Rechts gegen Osten, wo die Wolken auf der Erde zu ruhen schienen, zeichneten sich in der Ferne die Gipfel hundertjähriger Eichen ab; in diesem dunklen Grunde erscheinen weißliche Fleckchen von mancherlei Gestalt, unordentlich untereinander geworfen, aber auf einem Haufen zusammengedrängt; dies war Tschyhyryn6.
Links ergeht sich das Auge frei auf den Ebenen, die sich gegen die »Schwarze Straße7« hinziehen, wie auf der Steppe das ukrainische Ross ohne Zügel; dort hat seine Vollkraft keine Schranke und selbst die Wolke erscheint auf der weiten Ebene als keine Grenze; nur hier und da ragen Grabhügel hervor, Überbleibsel des Kosakenruhmes oder Spuren der Tatarenzüge. Fußpfade schlängeln und kreuzen sich in Schlangenwindungen auf den grünen Auen und ein Nebelgewölk von dem aufsteigenden Morgendunst schwebt über den fruchtbaren Feldern. An den Ufern des Tiaslyk hin schütteln zwei Reihen buschiger Buchen ihre Häupter und neigen sich vor der aufgehenden Sonne. Scharen wilder Pferde ohne Hirten ergehen sich in Kreuz- und Quersprüngen auf der unberührten Steppe und Herden grauer Ochsen eilen auf die Weide und erfüllen mit ihrem Gebrüll die Luft. Hin und wieder schlägt die wilde Weise eines wild-melancholischen Gesanges von Jünglingen an das Ohr, die ihre einstige Freiheit und die Kriegstaten der Bewohner des Saporoger Landes8 besingen. Alles ist hier bezaubernd.
Oh liebliches Land! Wer, der dich je sah, gewann dich nicht lieb; und wer, der dich einmal liebgewonnen, wünschte nicht, auf deinem gesegneten Boden zu leben und zu sterben.
Ehe er noch das »kahle Grab« erreicht hatte, hielt sich der Kosak weiter nach links, und nachdem er sich am Rande eines tiefen Abgrundes mehrmals im Zickzack hin und her gewendet hatte, erblickte er im Tal alte Erlen und weiße Birken. Zwischen ihnen guckte eine weiße Hütte und ein weitläufiges, mit Stroh gedecktes Gebäude hervor, weiterhin erhoben Schober mit noch vor-vorjährigem Getreide ihre Scheitel; dort fiel der Tiaslyk in den Tjasmyn, wie der Bruder in die Arme der zärtlichen Schwester; hier stand der Khutir9 Holowaty’s, das Ziel der Reise des Kosaken.
Er hielt vor der Tür an, stieg vom Pferde, reckte sich ein paar Mal, streckte die Arme zum Himmel aus, gähnte, wischte Staub und Tau von Stirn und Haar, nahm Sattel und Zaum ab, rieb den Rücken des Pferdes mit einem trockenen Wisch Heu, und des Raumes kundig, öffnete er ein Seitentor, das zum Rossgarten führte und lies sein treues Ross hinein. Dieses schnaubte, sprang einige Schritte vor, hielt an, scharrte mit den Hufen, warf sich dann zur Erde nieder, dass die Erde ächzte und das Tier mit ihr. Und nachdem es sich tüchtig abgerieben, brauste es mitten hinein unter die anderen Pferde, um Gras zu fressen, das mit Klee und bunten Blumen vermengt war. Der Kosak, froh, dass sein Pferd so munter, war eben im Begriff die Haustüre zu öffnen, als ein kräftiger Knecht eilends ihm entgegen kam und ihn herzlich zu begrüßen begann. Der Reisende sprach „Wie geht es dir, Iwan? Ist Holowaty zu Hause?“
„Jawohl, Vater Dudar, und nicht wenige Gäste dazu.“
„Wer und woher sind sie?“
„Der Blahoczynny10 aus Tschyhyryn und ein anderer Pope; es muss wohl der Protopop11 sein, denn sie tun ihm gar viel Ehre an; einige der Saporogischen Hauptleute, eine Menge »Nichtverzeichneter12« und dann einer, der so etwas wie ein Kosak oder Graf aus Petersburg sein soll.“
„Nun, wohl an, Iwan, nimm den Sattel, lege ihn auf die Seite unter den Schuppen, ich will gehen und diesen Dohlen in die Augen schauen, die sich auf das Kosakenland niederlassen, als wäre es schon Aas.“
Er hing den Kalpak auf die eine Seite über, strich sich den Schnurrbart in die Höhe, und munteren, aber dabei wohl abgemessenen Ganges schritt er auf die Hütte zu. In seinem Gesichte, obwohl vom Alter sehr durchfurcht, funkelte ein Jugendfeuer, das, wie Zunder, jeden Augenblick hervorzubrechen bereit schien. Die Hunde bellten nicht, sondern kamen wedelnd und mit einschmeichelnden Blicken, indem sie die Ohren dicht an den Körper zurücklegten, herbeigelaufen, um ihn als einen alten Bekannten zu begrüßen. Und die Kinder, die im Sande spielten, sprangen hervor und klatschten jubelnd in die Hände: „Der Dudar, der Dudar! Der wird uns schöne Märchen erzählen.“
Der Dudar liebte die Kinder, denn er hatte ein gefühlvolles Herz, und obgleich er als Saporoger13 ehelos lebte, wurde seine Seele tief erschüttert beim Anblick der unschuldigen Kinderwelt, dieses Bildes der unbefangensten Zeit im menschlichen Leben; er hing und schloss sich an sie, wie sich das Mutterpferd an das junge Fohlen anschließt. Doch heute grüßte er sie nur mit dem Auge, wies die rings um ihn herum springenden Hunde sanft ab und schritt weiter auf den Bienengarten zu, denn er hatte jetzt Eile und dort sah er den alten Holowaty stehen.
Er trat ein und achtete nicht auf die Reihe von Spießen, die längs am Strohdach lehnten, noch auf die Menge von Sätteln, die umher geworfenen Mützen und die Leute selbst, die sich unter dem Schuppen im Schlafe dehnten.
In einer Ecke des Bienengartens stand ein Greis; ein blass-gelblicher Bart floss auf seine Brust herab, ein weißer Schnurrbart, der in zwei Zipfeln herabhing, vermengte sich mit dem Kinnbart; weite, leinene Unterhosen, ein von einem blaugrauen Gürtel zusammengehaltenes Hemd, ein kurzer Überrock, eine runde in den Kopf hinein gedrückte Mütze von grauem Schaffell machten die Kleidung des Alten aus. In Gedanken und Betrachtungen versunken, blickte er zwar scheinbar auf die dichten Reihen von Bienenstöcken, aber es geschah diesmal mehr aus Gewohnheit, als mit Absicht, denn er sah nicht danach, welchen reichlichen Vorteil ihm seine Bienen bringen, ja, er stellte nicht einmal Vermutungen an, welcher Schwarm im Stande sein werde, den Winter zu überdauern; die Bienen schwirrten ihm in die Ohren, schimmerten mit ihren goldenen Flügelchen vor seinen Augen umher, ohne seine Aufmerksamkeit zu erregen, so sehr hatten sich andere Gedanken in seinem Kopfe festgesetzt. Bei der Erscheinung des Dudar schien Holowaty aus einem schweren Schlafe zu erwachen, der ihn mit schwarzen Traumgestalten gemartert hatte. Die alte Freundschaft und die Offenheit, die zwischen ihnen bestand, verscheuchte diese Wolke düsterer Gedanken oder drängte sie vielleicht auch nur auf kurze Zeit in den Hintergrund zurück. Sie begrüßten sich gegenseitig mit einer herzlichen Umarmung und jeder drückte einen frohen Kuss auf die Lippen des Freundes.
„Was gibt es denn hier bei euch Neues, Herr Holowaty, vielleicht eine Kindertaufe von einer eurer Töchter? Denn es sind ja auch Popen da; vielleicht verheiratet ihr eine Enkelin an einen muntern Nichtverzeichneten, oder vielleicht auch… vielleicht brütet ihr über etwas, das wir nicht wissen sollen?“
„Ach nein, nicht Kindstaufen ist hier, nicht Hochzeit, Gevatter Dudar, sondern die Ljachischen14 Herrchen sind übermütig geworden, haben da in Bar einen Adelsbund gestiftet und wollen den Nacken der Unsrigen vollends unterkriegen, aber Gott hat sich erbarmt und der Zarin von Moskau eingegeben, dass sie uns ihre Hilfe sandte…“
Bei dem Namen Moskau erbebten krampfhaft alle Adern des Dudar, wie wenn ihn eine schwere Krankheit eben packen wollte; aber schnell fasste er sich, denn wie ihn der Zorn zur Wut entflammte, so kühlte ihn die Überlegung ab.
„Höre, Holowaty, schlimm ist dieser Bund mit der Zarin; sie will, wie der Wolf, nur erst eine Tatze auf den Wagen legen, um dann uns zu erwürgen und den Wagen für sich zu behalten. Da ist der Ljache anders, er braust auf und kommt wieder zur Besinnung; erscheint dann Not, so wendet er sich an Gott. Aber drängt uns der Moskowiter oder schreckt uns der Tatar, alsbald steht der Ljache, als unser Bruder, uns zur Seite. Wir sind fest verbunden, jagen den Feind in die Flucht und können nachher, wie Brüder, miteinander Abrechnung halten.“
„Oh, Ihr dort hinter den Wasserfällen wisst nicht, was hier vorgeht. Das ukrainische Volk ist tief versunken in Tränen und Not; mitten