Jung misst dem Bewusstmachen des Unbewussten, und das heißt auch des Grenzenlosen, größte Bedeutung bei, ja er sieht die Bestimmung des Menschen darin, Bewusstsein zu schaffen:
„Soweit wir zu erkennen vermögen, ist es der einzige Sinn der menschlichen Existenz, ein Licht anzuzünden in der Finsternis des bloßen Seins. Es ist sogar anzunehmen, dass, wie das Unbewusste auf uns wirkt, so auch die Vermehrung unseres Bewusstseins auf das Unbewusste.“ {19}
Was das Verhältnis des Tagesbewusstseins-Ichs zu diesem unbewussten „spiritus rector“, dem „Selbst“, wie C. G. Jung es nennt, anbelangt, so verhält sich das Ich zum Selbst wie der patiens zum agens, oder
„wie das Objekt zum Subjekt, weil die Bestimmungen, die vom Selbst ausgehen, umfänglich und daher dem Ich überlegen sind. … das Unbewusste …. präformiert sozusagen das Ich. Nicht ich schaffe mich selbst, ich geschehe vielmehr mir selber.“ {20}
Diese beiden Gegensätze, die Übermacht des zu „evolutionärer“ Vollständigkeit vorwärts drängenden und unbewussten Selbst und die Hybris des Ichs, erzeugen eine riesige Spannung, und diese Einsicht ist nach Jung von besonderer Bedeutung für die Psychologie aller religiösen Phänomene.
Veronika Gradl, Ärztin und Psychoanalytikerin in Innsbruck, Tirol, sagt hierzu:
„Die ‚religiöse Dimension des Bewusstseins‘ ist Wissen um zukünftige Höherentwicklung durch Integration‘. (so etwa, als wüsste der Regenwurm in Ahnungen von ‚Unzerteilbarkeit‘ und Bildern vom ‚Behaust-sein‘, dass aus seinem Wurm-Dasein durch Entwicklungsprozesse das komplexere Dasein der Schnecke hervorgehen wird.)“ {21}
All das Gesagte bedeutet für unser Abenteuer Altern mit Pfiff und Esprit („spiritus rector“) ganz konkret, dass je älter man wird, umso drängender rufen all die gegensätzlichen und bisher unter den Tisch gefallenen Kräfte nach Ausgleich, Assimilierung und Integration, denn es will das bisher Ausgeklammerte mit dazu genommen werden. Das zu Vollständigkeit drängende Leben klopft vehement an die Tür. Bildlich kann man das so sehen, dass „die weise Alte“ oder die „uralte Weise“,{22} dieses Millionen Jahre alte Wesen/Leben {23} und ein Symbol des kollektiven Unbewussten, d.h. der unbe- wussten Weltseele, mit seinen verdichteten Erfahrungen der Evolution und dem gesamten unglaublich wertvollen Menschheitswissen, bewusst werden möchte und Platz finden will im jeweils ganz persönlichen Leben!
Gerade auch in der Einsamkeit des postmodernen Bewusstseins und speziell auch im Alter sieht C.G. Jung die Chance zu einer neuen Erfahrung des Geistigen.
Er schreibt in seinen Erinnerungen:
„Die entscheidende Frage für den Menschen ist: Bist du auf Unendliches bezogen oder nicht? … Nur wenn ich weiß, dass das Grenzenlose das Wesentliche ist, verlege ich mein Interesse nicht auf Futilitäten und auf Dinge, die nicht von entscheidender Bedeutung sind…. Wenn man versteht und fühlt, dass man schon in diesem Leben an das Grenzenlose angeschlossen ist, ändern sich Wünsche und Einstellung. … Das Gefühl für das Grenzenlose erreiche ich aber nur, wenn ich auf das Äußerste begrenzt bin. Die größte Begrenzung des Menschen ist das Selbst; es manifestiert sich im Erlebnis: ‚Ich bin nur das!‘ Nur das Bewusstsein meiner engsten Begrenzung im Selbst ist angeschlossen an die Unbegrenztheit des Unbewussten….“ {24}
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