mir schneller als gedacht.
Zurück auf der Straße wird es nicht einfacher für mich.
Die Sonne blendet.
Ich muss mich kurz an einer der Häuserwände anlehnen. Ich schwanke mehr, als dass man es Laufen nennen könnte.
Wie ich es zum Hotel schaffe, weiß ich letztendlich nicht wirklich.
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In der Nacht träume ich schlecht. Von meiner Schwester.
Ich weiß nicht, ob es der Rausch ist. Oder aber der Wunsch, mit ihr zusammen zu sein, weil ich sie so sehr vermisse.
4
Als ich am nächsten Morgen aufwache, schwöre ich mir, nie wieder Alkohol zu trinken.
Ich habe mörderische Kopfschmerzen.
Erst nach einem wunderbar reichhaltigen Frühstück und einer Schmerztablette geht es mir wieder besser.
An den Strand möchte ich nicht gehen.
Die Sonne würde mir heute nicht gut tun.
Also mache ich mich auf, mir die Stadt anzusehen.
Das alte Stadtviertel von Havanna.
Ich habe die Wahl zwischen den Oldtimer- oder den Mopedtaxen, den Cocos.
Diese passen so gar nicht in das Stadtbild.
Es scheint eher so, als hätte sie jemand aus der Zukunft in die Vergangenheit gebeamt.
Sie stechen nicht nur sofort wegen ihrer knallgelben Farbe, sondern auch ihrer seltsamen Form wegen heraus. Eben wie Kokosnüsse, irgendwie. Oder, wenn ich sie beschreiben müsste, dann als fahrbare Integralhelme auf drei Rädern.
Ich habe so etwas nie zuvor gesehen.
Mit einem von denen zu fahren, müsste doch ungemein mehr Spaß machen, als mit den alten „Schlachtschiffen der Straße“.
Ich habe mich längst entschieden.
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Ein Straßenbild gleicht dem anderen.
Der Belag löchrig. Die Häuserschluchten alt, renovierungsbedürftig, marode.
Die alte Dame zeigt ihre Unzulänglichkeiten ganz offen: abgeblätterte Farbe, kaputter Putz, Rost an jeder Ecke.
Und immer wieder Menschen, die unendlich Zeit zu haben scheinen oder auf irgendetwas warten.
Die alten Ami-Straßenkreuzer, Lastkraftwagen, Busse, Kinder mit Fahrrädern, Straßenmusikanten, Dominospieler, Frauen und Männer mit Zigarre, Hunde. Die zum Trocknen aufgehängte Wäsche an den Balkonen, Souvenirläden.
Und dennoch liegt über allem etwas Faszinierendes: Dieser ganz besondere Charme, den man nur hier findet.
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Ich lasse mich zum Capitolio bringen.
Dem Wahrzeichen Havannas.
Diesem,