„Ja?“
„Komm nach vorne! Setz dich zunächst in die Mitte und übernimm dann das Steuer, wenn ich hinten bin! Wir, Benni und ich, gehen nach hinten. Da haben wir mehr Platz, um uns zu bewegen.“
„Okay.“, sagte er gleich und begann über die vordere Sitzlehne zu steigen. Als er dies geschafft hatte und in der Mitte, zwischen mir und Benni saß, stieg ich nach hinten. Dann half ich Zwergnase über die Lehne der Vordersitze zu steigen und bat ihn, sich zunächst hinzusetzen.
Ich leckte kurz meinen Zeigefinger und hielt ihn hoch.
„Was machst du da?“, kam prompt die Frage von Marco.
„Ich schau woher der Wind kommt.“
„Benni! Steig bitte auf die Bootskante!“
Zwergnase schaute mich fragend an.
„Steig bitte auf den Rand des Bootes!“, wiederholte ich mit anderen Worten, da er anscheinend nicht verstanden hatte, was er tun sollte.
Jetzt hatte er begriffen. Er stand auf, ich packte ihn am Rücken, besser gesagt an seiner Jacke, bevor er mit beiden Beinen sich auf die schmale Kante stellte und sagte:
„Papa. Ich tue es nie wieder.“
Angst schwang in seiner Stimme mit. Gleich würde er zum Weinen anfangen.
„Papa, schmeiß ihn bitte nicht hinein! Er macht es nicht mit Absicht.“, mischte sich Marco, mein Großer, jetzt ein und wollte seinem Bruder helfen. Jetzt begriff ich.
„Ach Quatsch. Ich schmeiß ihn nicht ins Wasser.“, sagte ich zu Marco gewandt.
„Benni. Mach die Hose auf!“
Er drehte seinen Kopf zu mir um.
„Na mach schon! Piesle ins Wasser! Eine andere Möglichkeit haben wir nicht.“
Er war scheinbar erleichtert, denn seine Mundwinkel verzogen sich zu einem Lachen. Er hatte begriffen, dass ihn der Papa nicht über Bord werfen wollte. Er öffnete den Reißverschluss und ein Strahl ergoss sich ins Wasser.
„Pass auf, dass du dich nicht voll pinkelst!“, fügte ich noch hinzu.
Als er fertig war und wieder ins Boot stieg, setzte er sich erleichtert auf die breite Rückbank.
„So jetzt habe ich die Fische gegossen.“
Ich sah ihn an und wollte gerade etwas sagen, als sich von vorne Jemand zu Wort meldete.
„Papa, warum hast du den Finger vorher abgeschleckt und in die Höhe gehoben.“
„Ich wollte nur testen, ob es hier fliegende Fische gibt und nach meinem Finger schnappen. Wenn dies der Fall gewesen wäre, wäre es gefährlich für Bennis „Du-weißt-schon“ geworden.“, wollte ich sagen, verkniff es mir und erklärte stattdessen beiden den wahren Grund.
„Ich hab geschaut, woher der Wind kommt. Man sollte nämlich immer mit dem Wind, statt gegen den Wind pieseln. Sonst hat man danach eine nasse Hose und eine Wasserlache im Boot.“
„Igitt!“, kam aus beiden Mündern sogleich der Kommentar.
Und so konnten wir unsere kleine Brotzeit beginnen und danach unsere Fahrt fortsetzen, dann jedoch mit Marco am Steuer.
Perfektes Timing auf „hoher See“ ist wichtig. Genau so wichtig wie mit dem Wind pinkeln. Diese Lektion hatten sie beide bei dieser Bootsfahrt zumindest gelernt.
Ein Hauch von Abenteuer
Wer wollte nicht als Kind schon einmal wie ein Abenteurer durch den Dschungel streifen und auf die Suche nach versunkenen Stätten, geheimnisvollen Völkern, verschollenen Schätzen, exotischen Tieren und faszinierenden Pflanzen gehen? Wer ließ sich nicht gerne durch die Schwarzweißfilme von Tarzan (mit dem unvergleichlichen Jonny Weißmüller) verzaubern und für eineinhalb Stunden in die farbenfrohe Dschungelwelt, auch wenn diese auf der Mattscheibe nur in Schwarzweiß zu sehen war, entführen? Wer wollte nicht so wie Tarzan im Baumhaus wohnen, sich mit Jane von Liane zu Liane schwingen und mit Cheetah, dem intelligenten Schimpansen, die letzte Banane teilen? Und ganz nebenbei bekam man in diesen Filmen atemberaubende Landschaften in einer unberührten exotischen Natur mit. Doch trotz der Schönheit von Mutter Erde war hier im Dschungel größte Vorsicht geboten. Hinter jedem Baum und hinter jedem Felsvorsprung konnte der Tod lauern, sei es in Form eines mannsgroßen Spinnennetzes, hinter dem eine pelzige Riesenspinne auf sein Opfer wartete oder auch nur in der Erscheinung einer bunten, betörenden Pflanze, die vor einem lag und scheinbar unbeteiligt in der Natur stand, aber jeden Augenblick mit ihren Tentakel nach einem greifen und in einem Stück verschlingen konnte. Und dennoch, diese Dschungelwelt war einfach faszinierend. Sie war der Inbegriff von Abenteuer und Exotik und ließ unsere Herzen schneller schlagen.
Und jetzt standen meine beiden Söhne im Dschungel eines deutschen Baumarktes, Auge in Auge einer drohenden Gefahr gegenüber. Die Spannung, die in diesem Moment in der Luft lag, war regelrecht zu spüren. Das war ihre erste leibhaftige Begegnung mit einer „Dionaea muscipula“. Sie standen nur wenige Schritte davon entfernt und wollten sie haben, so wie Indiana Jones damals in „Jäger des verlorenen Schatzes“ die goldene Statuette haben wollte, die vor ihm auf einem Altar in der Höhle lag. Nur trauten sich meine Söhne nicht. Der Respekt, besser gesagt, die Angst davor, ließ sie nicht den letzten Schritt wagen, um danach zu greifen. Daheim waren sie noch Feuer und Flamme gewesen. Sie wollten sie haben und dies um jeden Preis. Ohne viel zu sagen, hatten sich beide, Marco mein siebenjähriger Abenteurer und Benni, mein fünfjähriger Dreikäsehoch im Eiltempo angezogen und fix und fertig vor der Türe auf mich gewartet. Noch nie waren sie so schnell fertig gewesen, denn die mögliche Belohnung, die sie sich versprachen und die ich ehrlich gesagt nicht ohne Hintergedanken in den Raum geworfen hatte, war zu verlockend. Und so standen nun beide da, inmitten des Baumarktes, und besahen sich das, was ich in der Hand hielt mit einer gewissen Vorsicht und Zurückhaltung. Jedes Mal, wenn ich meine Hand zu ihren staunenden Gesichtern näher hinstreckte, damit sie das exotische Etwas besser anschauen konnten, wichen sie instinktiv davor zurück.
„Wollt ihr die?“
Sie sollten endlich ihre Entscheidung treffen.
„Die will ich!“
Benni, der kleinere von meinen Söhnen, hatte seine Wahl zuerst getroffen. Der Große schien sich noch nicht entscheiden zu können. Oder hatte er vor dem Ding so viel Angst, dass er es gar nicht mehr haben wollte.
„Okay. Dann nimm sie mal!“
Mit diesem Worten hob ich ihm mit meiner Hand die versprochene Überraschung hin. Prompt wich er wie von der Tarantel gestochen zurück.
„Nein. Du trägst sie, Papa!“
„Benni, wenn du die haben willst, dann musst du sie schon nehmen. Ansonsten lassen wir sie hier.“
„Ich will sie.“
Jetzt streckte er sein Ärmchen aus, um sie zu greifen. Doch kurz bevor sie in greifbarer Nähe war, zog er sein Arm zurück. Ich schmunzelte. Ohne dass ich erneut etwas sagen konnte, wagte er den nächsten Versuch und streckte etwas zaghaft den Arm mir und dem Ding in meiner Hand entgegen. Gleich hatte er es. Noch ein paar Zentimeter…
Doch dann zog er die Hand erneut zurück. Die Angst war stärker als das Verlangen.
„Es passiert doch nichts.“, versuchte ich ihn zu beruhigen.
„Glaub ich nicht.“, entgegnete er mir.
Ein paar umstehende Personen sahen zu uns herüber und amüsierten sich über die Situation.
„Der Marco soll zuerst.“, wandte Zwergnase nun ein.
Ich sah Marco an, der neben Benni stand und der sofort nach Bennis Bemerkung ein Schritt zurück gewichen war.
„Marco, komm sein kein Angsthase! Du bist der große Bruder. Zeig ihm, wie mutig du bist! Zeig deinem Bruder, dass er