Und man sieht es den wunderschönen alten Häusern im Kolonialstil an.
Früher der ganze Stolz dieser alten Dame Havanna, nun hoffnungs- und würdelos dem ständigen Verfall preisgegeben.
Der Putz bröcklig.
Die Farbe verwaschen.
Das Metall der Geländer und Zäune rostig.
Die Balkone nur zum Teil noch nutzbar oder mit Wäsche behangen…
Die Bewohner, so scheint es, haben sich in ihr Schicksal gefügt.
Warum etwas ändern, was unabänderlich scheint?
3
Wie ich schon vermutet habe, kann sich vom Hotelpersonal niemand wirklich an meine Schwester erinnern, außer dem Zimmermädchen.
Aber dieses weiß auch nur zu berichten, dass meine Schwester früher als geplant ausgecheckt hat und zu ihrem Freund ziehen wollte.
Von dieser Seite kann ich also nicht weiter auf Hilfe hoffen.
Bleibt nur, Carlos Gonzales zu finden. Den Geliebten meiner Schwester.
Zum Glück habe ich außer seinem auch den Namen der Straße, in der sich das Haus befindet, in dem er wohnt.
Die Anschrift stand auf dem Briefkuvert, übrigens dem letzten, das meine Schwester geschickt hat.
Ich schätze, ansonsten wäre es für mich ungemein schwerer.
Weiterhin kann ich mir denken, dass hier in Havanna der Name Carlos Gonzales nicht nur einmal zu finden ist, obwohl ich annehme, dass Gonzalez mit „z“ öfter vorkommt.
Ich lasse mich mit dem Taxi zu ihm bringen.
Als wir das Haus erreichen, steige ich aus und bezahle den Fahrer. Ich lasse ihn nicht warten, da ich nicht weiß, wie lange es dauert und wann ich zurückkommen werde.
Ich überquere die Straße und bleibe kurz vor dem Haus stehen. Ich hole tief Luft und blicke an der Häuserfront hinauf.
Das Haus ist nichts Besonderes. Es sieht aus wie alle anderen auch. Alt.
Ich öffne die schwere Eingangstür, deren Holz genauso Farbe gelassen hat, wie die bröckelnde Hauswand und die abgesplitterte Farbe an den Fenstern, die man nur noch erahnen kann.
Essengeruch empfängt mich.
Bevor ich Richtung Treppe gehe, biege ich nach links und rechts zu den sich dort befindlichen Wohnungstüren ab, um einen Blick auf die Türschilder zu erhaschen.
In der dritten Etage bin ich endlich am Ziel.
Da steht es: Gonzales.
Ich warte einen Moment, erstens, weil ich nach dem Aufstieg Luft brauche, und zweitens, weil ich nicht weiß, was mich erwartet.
Mein Herz schlägt mir bis zum Hals.
Dann klingle ich.
Ich warte vielleicht drei, vier Sekunden, doch es tut sich nichts.
Ich klingle wieder und warte.
Nichts.
Ich lege mein Ohr an die Holztür und höre, dass jemand in der Wohnung herumspringt.
Ich lege meine Hand auf die eiserne Türklinke und sehe mit Erstaunen, dass sie plötzlich nachgibt.
Jetzt gibt es für mich kein Zurück mehr.
Die Tür springt auf.
Vor mir steht ein etwa zwölf- oder auch dreizehnjähriges Mädchen in einem bunten Kleid und blickt mich erschrocken, aber auch gleichfalls erstaunt an.
Sie dreht sich um und ruft nach ihrer Mutter.
Eine korpulente ältere Frau erscheint, wischt sich ihre Hände an der Schürze ab und baut sich vor mir auf.
Ich mustere sie kurz.
Ihr ehemals schwarzes Haar zeigt erhebliche graue Strähnen.
Ihr Alter lässt sich schwer schätzen.
Ich weiß, dass die Sonne die Menschen schneller altern lässt. Trotzdem ist sie für ihr Alter ausgesprochen schön.
Die Beiden stehen vor mir und mustern mich genauso unverhohlen.
Endlich finde ich meine Sprache wieder.
„Senora Gonzales?“
Als sie bejaht, frage ich nach Carlos, ihrem Sohn.
Ich erkläre ihr, dass ich aus Deutschland komme und nach meiner Schwester suche. Und dass ich unbedingt mit Carlos sprechen muss, weil er mit ihr zusammen war.
Irgendwie habe ich das Gefühl, dass sie sich zurückzieht.
Ohne jegliche Gefühlsregung, nur mit einem Kopfschütteln, beteuert sie mir: „Carlos ist nicht da. Und ich weiß auch nicht, wann er wieder kommt.“
Damit ist für sie die Unterhaltung beendet.
Sie dreht sich um und geht zurück in den Raum, aus dem sie gekommen ist.
Unschlüssig, ob ich gehen oder bleiben soll, beobachtet von dem Mädchen, trete ich den Rückzug an.
Dabei huscht mein Blick zufällig in eines der Zimmer, dessen Tür offen steht und nur von einem durchsichtigen Vorhang aus Perlenstricken vom Flur abgetrennt ist.
Ich sehe einen gebräunten muskulösen Oberkörper, der in blauen Jeans steckt, und auf einem Bett liegt.
Als ich die schwere Tür hinter mir schließe, habe ich das Gefühl, dass mich die Frau angelogen hat. Absichtlich.
Aber warum?
Für heute gebe ich mein Unterfangen auf.
Doch ich würde wiederkommen.
Schon bald.
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Frustriert setze ich mich in eine kleine Bar.
In meinem Kopf schwirren die Gedanken nur so.
Wieso war seine Mutter so abweisend zu mir?
Was wusste sie?
Wusste sie, wo meine Schwester verblieben ist, was mit ihr passiert ist?
Meine Enttäuschung schlägt in Wut um.
In Wut auf mich.
Wieso habe ich mich so leicht wegschicken lassen? Warum war ich nicht hartnäckiger?
Vielleicht weil ich Angst hatte. Angst davor, was ich erfahren hätte.
Ich bestelle Cuba Libre. Rum mit Cola.
Noch einen.
Mein Blick verliert sich in der dunklen Szenerie der Bar. Die Menschen nehme ich nicht wirklich wahr.
Ich bin immer noch zu sehr mit mir selbst beschäftigt.
Habe mich ausgeschlossen vom Geschehen um mich herum.
Dann jedoch kehre ich aus meiner Gedankenwelt zurück und erblicke vier leere Gläser vor mir auf dem Tisch.
Ich höre die Rhythmen wieder.
Das Lachen und die Stimmen der Menschen rings um mich herum dringen wieder zu mir durch.
Ich kann die wabernden Zigarrenkringel aufsteigen sehen, den schwadenden Rauch riechen.
Ich glaube, ich brauche frische Luft.
Mir ist schwindlig.
Ich bin es nicht gewohnt, so schnell so viel zu trinken.
Und bei diesen Temperaturen sowieso nicht.
Aus