BABATI. Toni Vipa. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Toni Vipa
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847665656
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da will jemand sagen, dass Kinder nicht bereits in jungen Jahren leidenschaftlich sein können. Und unter leidenschaftlich meine ich die Form von Leidenschaft, unter der man eine Passion, eine Hobby versteht. Er, Zwergnase, hatte das Fotografieren, oder wie er es nannte „Totografieren“, für sich entdeckt. Und dies ganz zum Leidwesen seiner Mutter. Denn seitdem er von uns die Kamera bekommen hatte, legte er diese nicht mehr aus der Hand, außer nachts, wenn er schlief – und das auch nicht wirklich, denn wir mussten ihm, wenn er eingeschlafen war, das Bändchen um sein Hand entfernen, woran tagsüber seine Digicam baumelte -. Der andere Fall, an dem er sich von seiner Kamera trennte, war natürlich, wenn auf dem Monitor „BATT schwach“ in großen, warnenden und blinkenden Lettern stand und der Akku aufgeladen werden musste. Die Mama war in den letzten Tagen zum Fotomodell Nr. 1 avanciert. Es gab von der Mama Fotos in allen erdenklichen Posen. Mama beim Kochen, Mama beim Kaffeetrinken, Mama beim Schlafen, Mama beim Staubsaugen, Mama bei der Gartenarbeit, Mama beim Rauchen, Mama beim Essen, Mama beim Zähneputzen, Mama auf dem Klo. Wobei man beim Letzteren nur eine ausgestreckte Hand mit vier Fingern und einem Daumen erkennen konnte. Und diese noch dazu unscharf. Sozusagen hatte Benni die Mama in allen Lebenslagen aufs Papier oder besser gesagt auf die SD-Karte gebannt. Eigentlich müsste sich meine Frau glücklich schätzen, dass unser Youngster sie als sein Fotomodell, als seine Nummer 1, erwählt hatte. Und dies war nicht immer so. Denn gerade letzte Woche, in der Anfangszeit der künstlerischen Schaffensperiode meines Sohnes mit eben dieser Digicam, sah dies noch ganz anders aus. Benni war mit seiner Kamera in die Küche gekommen und die Mama stellte sich in Pose.

      „Na junger Mann. Wollen Sie kein Foto von mir machen?“, sagte sie keck und wippte mit der Hüfte hin und her. Mit einer Hand strich sie sich sodann durch ihre Haare, so wie es halt Fotomodelle in der 50er oder 60er Jahren getan hatten.

      Doch Benjamin war „not amuesed“ und sagte stattdessen:

      „Mama ich kann dich mit meiner Kamera nicht totografieren.“

      „Wieso denn nicht?“

      Meine Frau hatte mit dieser Antwort nicht gerechnet. Nicht von ihrem Liebling, der sie anhimmelte und sie, sobald sie saß, immer umarmte und abschmuste.

      „Weil sie nur auf Männer eingestellt ist.“, gab er in einem ernsten Ton zurück.

      Ich, der in der Küche gesessen und gerade gelesen hatte, konnte mich vor Lachen nicht mehr halten. Ich hatte schon vieles gehört und wusste, dass die Kameras so manche Funktionen hatten, deren Sinn man durchaus hinterfragen konnte, wie beispielsweise die, dass die Kamera nicht auslöst, wenn die zu fotografierende Person nicht lacht. Man kann noch so oft und fest auf den Auslöser drücken, aber die Kamera macht kein Foto. Sie schießt erst dann eines, wenn die zu fotografierende Person die Mundwinkeln zu einem Lächeln verzieht. Aber die Funktion, dass sie nur bei Männern auslöst, war mir neu. Und ich muss gestehen, ich bilde mir ein, etwas von Kameras zu verstehen. An was macht es die Kamera fest, ob ein Mann oder eine Frau vor ihr steht? Etwa am Bart? An den beharrten Beinen? Oder an markanten Gesichtszügen? Der Bart konnte es nicht sein, denn dann würde die Kamera zu leicht in die Irre geführt werden. Denn es gab ja auch Männer ohne Bart. Und es gab Frauen mit eben diesen (wenn auch nicht so ausgeprägt). Doch den Gedanken wollte ich nicht weiterführen, geschweige ihn auszusprechen. Ich wollte den Familienfrieden, der noch vor kurzem geherrscht hatte, nicht gefährden. Es reichte schon, dass meine Frau mir einen giftigen Blick zuwarf, da ich mich über die Bemerkung meines Sohnes köstlich amüsierte.

      Sie war gelinde gesagt, eingeschnappt. Eingeschnappt, weil ihr Sohn, ihr allerliebster Augenstern – neben ihrem anderen Sohn Marco und mich natürlich – sich geweigert hatte, sie zu fotografieren. Sie, die sich so bereitwillig zur Verfügung gestellt hatte – um nicht zu sagen sich zum Affen vor der Kamera gemacht hatte -. Und dieser Bengel von ihrem Sohn besaß nun die Frechheit ihr ein Foto mit der Ausrede zu verweigern, dass die Kamera nur bei Männern auslösen würde. Sollte er doch dahin gehen, wo der Pfeffer wächst. Und ein paar Tage später war es genau anders herum. Er, Zwergnase, wollte sie, das Fotomodell Mama, in allen Lebenslagen ablichten, was sie nun nicht immer wollte. Wer soll da die Frauen verstehen? Und zumindest diese Lektion bekam Zwergnase schon mit fünf Jahren mit auf seinen Weg durchs Leben. Die Frau, das unbekannte - und manchmal unberechenbare – Wesen. Ganze Bücher und Abhandlungen wurden darüber geschrieben. Wie sollte unser Zwerg, der gerade fünf geworden war, verstehen, warum sich sein Fotomodell Nr. 1 nicht überall und immer ablichten lassen wollte.

      Meine Frau wurde in so manchen Situationen sauer, wenn Zwergnase mit der Digitalkamera vor ihr auftauchte und „Bitte lächeln!“ sagte, wie beispielsweise dann, wenn sie am frühen Morgen zum ersten Mal die Augen öffnete und sie als Erstes noch völlig verschlafen und zerzaust direkt in die Kamera meines Sohnemannes blickte, der am Bettrand stand und ein Exklusivfoto von ihr erhaschen wollte.

      K L I C K.

      Und dies bevor sie überhaupt einen Schluck Kaffee getrunken hatte. Und in diesen Momenten bekam ich es ab, wenn ich entweder noch neben ihr lag oder sie gleich zum Kaffeetrinken in der Küche erscheinen würde, wo ich bereits saß. Ich war der Übeltäter für all ihr Leiden, das sie mit der Kamera und ihrem fotoenthusiastischen Sohn, dem Mama-Paparazzi, hatte. Oder sollte es nicht besser Mamarazzi heißen? Jedenfalls war ich schuld. Wie sollte es denn auch anders sein. Einen Schuldigen braucht man immer. Na gut. Vielleicht habe ich ein wenig dazu beigetragen. Aber nur ein wenig. Denn ich habe ihm meine Leidenschaft für das Fotografieren vererbt. Es liegt halt in den Genen. Und ich habe Zwergnase letztendlich eine eigene Kamera geschenkt, auch wenn die Mama selbst zugestimmt hatte. Aber ich war es gewesen, der den Grundstein des Übels gelegt hatte. Und dies kam so:

      Wie ich bereits sagte, bin ich ein passionierter Hobbyfotograf. Und immer dann, wenn es mich in die Natur zieht, sei es in die Wälder, in die Berge oder an die Seen, nehme ich meine Spiegelreflexkamera und meine Ausrüstung mit. Und natürlich notgedrungen auch meine Kinder. „Sie müssen auch an die frische Luft“, wie meine Frau zu sagen pflegt. Und so fuhr ich mit Fotoausrüstung und zunächst einem Kind los, denn das zweite kam erst später auf die Welt. Wir, Marco und ich, pirschten durch die Wälder, über Stock und Stein und jedes Mal dann, wenn die Landschaft besonders schön war oder das Licht stimmte, holte ich meine Kamera heraus und fotografierte. Und wer mit einem Hobbyfotografen mal mitgegangen ist, der weiß, diese besonderen Freizeitknipser bleiben alle paar Minuten stehen und verharren eine Ewigkeit, bis sie das Bild geschossen haben. Dabei müssen natürlich mehrere Aufnahmen mit unterschiedlichen Einstellungen und Belichtungen und aus mehreren Perspektiven gemacht werden, denn das Ergebnis kann erst daheim, am großen Bildschirm richtig beurteilt und ausgewertet werden. Und so bleibt es natürlich nicht aus, dass sich der mitgenommene Abkömmling nach kürzester Zeit langweilt oder ständig schreit „Papa, auch sehen will!“. Das Ende vom Lied ist, dass der Papa und das Kind genervt sind und das nächste Mal der Papa den Sohnemann nicht mehr mitnehmen will oder der Nachwuchs sich weigert mit dem Papa mit zu gehen. Meiner hingegen, wollte nicht nur durch das Okular schauen, um zu sehen, was der Papa so Interessantes fotografiert, sondern wollte auch selbst fotografieren. Und nachdem ich immer eine zweite Kamera, eine kompakte Digitalkamera, dabei habe, drückte ich meinem Sohnemann diese in die Hand, der darauf hin selbst wie wild alles fotografierte, was ihm vor die Linse kam. Nachdem die Kamera Bilder auf eine SD-Karte speicherte, und mir es nichts kostete, wenn Marco 1000 und ein Bild machte – im Gegensatz zu früher, als man für den Film, das Entwickeln des Films und der Bilder viel Geld berappen musste -, waren somit zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Ich konnte in Ruhe fotografieren und Marco konnte mit gerade mal vier Jahren die Welt durch den Sucher seiner Kamera entdecken. Nach kurzer Zeit war es dann so, dass ich es war, der auf ihn warten musste, bis er endlich sein Motiv im Kasten hatte. Und dann kam der Zweite. Benjamin. Als er groß genug war, um mit uns beiden Fotoenthusiasten mit zu watscheln, nahmen wir ihn mit. Anfangs begnügte sich der Dreikäsehoch noch, ab und zu durch das Okular von Marcos Kamera, die ich ihm nach kurzer Zeit geschenkt hatte, zu schauen. Doch bald wollte er mehr. So bekam er eine Plastikkamera, oder besser gesagt eine Plastikattrappe, mit der er ständig vor seinem Auge hinter uns herlief. Als er jedoch größer wurde, stellte er fest, dass das Ding, im Gegensatz zu Papas und Marcos Kamera, nicht wirklich Bilder machte. Und so wünschte er sich – wie sollte es anders sein - selbst eine eigene, echte Digitalkamera. Und vor kurzem bekam er sie dann auch. Eine blaue Kamera.